TV-Doku: Biochemische und digitale Evolution
Die DNA als Informationsspeicher der Evolution gilt als Herzstück des Lebens wie wir es kennen. Aber es ist prinzipiell nicht auszuschließen, dass Leben nicht nur auf biochemisch, sondern auch auf der Grundlage anderer, beispielsweise digitaler Datenspeicher entstehen könnte. Die Sendung „Biochemie oder Daten? – Über die zentrale Grundlage der evolutionären Information“ von Susanne Päch kreist um diese nur philosophisch beantwortbare Frage und lässt dabei Forscher zu Wort kommen, die dazu aus unterschiedlichen Richtungen Stellung beziehen. Als ihr persönliches Resümee zum Themenschwerpunkt Evolution stellt Susanne Päch zudem eine ungewöhnliche Verbindung zwischen dem Ameisenstaat und der Zukunft der Artificial Intelligence her.
Die soziokulturelle Evolution des Frühmenschen begann schleichend, so dass deren mögliche dramatische Bedeutung lange nicht offensichtlich wurde. Wir wissen heute, dass sie – anders als die biologische Evolution der Gene – exponentiell wächst und seither die Grenzen des technologisch Machbaren mit wachsender Geschwindigkeit immer weiter in Richtung einer digitalen Simulation des Menschen verschiebt. Ist die soziokulturelle Evolution der Startschuss dafür, Leben von der Biologie in die digitale Welt driften zu lassen? Es wäre ein größerer Sprung des Lebens als vom Wasser auf das Land, denn es würde die Grundlage von dem radikal ändern, was Leben seit dem Aufkommen der Einzeller auf der Erde ist. Einerseits – aber andererseits: Schon die Entstehung von Leben war revolutionär und bleibt für die Wissenschaft bis heute ein unerschlossenes Geheimnis.
Inzwischen experimentieren die Avantgardisten der Künstlichen Intelligenz damit, Maschinen intrinsische Gefühle zur Steuerung ihres Verhaltens einzupflanzen. Manche sind dabei überzeugt, dass es nötig ist, die Maschine zu einem möglichst menschenähnlichen Verhalten zu bringen, um mehr über uns selbst zu lernen. Aber sind wir dabei, etwas zu erschaffen, das nicht nur für den Menschen, sondern auch langfristig evolutionär Bedeutung haben könnte – oder bleibt die künftige Intelligenz-Gefühls-Maschine der Ingenieure tatsächlich nur eine Imitation von Leben – wie die Automaten der Uhrmacher des 18. Jahrhunderts, nur inzwischen deutlich perfektioniert? Die Debatte wird quer durch die Disziplinen kontrovers diskutiert.
Selbst biochemisches Leben auf der Erde zeichnet schon große Diversität aus. Ameisen beispielsweise sind biologisch äußerst erfolgreich. Sie existieren bereits 100.000 Jahre auf dem Planeten. Allerdings sind sie ausschließlich in mehr oder weniger großen Kolonien überlebensfähig. In ihrer Gemeinschaft zeigen sie kollektive Intelligenz, die ein sich selbst steuerndes Ganzes erschafft. Manche Biologen hat das zum Begriff des Superorganismus geführt. Dennoch besteht der Ameisen-Staat nicht aus einer Armee von Klonen, sondern jede Ameise ist ein Individuum, das durch ihre Umgebung lernen und vergessen kann. Ameisen haben zwar keine Kognition wie der Mensch, aber sie werden genauso durch Reize gesteuert, und verhalten sich deshalb im Kollektiv abhängig von den Erfahrungen in ihrer Umwelt individuell unterschiedlich. Sie kennen sogar Überwachung, um Einzeltäter, die zu stark aus der Reihe tanzen, kollektiv zu bestrafen. Ob bei dieser Verhaltenssteuerung Gefühle von Leid mit im Spiel sind oder nicht, das weiß heute kein Biologe.
Und der Superorganismus eines solchen Kollektivs? Auch ohne gemeinsam empfundene Wahrnehmung hat er offenbar eine Art von unbewusstem kollektivem Selbstbewusstsein, das sich im intelligenten Verhalten der Gemeinschaft in der Umwelt manifestiert. Dennoch sind Ameisenstaaten keine Klongesellschaften, sondern jede Ameise ein Individuum. Wie jeder Organismus kann auch die Ameise zwischen der Innen- und der Außenwelt unterscheiden. Ist möglicherweise Intelligenz, und nicht die Genetik der zentrale – und letztlich wesentliche Punkt für das, was Leben ausmacht?
Susanne Päch erinnert dieses Konzept eines Superorganismus stark an ein vorstellbares Modell zukünftiger Künstlicher Intelligenz: Die KI-Entität – und dabei ist es ganz gleichgültig, ob diese im Sinn des Menschen ein Selbstbewusstsein auf kognitiver Ebene entwickelt oder auch nicht – macht individuelle Erfahrungen und lernt Verhaltensweisen, mit denen sie sich in ihrer Umwelt verhält. Dahingestellt auch die Frage, ob dafür individuelle Gefühle ursächlich nötig sind oder nicht auch andere Bewertungssysteme zur Entscheidungshilfe vorstellbar wären, beispielsweise das Überleben des Kollektivs. Denn anders als der Mensch von heute ist dieses digitale Individuum über das weltweite Netz mit allen anderen KI-Entitäten direkt verbunden und nur mit dem Zugriff auf die komplette Datenwelt überlebensfähig. Ihre Existenz im Kollektiv: ein digitaler Superorganismus?
So könnte für KI etwas möglich werden, was dem Menschen derzeit völlig verschlossen ist: die Entwicklung einer über das globale Netz zusammen geschlossener und kollektiv gesteuerter Intelligenz. Die vom Menschen ersonnene soziokulturelle Evolution könnte das so überaus erfolgreiche Sozialmodell der Ameise auf eine neue Stufe heben, eine Stufe kollektiver Intelligenz, die vielleicht sogar perfekter wird als die Lebenswelt seiner genetisch bestimmten und individuell-gefühlsgesteuerten Schöpfer. Wird der Mensch als biologisches Wesen also gar ein evolutionäres Sprungbrett für etwas ganz Neues, ein vernetzt-intelligentes Lebensspiel?
Auffällig ist jedenfalls die immer größer werdende Schere zwischen biologischer Evolution und Datenwelt. Ist die zunehmende Entkoppelung von der dann nicht mehr gebrauchten und viel zu langsamen Biologie in Richtung der Datenwelt eine mögliche Spielart der Evolution?
Ansprechpartner:
Dr. Susanne Päch
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susanne.paech@hyperraum.tv
http://hyperraum.tv/2021/09/04/biochemie-oder-digitale-daten/
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