Immunzellen treiben entzündliche Fett-Lebererkrankung an

Immunfluoreszenzaufnahme einer menschlichen NASH-Leber: Die rot gefärbten DC1-Zellen patrouillieren durch die erweiterten Leberkapillaren (gelb). Fetttröpfchen sind als schwarze Kreise zu erkennen.
Quelle: Heikenwälder / DKFZ

Ein bestimmter Typ der zum Immunsystem zählenden dendritischen Zellen ist bei Mäusen und Menschen verantwortlich für die Gewebeschäden, die bei der Leberentzündung NASH (nicht-alkoholische Steato-Hepatitis) auftreten. Die dendritischen Zellen stiften T-Zellen zu aggressivem, entzündungsförderndem Verhalten an. Dies entdeckten nun Wissenschaftler vom Deutschen Krebsforschungszentrum gemeinsam mit Kollegen von israelischen Forschungseinrichtungen. Bei Mäusen lindert eine Blockade dieser dendritischen Zellen die Krankheitssymptome. Ein solcher Ansatz könnte auch verhindern, dass sich bei NASH-Patienten schwere Leberschäden entwickeln.

Fettleibigkeit ist in der westlichen Welt extrem verbreitet, und 90 Prozent der Betroffenen zeigen dabei Anzeichen einer Leberverfettung. Wenn die Menschen ihren ungesunden Lebensstil dauerhaft beibehalten (hochkalorische Nahrungsaufnahme, sitzende Lebensweise), kommt es bei etwa einem Fünftel der Betroffenen zu einem Absterben der Leberzellen und in der Folge zu einer Leberentzündung, die als NASH (nicht-alkoholische Steato-Hepatitis) bezeichnet wird. NASH kann Leberfibrose, lebensbedrohliche Leberzirrhose und Leberkrebs nach sich ziehen.

Neben ihren bekannten Aufgaben beim Stoffwechsel und bei der Entgiftung hat die Leber auch eine strategische Funktion bei der Immun-Überwachung unseres Körpers: Sie stellt die vorderste Abwehr-Front gegen alle mikrobiellen Bestandteile oder Nahrungsmitteltoxine dar, die aus dem Darm über die Pfortader in den Körper gelangen. Um diese Aufgabe zu bewältigen, patrouilliert eine ganze Armada verschiedener Immunzellen durch die Leber.

„Wir wollten wissen, welche Immun- bzw. Entzündungszellen in der Leber eine NASH und die damit verbundenen Gewebeschädigungen antreiben“, sagt Mathias Heikenwälder vom Deutschen Krebsforschungszentrum. Die DKFZ-Forscher gingen nun gemeinsam mit Kollegen vom Weizmann Institute of Sciences und vom Sheba Medical Center in Israel dieser Frage nach. Dazu analysierten sie, wie die Zusammensetzung der Immunzellen in der Leber mit dem Grad der NASH-bedingten Gewebeschädigung zusammenhängt. So konnten sie einen bestimmten Typ von Immunzellen identifizieren, der das Fortschreiten der Erkrankung fördert – sowohl in Mäusen als auch beim Menschen.

Der Hinweis kommt von Labormäusen auf „Junk Food“

Um das Immunsystem bei NASH zu untersuchen, fütterten die Wissenschaftler Labormäuse mit einer Diät, der es an essentiellen Nährstoffen mangelte, die aber mit Fett und Cholesterin angereichert war – vergleichbar unserem „Junk Food“ – und beobachteten die Entwicklung von NASH. Dabei untersuchten sie die Leber-Immunzellen per Einzelzell-RNA-Sequenzierung und fanden heraus, dass sich bei NASH ein bestimmter Zelltyp, die sogenannten dendritischen Zellen vom Typ 1 (oder cDC1), in außergewöhnlich hoher Zahl in der Leber ansammelt.

Dabei handelt es sich nicht um ein reines Maus-Phänomen. Auch in Gewebeproben, die Patienten bei Leberbiopsien entnommen wurden, fanden die Forscher: Je höher die Anzahl der cDC1, desto stärker ausgeprägt waren die NASH-typischen Leberschäden.

Haben die cDC1 tatsächlich einen Effekt auf die Leberpathologie? Dazu analysierten die Forscher auf zwei Wegen. Sie untersuchten Mäuse, die genetisch so verändert waren, dass ihnen cDC1 fehlen. Außerdem blockierten sie cDC1 in der Leber durch spezifische Antikörper. In beiden Versuchsansätzen war niedrigere Aktivität der cDC1 mit einer Linderung der Leberschäden verbunden.

Normalerweise überleben dendritische Zellen nur wenige Tage und müssen laufend vom Immunsystem ersetzt werden. Die Forscher entdeckten nun, dass die NASH-bedingten Gewebeschäden das blutbildende System im Knochenmark modulieren, so dass sich die Vorläufer der cDC1 häufiger teilen und mehr Nachschub bilden.

Dendritische Zellen induzieren aggressives Verhalten von T-Zellen

Bei einer normalen Immunreaktion suchen dendritische Zellen die Organe nach immunologischen Auffälligkeiten ab und wandern dann zu den benachbarten Lymphknoten, den Kommandozentralen der Immunreaktion, um diese Informationen an die T-Zellen weiterzuleiten. Das deutsch-israelische Team entdeckte nun, dass die cDC1 bei einer NASH in den für die Leber zuständigen Lymphknoten T-Zellen zu entzündlichem und aggressiveren Verhalten anstiften, das Leberschäden verursacht und die Erkrankung verschlimmert. „Diese autoaggressiven T-Zellen konnten wir erst vor kurzem als verantwortlich für die Leberschädigung bei einer NASH identifizieren – nun überblicken wir auch, wer sie zu diesem schädlichen Verhalten antreibt“, sagt Mathias Heikenwälder.

Nachdem sich die cDC1 als wichtiger Akteur beim Voranschreiten der NASH herausgestellt haben, könnte eine gezielte Manipulation dieser Zellen einen neuen Weg darstellen, die Leberentzündung und ihre schwerwiegenden Folgen zu behandeln. „Wir erkennen immer besser, dass bestimmte Zellen des Immunsystems an der Entstehung verschiedener Krankheiten beteiligt sind, darunter Krebs, Fettleibigkeit, Diabetes oder Alzheimer. Die Medizin verfolgt daher zunehmend Ansätze, das Immunsystem zu modulieren und mit Wirkstoffen in eine gewünschte Richtung zu lenken. Ein solcher Ansatz könnte auch funktionieren, um bei NASH-Patienten schwere Leberschäden zu vermeiden“, erklärt Heikenwälder.

Eran Elinav, ebenfalls Letztautor der Studie, der Forschungsgruppen am DKFZ und am Weizmann Institut leitet, hält es für sehr wahrscheinlich, dass auch die Bakterien des Darms die Immunzellen in dieser Erkrankung beeinflussen: „Wir wollen nun herausfinden, wie der Darm bzw. seine bakteriellen Bewohner die Aktivierung der Immunzellen in der Leber beeinflusst. So hoffen wir, neue Behandlungsstrategien entwickeln zu können.“

Warum Tierversuche in der Krebsforschung unverzichtbar sind

Leberkrebs ist das Paradebeispiel für eine durch chronische Entzündungen ausgelöste Krebserkrankung. Bis vor wenigen Jahren wiesen epidemiologische Untersuchungen chronische Infektion mit Hepatitisviren als Haupttreiber der Erkrankung aus. Doch in den letzten Jahren ist der Anteil der stoffwechselbedingten Tumoren stetig gestiegen. Forscher suchen daher dringend nach Wegen, diese verhängnisvolle Kaskade der Adipositas-bedingten Krebsentstehung besser zu verstehen, um therapeutisch – oder besser noch präventiv – eingreifen zu können. Für diese Untersuchungen müssen sie herausfinden, wie die Adipositas, die sich systemisch auf den gesamten Organismus auswirkt, in die Stoffwechselvorgänge und Immunreaktionen in der Leber eingreift. Dieses komplexes Geschehen lässt sich nicht in der Kulturschale nachstellen, sondern erfordert die Beobachtungen des gesamten Organismus. Untersuchungen an Mäusen sind besonders geeignet, da vergleichsweise einfach einzelne molekulare Treiber des Entzündungsvorgangs genetisch beeinflusst und damit ihre genaue Rolle identifiziert werden kann.

Aleksandra Deczkowska, Eyal David, Pierluigi Ramadori, Dominik Pfister, Michal Safran, Baoguo Li, Amir Giladi, Diego Adhemar Jaitin, Oren Barboy, Merav Cohen, Ido Yofe, Chamutal Gur, Shir Shlomi-Loubato, Sandrine Henri, Yousuf Suhail, Mengjie Qiu, Shing Kam, Hila Hermon, Eylon Lahat, Gil Ben-Yakov, Oranit Cohen-Ezra, Yana Davidov, Mariya Likhter, David Goitein, Susanne Roth, Achim Weber, Bernard Malissen, Assaf Weiner, Ziv Ben-Ari, Mathias Heikenwälder*, Eran Elinav*, Ido Amit*: XCR1+ type 1 conventional dendritic cells drive liver pathology in Non-Alcoholic Steatohepatitis
Nature Medicine 2021, DOI: https://www.nature.com/articles/s41591-021-01344-3

Ein Bild steht zum Download zur Verfügung unter:
https://www.dkfz.de/de/presse/pressemitteilungen/2021/bilder/NASH-cDCs-40X.jpg

BU: Immunfluoreszenzaufnahme einer menschlichen NASH-Leber: Die rot gefärbten DC1-Zellen patrouillieren durch die erweiterten Leberkapillaren (gelb). Fetttröpfchen sind als schwarze Kreise zu erkennen. Quelle: Heikenwälder / DKFZ

Nutzungshinweis für Bildmaterial zu Pressemitteilungen
Die Nutzung ist kostenlos. Das Deutsche Krebsforschungszentrum (DKFZ) gestattet die einmalige Verwendung in Zusammenhang mit der Berichterstattung über das Thema der Pressemitteilung bzw. über das DKFZ allgemein. Bitte geben Sie als Bildnachweis an: „Quelle: Heikenwälder / DKFZ“.

Eine Weitergabe des Bildmaterials an Dritte ist nur nach vorheriger Rücksprache mit der DKFZ-Pressestelle (Tel. 06221 42 2854, E-Mail: presse@dkfz.de) gestattet. Eine Nutzung zu kommerziellen Zwecken ist untersagt.

Das Deutsche Krebsforschungszentrum (DKFZ) ist mit mehr als 3.000 Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern die größte biomedizinische Forschungseinrichtung in Deutschland. Über 1.300 Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler erforschen im DKFZ, wie Krebs entsteht, erfassen Krebsrisikofaktoren und suchen nach neuen Strategien, die verhindern, dass Menschen an Krebs erkranken. Sie entwickeln neue Methoden, mit denen Tumoren präziser diagnostiziert und Krebspatienten erfolgreicher behandelt werden können.

Beim Krebsinformationsdienst (KID) des DKFZ erhalten Betroffene, interessierte Bürger und Fachkreise individuelle Antworten auf alle Fragen zum Thema Krebs.

Gemeinsam mit Partnern aus den Universitätskliniken betreibt das DKFZ das Nationale Centrum für Tumorerkrankungen (NCT) an den Standorten Heidelberg und Dresden, in Heidelberg außerdem das Hopp-Kindertumorzentrum KiTZ. Im Deutschen Konsortium für Translationale Krebsforschung (DKTK), einem der sechs Deutschen Zentren für Gesundheitsforschung, unterhält das DKFZ Translationszentren an sieben universitären Partnerstandorten. Die Verbindung von exzellenter Hochschulmedizin mit der hochkarätigen Forschung eines Helmholtz-Zentrums an den NCT- und den DKTK-Standorten ist ein wichtiger Beitrag, um vielversprechende Ansätze aus der Krebsforschung in die Klinik zu übertragen und so die Chancen von Krebspatienten zu verbessern.
Das DKFZ wird zu 90 Prozent vom Bundesministerium für Bildung und Forschung und zu 10 Prozent vom Land Baden-Württemberg finanziert und ist Mitglied in der Helmholtz-Gemeinschaft Deutscher Forschungszentren.

Ansprechpartner für die Presse:

Dr. Sibylle Kohlstädt
Pressesprecherin
Strategische Kommunikation und Öffentlichkeitsarbeit
Deutsches Krebsforschungszentrum
Im Neuenheimer Feld 280
69120 Heidelberg
T: +49 6221 42 2843
F: +49 6221 42 2968
E-Mail: S.Kohlstaedt@dkfz.de

Originalpublikation:

Aleksandra Deczkowska, Eyal David, Pierluigi Ramadori, Dominik Pfister, Michal Safran, Baoguo Li, Amir Giladi, Diego Adhemar Jaitin, Oren Barboy, Merav Cohen, Ido Yofe, Chamutal Gur, Shir Shlomi-Loubato, Sandrine Henri, Yousuf Suhail, Mengjie Qiu, Shing Kam, Hila Hermon, Eylon Lahat, Gil Ben-Yakov, Oranit Cohen-Ezra, Yana Davidov, Mariya Likhter, David Goitein, Susanne Roth, Achim Weber, Bernard Malissen, Assaf Weiner, Ziv Ben-Ari, Mathias Heikenwälder*, Eran Elinav*, Ido Amit*: XCR1+ type 1 conventional dendritic cells drive liver pathology in Non-Alcoholic Steatohepatitis
Nature Medicine 2021, DOI: https://www.nature.com/articles/s41591-021-01344-3

http://www.dkfz.de

Media Contact

Dr. Sibylle Kohlstädt Presse- und Öffentlichkeitsarbeit
Deutsches Krebsforschungszentrum

Alle Nachrichten aus der Kategorie: Biowissenschaften Chemie

Der innovations-report bietet im Bereich der "Life Sciences" Berichte und Artikel über Anwendungen und wissenschaftliche Erkenntnisse der modernen Biologie, der Chemie und der Humanmedizin.

Unter anderem finden Sie Wissenswertes aus den Teilbereichen: Bakteriologie, Biochemie, Bionik, Bioinformatik, Biophysik, Biotechnologie, Genetik, Geobotanik, Humanbiologie, Meeresbiologie, Mikrobiologie, Molekularbiologie, Zellbiologie, Zoologie, Bioanorganische Chemie, Mikrochemie und Umweltchemie.

Zurück zur Startseite

Kommentare (0)

Schreiben Sie einen Kommentar

Neueste Beiträge

Größte bisher bekannte magnetische Anisotropie eines Moleküls gemessen

An der Berliner Synchrotronstrahlungsquelle BESSY II ist es gelungen, die größte magnetische Anisotropie eines einzelnen Moleküls zu bestimmen, die jemals experimentell gemessen wurde. Je größer diese Anisotropie ist, desto besser…

Tsunami-Frühwarnsystem im Indischen Ozean

20 Jahre nach der Tsunami-Katastrophe… Dank des unter Federführung des GFZ von 2005 bis 2008 entwickelten Frühwarnsystems GITEWS ist heute nicht nur der Indische Ozean besser auf solche Naturgefahren vorbereitet….

Resistente Bakterien in der Ostsee

Greifswalder Publikation in npj Clean Water. Ein Forschungsteam des Helmholtz-Instituts für One Health (HIOH) hat die Verbreitung und Eigenschaften von antibiotikaresistenten Bakterien in der Ostsee untersucht. Die Ergebnisse ihrer Arbeit…