TV-Doku: Was ist Leben?
Was ist Leben? – auf den ersten Blick eine recht simple Frage: Lebewesen haben eine sich evolutionär entwickelnde DNA, interagieren mit ihrer Umwelt und sind dafür ausgelegt, sich zu replizieren. Doch längst nicht alle Wissenschaftler teilen die Auffassung, dass eine DNA ursächlich für Lebensformen ist. Sie halten diesen Ansatz für anthropozentrisch und meinen, dass die Evolution einer DNA nur eine spezifische Ausprägung möglicher Lebensformen ist: die nämlich, auf der alles irdisches Leben basiert. Wissenschaftlichen Konsens darüber, was Leben ist, gibt es längst noch nicht.
Mit Christopher Coenen, der sich unter anderem intensiv mit der Ideengeschichte des Lebensbegriffs befasst, geht Susanne Päch in der HYPERRAUM.TV-Doku „Was ist Leben? – eine allgemein akzeptierte Definition des Begriffs gibt es nicht“ auf Spurensuche nach möglichen, auch verschiedenartigen Erklärungen für den Lebensbegriff. Ist es das Denken allein, das Leben ausmacht – also René Descartes‘ Cogito ergo sum? – eine Vorstellung, die tief in der abendländischen Kultur verwurzelt ist und von Transhumanisten wie Elon Musk heute propagiert wird. Ist daher der ewig lebende, nur noch digital „denkende“ Mensch ein erfolgversprechendes Zukunftsmodell von Leben? Solche Aspekte hängen natürlich auch eng mit der heute breit diskutierten Frage zusammen, ob eine künstliche Intelligenz das Potenzial dazu hat, zu einem Lebewesen zu werden. In diesem Kontext steht oft der Begriff der „Spontanzeugung“ im Mittelpunkt. Neu ist der, wie Coenen ausführt, allerdings nicht: Er wurde schon vor zweitausend Jahren von Aristoteles geprägt. Er nutzte ihn für die Beschreibung einer dritten Art der Entstehung von Leben: neben der vegetativen und der sexuellen Fortpflanzung. Er dachte dabei noch an Lebensformen wie Insekten, deren Larven für den antiken Biologen scheinbar aus dem Schlamm geboren wurden, also aus anorganischem Material.
Dass Intelligenz in jedem Fall ein wichtiges Merkmal von Leben ist, wird heute von keinem seriösen Forscher bezweifelt. Offen bleibt aber, ob das kognitiv bestimmte und ressourcenschonende Verhalten in der Umwelt – und damit die Sicherung der eigenen Überlebensfähigkeit – für die Definition von Intelligenz ausreichend ist. Für Coenen wird dem, was heute als „soziale Intelligenz“ bezeichnet wird, zu wenig Beachtung geschenkt – auch im Zusammenhang mit der Diskussion um KI. Denn ohne diese soziale Kompetenz kann ein Gemeinschaftswesen nicht dauerhaft existieren, so Coenen. In Maschinen, die heute lernen, sich in der Umwelt zu verhalten und die inzwischen sogar Gefühle eingepflanzt bekommen, fehlt noch jegliche soziale Intelligenz.
Und gleiches gilt für die meisten Visionen der Transhumanisten. Sie suchen nach dem technisch optimierten Menschen mit perfektioniertem Gedächtnis und dem Netzzugriff auf das gesamte Wissen der Erde, zuletzt völlig entkörpert – aber irgendwie dann doch auf der intellektuellen Stufe des Jetzt mit all seinen sozialen wie moralischen Defiziten.
Einige Avantgardisten haben das offenbar erkannt. Ihre Antwort darauf heißt: moral enhancement! Es kursieren bereits Vorstellungen dazu, wie sich dieses Manko technologisch optimieren ließe: Amputation des hohen Aggressionspotentials bei Männern – und für die Gleichberechtigung der Frau die Auslagerung der weiblichen Gebärmutter in einen Apparat! Aber wer entscheidet darüber, was den „besseren Menschen“ ausmacht? Der Einzelne? Die Intellektuellen aus der Wissenschaft? Regierungen von Staaten? Repräsentative Vertreter bestimmter Kulturkreise? Oder gar die Künstliche, weil vermeintlich neutrale Intelligenz? Die Antworten würden ganz unterschiedlich ausfallen.
Auch mit einer wie auch immer zu gestaltenden moralischen Optimierung bliebe dennoch festzuhalten: Der maschinell und algorithmisch voll aufgepeppte homo sapiens basiert dennoch auf der biologisch-evolutionären Grundlage eines Individuums heutiger Prägung, das für Kriege, Vermüllung der Erde und ausgedehnten Raubbau der Ressourcen verantwortlich ist. Die Transhumanisten wollen menschliches Leben zu einem evolutionär stabilisierten Digitalwesen auf der intellektuellen Stufe eines Steinzeitwesens konvertieren. Wo also bleibt das social enhancement, das nicht mehr das einzelne Individuum, sondern das Kollektiv in den Fokus der Betrachtung schiebt und die soziokulturelle Evolution direkt in den Menschen eingepflanzt? Wenn der Traum der Transhumanisten Realität werden sollte, dann ist es gut möglich, dass der Mensch bei der von ihnen anvisierten Expansion in die unendlichen Weiten des Alls eine Spur der Verwüstung hinter sich her zieht. Dass allerdings solch social enhancement nicht nur möglich ist, sondern schon gedacht und sogar gemacht wird, bietet experimentelle Perspektiven, die für manche wiederum ein unerträgliches Horrorszenario entwerfen. Für andere – wie Coenen – könnten sie einen kleinen Lichtblick am Ende des Tunnels zeigen. So gibt es Versuche, wie man in einer virtuellen Welt den Schmerz anderer Wesen selbst spüren kann. Eine technisch getragene Optimierung sozialer Fähigkeiten, denn die, wie Coenen sagt, die Missstände am eigenen Leib erleben, bewerten diese grundsätzlich anders. Man stelle sich beispielsweise vor, so Coenen, „alle Menschen müssten erleiden, was heute in Folterkammern geschieht…“
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Dr. Susanne Päch
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