Kohlenstoff-Emission von Talsperren bislang deutlich unterschätzt

Die Edertalsperre (Hessen) im Jahr 2019: Trockengefallene Gewässerbereiche setzen erheblich mehr Kohlenstoff frei als von Wasser bedeckte Bereiche.
Bild: Maik Dobbermann

Talsperren dienen unter anderem als Reservoire für Trinkwasser, die landwirtschaftliche Bewässerung oder den Betrieb von Wasserkraftanlagen. Bisher ging man davon aus, dass Talsperren ungefähr so viel Kohlenstoff speichern, wie sie in Form von Treibhausgasen an die Atmosphäre abgeben. Forscher des Helmholtz-Zentrums für Umweltforschung (UFZ) am Standort Magdeburg konnten in Kooperation mit spanischen Wissenschaftlern des Katalanischen Instituts für Wasserforschung (ICRA) in Girona sowie der Universität Barcelona nun aber zeigen, dass Talsperren zweimal mehr Kohlenstoff freisetzen als sie speichern. Die Studie ist im Fachjournal Nature Geoscience erschienen.

Ob Laub, Äste oder Algen – Fließgewässer transportieren große Mengen an kohlenstoffhaltigem Material. Wird das Wasser in einer Talsperre gestaut, sinkt das mitgetragene Material nach und nach ab und sammelt sich am Gewässergrund an. „Durch den Sauerstoffmangel laufen die Abbauprozesse dort unten sehr viel langsamer ab. Dadurch wird weniger Kohlendioxid freigesetzt, und der enthaltene Kohlenstoff wird im Sediment der Talsperre längerfristig gespeichert“, erklärt UFZ-Biologe Dr. Matthias Koschorreck. „Daher ging man bislang davon aus, dass Talsperren durch diese Anreicherungsprozesse mehr Kohlenstoff speichern als sie freisetzen.“

Für die Kohlenstoffbilanz von Gewässern spielen aber nicht nur die von Wasser bedeckten Zonen eine Rolle, sondern insbesondere auch solche, die durch Absinken des Wasserspiegels zeitweise trockenfallen. Das konnte die Arbeitsgruppe um Koschorreck in vorherigen Untersuchungen bereits zeigen. Kommt das zuvor von Wasser bedeckte kohlenstoffhaltige Material mit Luftsauerstoff in Kontakt, werden Abbauprozesse und damit auch die Entstehung von Kohlendioxid stark angetrieben. „Trockenfallende Gewässerbereiche setzen so erheblich mehr Kohlenstoff frei als von Wasser bedeckte Bereiche“, sagt Philipp Keller, ehemaliger Doktorand am UFZ und Erstautor der Studie. „Und wenn in einer Talsperre große Wassermengen abgerufen werden, liegen mit einem Mal große Flächen frei. Doch bei der Kalkulation der Kohlenstoffbilanz von Talsperren wurden diese Flächen bisher nicht berücksichtigt. Diese Lücke haben wir mit unserer Arbeit geschlossen.“

Für ihre Untersuchungen nutzten die Forscher eine auf Satellitenbildern basierende Datenbank, die die Größe der Wasseroberflächen von rund 6.800 Talsperren weltweit zwischen den Jahren 1985 und 2015 monatlich bereitstellt. So konnten die Wissenschaftler für diese 30 Jahre sehr genau bestimmen, wann, wo und wie lange die Talsperren nicht ganz gefüllt und wie groß die trockengefallenen Flächen jeweils waren. Im Schnitt waren etwa 15 Prozent der gesamten Reservoir-Flächen nicht mit Wasser bedeckt. Mit dieser Zahl rechneten die Wissenschaftler weiter, um die Kohlenstofffreisetzung dieser Flächen zu bestimmen. „Unsere Berechnungen belegen, dass die Kohlenstoff-Emission von Talsperren bislang deutlich unterschätzt wurde: Im globalen Schnitt setzen sie sie doppelt so viel Kohlenstoff frei wie sie speichern, sagt Koschorreck. „Ihr Image als Netto-Kohlenstoffspeicher im globalen Kohlenstoffkreislauf muss wohl als überholt angesehen werden.“

Die Untersuchungsdaten zeigen darüber hinaus, dass die Stärke der Wasserstandsschwankungen von Talsperren sowohl von ihrer Nutzung als auch von ihrer geografischen Lage abhängig sind. „Bei Reservoiren für die Bewässerung waren die Schwankungen ausgeprägter als bei solchen, die für die Erzeugung von Wasserkraft genutzt wurden“, sagt Keller. „Und an Orten, an denen das jährliche Niederschlagsmuster gleichmäßiger ist – etwa in Richtung der Pole und im Bereich des Äquators –, gab es weniger große Schwankungen des Wasserstands als in den mittleren Breiten, wo größere Flächen der Talsperren oftmals auch über sehr viel längere Zeiträume trockenlagen.“

Das Forscherteam konnte am Beispiel der Talsperren zeigen, welchen entscheidenden Einfluss trockenfallende Bereiche auf die globale Kohlenstoffbilanz von Gewässern haben. „Wir hoffen, dass wir mit unserer Studie einen Anstoß geben können, bei der Bilanzierung von Kohlenstoffflüssen natürlicher Binnengewässer künftig auch die trockenfallenden Flächen mit zu berücksichtigen“, sagt Koschorreck. Darüber hinaus könnten die neuen Erkenntnisse in ein klimaschonenderes Management von Talsperren einfließen. Denn muss das Wasser wegen Wartungsarbeiten abgelassen werden, ist mit Blick auf die Kohlenstofffreisetzung der richtige Zeitpunkt wichtig: Liegen die Arbeiten anstatt im Sommer in den kälteren Monaten, laufen die Abbauprozesse des freiliegenden kohlenstoffhaltigen Materials sehr viel langsamer ab, und die Kohlenstoff-Emission ist deutlich geringer.

Um die Kohlenstoffbilanz von Talsperren noch besser zu verstehen, wird das Forscherteam um Matthias Koschorreck künftig sowohl die Freisetzung der Treibhausgase Kohlendioxid und Methan als auch die Vegetation auf ihren trockengefallenen Flächen unter die Lupe nehmen.

Wissenschaftliche Ansprechpartner:

Dr. Matthias Koschorreck
UFZ-Department Seenforschung
matthias.koschorreck@ufz.de

Philipp Keller
philipp.keller@ufz.de

Originalpublikation:

Keller P., Marcé R., Obrador B. and Koschorreck, M: Global carbon budget of reservoirs is overturned by the quantification of drawdown areas; Nature Geoscience, DOI 10.1038/s41561-021-00734-z
https://dx.doi.org/10.1038/s41561-021-00734-z

http://www.ufz.de/

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