„Tauziehen“ der Zellen

„Tauziehen“: Sogenannte Gewinnerzellen ziehen sich seitlich mithilfe des Zytoskeletts (in magenta) zusammen und runden sich nach oben ab, während die benachbarten Verliererzellen auseinandergezogen werden.
(c) Dr. Alexey Chizhik

Forschungsteam unter Leitung der Universität Göttingen untersucht dichte Verbindungen.

Die gemeinsame Bewegung von Zellen ist entscheidend für verschiedene biologische Prozesse in unserem Körper – zum Beispiel, damit Wunden heilen und sich der Organismus entwickeln kann. Diese Bewegung wird durch die Verbindungen zwischen einzelnen Zellen ermöglicht. Diese Verbindungen wiederum werden durch verschiedene Proteinkomplexe hergestellt und übertragen die notwendigen Kräfte zwischen benachbarten Zellen. Ein Forschungsteam unter Leitung der Universität Göttingen und mit Beteiligung des Dresdener Max-Planck-Instituts für molekulare Zellbiologie und Genetik hat gezeigt, dass besonders dichte Verbindungen eine entscheidende Rolle bei der Zellbewegung einnehmen.

Die Forscherinnen und Forscher untersuchten die Verbindungen zwischen den Zellen anhand verschiedener biophysikalischer Methoden. Mittels Videomikroskopie und automatisierter Auswertung analysierten sie die Eigenschaften tausender lebender Zellen über mehr als zwanzig Stunden. Sie beobachteten unter anderem die Größe, Form und Beweglichkeit. Spezifische Proteine wurden zudem mit Antikörpern „angefärbt“, um aufzuklären, was auf molekularer Ebene passiert, wenn die „Tight-Junctions“-Verbindungen verloren gehen.

Wenn diese besonderen Verbindungen fehlen, können Nachbarzellen nicht mehr wie üblich aneinanderkoppeln. Die einzelnen Zellen fangen an, sich sehr stark zusammenzuziehen, und es entsteht eine Art „Tauziehen“ zwischen den Zellen. Prof. Dr. Andreas Janshoff, leitender Autor von der Universität Göttingen, sagt: „Dabei gewinnen manche Zellen und ziehen sich ganz klein zusammen, während andere Zellen verlieren und auseinandergezogen werden. Die Verliererzellen fangen dabei sogar an, sich mehr zu teilen, so dass noch mehr kleine Gewinnerzellen entstehen.“ Die zusammengezogenen Zellen bewegen sich kaum noch, so dass sich das ganze Gewebe wie eingefroren verhält. Wenn diese speziellen Zell-Verbindungen hingegen vorhanden sind, bleibt der Zellverband – flüssigem Wasser ähnlich – sehr beweglich. In gesundem Gewebe können auf diese Art zum Beispiel Wunden heilen, während die Epithelzellen gleichzeitig ihre Barrierefunktion aufrechterhalten.

„Wir waren überrascht, einen solchen Mechanismus des extrem unausgeglichenen Tauziehens zwischen eigentlich gleichen Zelltypen vorzufinden“, sagt Erstautor Mark Skamrahl von der Universität Göttingen. „Der negative Einfluss dieses Tauziehens auf die Bewegung der Zellen ist ein weiterer Befund, wie Zellmechanik biologische Funktionen entscheidend bestimmen kann.“

In der bisherigen Forschung war lediglich die mechanische Rolle der sogenannten „Adherens Junctions“ bei der gemeinsamen Bewegung bekannt. Die Bedeutung der „Tight Junctions“-Verbindungen ist nicht nur für das Wissen um Zellbewegung wesentlich, sie könnte auch einen Beitrag zum Verständnis von Krebserkrankungen leisten.

Die Ergebnisse sind in der Fachzeitschrift Advanced Science erschienen.

Wissenschaftliche Ansprechpartner:

Mark Skamrahl
Georg-August-Universität Göttingen
Institut für Physikalische Chemie
Tammannstraße 6, 37077 Göttingen
E-Mail: mskamra@uni-goettingen.de

Prof. Dr. Andreas Janshoff
Georg-August-Universität Göttingen
Institut für Physikalische Chemie
Tammannstraße 6, 37077 Göttingen
Telefon: 0551-39 23601
E-Mail: ajansho@gwdg.de

Originalpublikation:

Mark Skamrahl et al. Tight Junction ZO Proteins Maintain Tissue Fluidity, Ensuring Efficient Collective Cell Migration. Advanced Science 2021. Doi: https://doi.org/10.1002/advs.202100478

http://www.uni-goettingen.de/

Media Contact

Thomas Richter Öffentlichkeitsarbeit
Georg-August-Universität Göttingen

Alle Nachrichten aus der Kategorie: Biowissenschaften Chemie

Der innovations-report bietet im Bereich der "Life Sciences" Berichte und Artikel über Anwendungen und wissenschaftliche Erkenntnisse der modernen Biologie, der Chemie und der Humanmedizin.

Unter anderem finden Sie Wissenswertes aus den Teilbereichen: Bakteriologie, Biochemie, Bionik, Bioinformatik, Biophysik, Biotechnologie, Genetik, Geobotanik, Humanbiologie, Meeresbiologie, Mikrobiologie, Molekularbiologie, Zellbiologie, Zoologie, Bioanorganische Chemie, Mikrochemie und Umweltchemie.

Zurück zur Startseite

Kommentare (0)

Schreiben Sie einen Kommentar

Neueste Beiträge

Lange angestrebte Messung des exotischen Betazerfalls in Thallium

… hilft bei Zeitskalenbestimmung der Sonnenentstehung. Wie lange hat eigentlich die Bildung unserer Sonne in ihrer stellaren Kinderstube gedauert? Eine internationale Kollaboration von Wissenschaftler*innen ist einer Antwort nun nähergekommen. Ihnen…

Soft Robotics: Keramik mit Feingefühl

Roboter, die Berührungen spüren und Temperaturunterschiede wahrnehmen? Ein unerwartetes Material macht das möglich. Im Empa-Labor für Hochleistungskeramik entwickeln Forschende weiche und intelligente Sensormaterialien auf der Basis von Keramik-Partikeln. Beim Wort…

Klimawandel bedroht wichtige Planktongruppen im Meer

Erwärmung und Versauerung der Ozeane stören die marinen Ökosysteme. Planktische Foraminiferen sind winzige Meeresorganismen und von zentraler Bedeutung für den Kohlenstoffkreislauf der Ozeane. Eine aktuelle Studie des Forschungszentrums CEREGE in…