Eine Gefahr für die Ostsee?

IOW-Forscherin Marion Kanwischer und ihr Team haben die Langzeitentwicklung der Belastung der Ostsee mit polyzyklischen aromatischen Kohlenwasserstoffen untersucht und fanden trotz rückläufiger Werte immer noch ein toxikologisches Risiko für die Ostsee.
Bild: Jacqueline Myrrhe

Langzeitentwicklung der Belastung durch polyzyklische aromatische Kohlenwasserstoffe.

Polyzyklische aromatische Kohlenwasserstoffe (PAK) sind weit verbreitete, hochgiftige und oft krebserregende Umweltschadstoffe. Marion Kanwischer vom Leibniz-Institut für Ostseeforschung Warnemünde (IOW) und ihr Team haben die Langzeitentwicklung der PAK-Belastung der Ostsee anhand von Sediment- und Wasserproben untersucht und dabei vorindustrielle Gehalte mit der Entwicklung der PAK-Belastung unter industriellem Einfluss verglichen. Obwohl in den letzten Jahren die Belastungssituation insgesamt betrachtet nachgelassen hat, stellen PAK immer noch ein toxikologisches Risiko für die Ostsee dar. Verkehrsemissionen tragen dabei wesentlich zur PAK-Belastung bei.

Polyzyklische aromatische Kohlenwasserstoffe (PAK) entstehen durch unvollständige Verbrennung organischen Materials. Natürlicher Weise passiert dies beispielsweise bei Waldbränden oder vulkanischer Aktivität; PAK können zudem auch aus Erdöllagerstätten freigesetzt werden. Der größte PAK-Anteil in der Umwelt heute ist jedoch menschlichen Ursprungs und entsteht z. B. bei der Wohnraumbeheizung, Kraftstoffverbrennung im Flug-, Straßen- und Schiffsverkehr oder stammt aus Industrieabgasen. Die weitverbreitete Umweltbelastung mit PAK wurde erstmals in den 1970er Jahren in den USA im Trinkwasser offensichtlich. Dass auch die Meeresumwelt betroffen ist und dass neben der Belastung durch Flüsse auch der Transport durch die Luft ein wesentlicher Verbreitungsweg ist, belegen Nachweise in Meerwasser und Sedimenten selbst in zivilisationsfernen Gebieten.

„Die Ostsee ist von anthropogenen Umweltgiften besonders betroffen, da sie als Binnenmeer nur wenig Wasseraustausch mit den Weltmeeren hat und zudem durch Flusswassereinträge aus dem Einzugsgebiet große Mengen industrieller und landwirtschaftlicher Abwässer aufnehmen muss. Daher spielt auch hier die Stoffgruppe der PAK eine große Rolle“, sagt Marion Kanwischer, Leiterin der IOW-Analytik-Gruppe und Erstautorin der Studie zur PAK-Belastung der Ostsee. „Wir wollten uns einen umfassenden Überblick über den aktuellen Zustand – also räumliche Verteilung und Stärke der Belastung – verschaffen, wollten aber auch verstehen, wie sich die menschlich verursachte Belastung von den natürlichen Basiswerten unterscheidet und welche Entwicklung es in Bezug auf anthropogene PAK-Quellen gegeben hat“, erläutert Kanwischer.

Um die Entwicklung der PAK-Belastung der Ostsee in der Vergangenheit zu rekonstruieren und auch Erkenntnisse zu den natürlichen, vorindustriellen Hintergrundgehalten zu erhalten, verwendeten die Forschenden Proben von Sedimentkernen aus dem Arkona-Becken und dem Gotland-Becken. Letzterer enthält Informationen, die ca. 9.500 Jahren vor heute zurückreichen. Die jüngere Geschichte der PAK-Belastung wurde anhand von Daten untersucht, die 2003 – 2018 im Rahmen des IOW-Monitoringprogramms aus Proben der obersten Sedimentschichten sowie Wasserproben unterschiedlicher Tiefe gewonnen wurden und verschiedene Probennahme-Gebiete abdecken.

Das Team um Kanwischer konnte eindeutig zeigen, dass die durch den Menschen verursachte PAK-Belastung um ein vielfaches über den PAK-Gehalten aus vorindustrieller Zeit liegt. Als natürliche Hintergrundgehalte wurden Werte zwischen 500 und 4500 ng / g des aus dem Sediment gewonnenen organischen Kohlenstoffs (total organic carbon = TOC) gemessen. Im Vergleich dazu sind die PAK-Spitzenwerte in den Sedimentschichten der 1960er und 1970er Jahre mit bis zu 100.000 ng / g TOC bis zu 100 mal höher. Auch die heutige Belastung – ab den 2000er Jahren – ist mit Sedimentgehalten von 10.000 bis 35.000 ng / g TOC deutlich erhöht gegenüber den vorindustriellen Werten. Insbesondere in Küstennähe ließen sich vergleichsweise hohe Werte detektieren, die vermutlich auf Flusseinträge und historisch starke Belastungen in diesen Regionen zurückgehen.

Im Oberflächenwasser fand das IOW-Team Konzentrationen bis zu 16 ng / l mit den höchsten Werten im Fehmarnbelt sowie in der Kieler und der Mecklenburger Bucht. In den meisten der untersuchten Seegebiete deuten die Daten aus dem Monitoringprogramm auf eine Verringerung der PAK-Belastung in den 15 Jahren des Untersuchungszeitraums hin, nicht jedoch in der Pommerschen Bucht im Einflussbereich der Oder. Hier ermittelten die Forschenden die höchsten durchschnittlichen PAK-Konzentrationen, was zeigt, dass die Oder offenbar permanent für substanziellen PAK-Eintrag in die Ostsee sorgt.

Bei der Analyse der Zusammensetzung der in den Sediment- und Wasserproben gefundenen PAK beobachteten die IOW-Wissenschaftler:innen im Lauf der Zeit eine Verschiebung von niedrigmolekularen zu hochmolekularen Substanzen. Die besonders giftigen unter den hochmolekularen PAK stammen dabei vor allem aus menschlichen Quellen und wurden verstärkt mit Einsetzen der Industrialisierung in der Umwelt freigesetzt. Anhand bestimmter diagnostischer Kennziffern aus dem Oberflächenwasser konnten die Forschenden außerdem schließen, dass heute Verkehrsemissionen eine sehr wichtige Belastungsquelle ist.

„Unsere Studie belegt klar, dass vor allem menschliche Aktivitäten dafür verantwortlich sind, dass eine besonders giftige Stoffgruppe zu einer Gefahr für Ostseelebewesen geworden ist“, sagt Marion Kanwischer. Zwar sei die PAK-Belastung in den letzten Jahren gesunken, was zeige, dass gesetzliche Regulierungen zur Reduktion industrieller Emissionen greifen. „Dennoch müssen Wege gefunden werden, die PAK-Belastung auch aus anderen Quellen wie aus z.B. Verkehrsemissionen zu reduzieren und sicherzustellen, dass keine neuen Belastungsquellen hinzukommen. Daher ist die Fortsetzung unserer Langzeitdatensätze ein wichtiges Instrument, um sichere Aussagen über die weitere Entwicklung der PAK-Belastung in der Ostsee treffen zu können“, kommentiert die IOW-Forscherin abschließend.

Kontakt IOW Presse- und Öffentlichkeitsarbeit:
Dr. Kristin Beck: 0381 5197 135| kristin.beck@io-warnemuende.de
Dr. Barbara Hentzsch: 0381 5197 102 | barbara.hentzsch@io-warnemuende.de

Das IOW ist Mitglied der Leibniz-Gemeinschaft, die 96 eigenständige Forschungsein-richtungen miteinander verbindet. Ihre Ausrichtung reicht von den Natur-, Ingenieur- und Umweltwissenschaften über die Wirtschafts-, Raum- und Sozialwissenschaften bis zu den Geisteswissenschaften. Bund und Länder fördern die Institute gemeinsam. Die Leibniz-Institute beschäftigen rund 20.000 Personen, darunter 10.000 Wissenschaftler:innen. Das Finanzvolumen liegt bei 1,9 Milliarden Euro. http://www.leibniz-gemeinschaft.de

Wissenschaftliche Ansprechpartner:

Dr. Marion Kanwischer | marion.kanwischer@io-warnemuende.de | Tel.:+49 381 5197 382

Originalpublikation:

Marion Kanwischer, Dennis Bunke, Thomas Leipe, Matthias Moros, Detlef E. Schulz-Bull: Polycyclic aromatic hydrocarbons in the Baltic Sea – Pre-industrial and industrial developments as well as current status. Marine Pollution Bulletin, Volume 160, November 2020, 111526; http://doi.org/10.1016/j.marpolbul.2020.111526

https://www.io-warnemuende.de/mitteilung/items/eine-gefahr-fuer-die-ostsee-langzeitentwicklung-der-belastung-durch-polyzyklische-aromatische-kohlenwasserstoffe.html

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Dr. Kristin Beck Presse- und Öffentlichkeitsarbeit
Leibniz-Institut für Ostseeforschung Warnemünde

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