Finde den Unterschied

Anhand von Parametern, die sie im Hippocampus der Maus gemessen hatten, erstellten die Forscher_innen ein umfassendes Netzwerkmodell der Gehirnregion.
© Peter Rigaud/IST Austria

Unser Gehirn kann dank der sogenannten Mustertrennung sehr ähnliche Muster unterscheiden. Wie genau die Mustertrennung abläuft, ist jedoch noch nicht vollständig geklärt. Anhand eines maßstabsgetreuen Computermodells des Gyrus dentatus, einer Hirnregion, die an der Mustertrennung beteiligt ist, fand Peter Jonas, Professor am Institute of Science and Technology (IST) Austria, heraus, dass hemmende Neuronen, die durch ein Muster aktiviert werden, alle benachbarten Neuronen unterdrücken. Sie können dadurch „konkurrierende“ ähnliche Muster ausschalten. Dies ist das Ergebnis einer Studie, die in Nature Computational Science veröffentlicht wurde.

Eine schwarze Katze ist einem Panther täuschend ähnlich, abgesehen von ihrer Größe. Dieser Unterschied ist aber entscheidend und gelingt dem Menschen dank der Mustertrennung, dem Prozess, bei dem das Gehirn sehr ähnliche Muster unterscheidet und als Reaktion darauf sehr unterschiedliche Verhaltensweisen auslöst: die Katze streicheln und vor dem Panther fliehen. Dieser Prozess ist auch mit dem Lernen verbunden. „Wir müssen nicht nur ähnliche Muster trennen, sondern sie auch speichern und genau abrufen, zum Beispiel wenn wir das nächste Mal einem Panther begegnen. Deshalb haben wir untersucht, wie die Mustertrennung im Hippocampus, einem wichtigen Gedächtnisschaltkreis, abläuft“, sagt Peter Jonas, Professor am IST Austria und Hauptautor der Studie.

500.000 Nervenzellen in einem Modell

In einer früheren Studie haben Jonas und sein Team entscheidende Parameter von Synapsen, den Verbindungspunkten von Neuronen, und Konnektivitätsregeln gemessen. Diese sind notwendig, um die Informationsverarbeitung im Hippocampus-Netzwerk von Mäusen und Ratten zu verstehen. Jonas nutzte nun diese realen Parameter, um ein genaues Modell des Netzwerks zu erstellen – eine Herausforderung, da Modelle von Gehirnschaltkreisen normalerweise mit nur 10 bis 1.000 Neuronen erstellt werden. Der Gyrus dentatus von Ratten enthält jedoch ca. 500.000 erregende Neuronen, sogenannte Körnerzellen. „In verkleinerten Modellen können wir die gemessenen synaptischen Parameter des neuronalen Schaltkreises nicht verwenden. Da wir aber nachahmen wollten, was im Gehirn passiert, und unsere zuvor erhaltenen synaptischen Messungen verwenden wollten, haben wir ein Netzwerk in seiner vollen Größe mit 500.000 Körnerzellen implementiert.“

Hemmung trennt Muster

Mit diesem Computermodell testete Jonas verschiedene Hypothesen darüber, wie die Mustertrennung funktioniert. „Mit diesem Modell können wir nicht einfach nur die Biologie kopieren, sondern systematisch Parameter verändern und Faktoren entflechten. So können wir die Berechnungen im Gehirn verstehen und wie biologische Faktoren die Berechnungen unterstützen oder einschränken.“

In der Vergangenheit dachten Neurowissenschafter_innen auf der Grundlage von Daten aus dem Kleinhirn, dass die Mustertrennung auf Ausdehnung beruht: Ein Muster wird von einer kleineren Anzahl von Neuronen auf eine große Anzahl von Neuronen in der nächsten Verarbeitungsschicht projiziert. Dadurch wird das Muster vergrößert und es wird einfacher, Unterschiede zu erkennen. Während die Ausdehnung im Kleinhirn ein möglicher Mechanismus ist, ist es weniger wahrscheinlich, dass er im Hippocampus zum Tragen kommt, wo Körnerzellen ihre Signale an eine geringere Anzahl CA3-Neuronen in der nächsten Schicht weitergeben.

Professor Peter Jonas deckte einen neuen Mechanismus der Mustertrennung auf.
© Peter Rigaud/IST Austria

„Es ist klar, dass Ausdehnung nicht der einzige Mechanismus im Hippocampus sein kann“, erklärt Jonas. „Unser realistisches Modell deutet darauf hin, dass die Hemmung – aktive Neurone hindern andere Neurone am Feuern – eine wichtige Rolle spielt.“ Mathematisch gesehen hat sich gezeigt, dass die Verringerung der Aktivität in einem Netzwerk es einfacher macht, Unterschiede zwischen den Mustern zu erkennen. Anhand des Hippocampus-Modells untersuchte Jonas die Rolle der Hemmung. „Wenn die Hemmung Teil des Modells ist, werden die Muster robust getrennt. Aber wenn wir die Hemmung herausnehmen, ist dies nicht mehr der Fall. Diese Modellierungsdaten ändern die historische Sichtweise von der Ausdehnung hin zu einem Mechanismus, der auf Hemmung beruht.“

Die neuen Daten erklären auch ein Ergebnis früherer Forschungen, das Jonas verblüfft hat. „Zuvor hatten wir festgestellt, dass die Hemmung im Gyrus dentatus lokal begrenzt ist. Aktivierte Neuronen hemmen andere Zellen nur innerhalb eines 300-Mikrometer-Radius. Wir haben uns lange gefragt, welche funktionelle Rolle eine solche fokale Hemmung haben könnte.“ Das Netzwerkmodell zeigt, dass diese Hemmung Muster besser trennen kann als eine globale Hemmung, bei der die Aktivität des gesamten Netzwerks gedämpft wird. Geschwindigkeit ist bei der Mustertrennung entscheidend, und fokale Hemmung verringert Verzögerungen: Neuronen in einem Muster schalten sich ein und hemmen sehr schnell die umliegenden Zellen, wodurch sichergestellt wird, dass andere Muster nicht eingeschaltet werden. „Das ist eine coole Lösung, aber nicht sehr intuitiv, und wir konnten das nur mithilfe des Modells herausfinden“, betont Jonas. Als nächsten Schritt plant Jonas, die Ergebnisse zurück auf das biologische System zu übertragen und Verhaltensexperimente durchzuführen, um weiter zu erforschen, wie die Hemmung zur Mustertrennung beiträgt.

Publikation:
Guzman et al. 2021. How connectivity rules and synaptic properties shape the efficacy of pattern separation in the entorhinal cortex-dentate gyrus-CA3 network. Nature Computational Science. DOI: 10.1038/s43588-021-00157-1
https://www.nature.com/articles/s43588-021-00157-1

Projektförderung:
Dieses Projekt wurde durch Mittel des Europäischen Forschungsrats (ERC) im Rahmen des Forschungs- und Innovationsprogramms Horizon 2020 der Europäischen Union (Finanzhilfevereinbarung Nr. 692692, P.J.) und des Fonds zur Förderung der Wissenschaftlichen Forschung (FWF) (Z 312-B27, Wittgenstein-Preis an P.J. und P 31815 an S.J.G.) finanziert.

Tierwohl:
Um grundlegende Prozesse etwa in den Bereichen Neurowissenschaften, Immunologie oder Genetik besser verstehen zu können, ist der Einsatz von Tieren in der Forschung unerlässlich. Keine anderen Methoden, wie zum Beispiel in-silico-Modelle, können als Alternative dienen. Die Tiere werden gemäß der strengen in Österreich geltenden gesetzlichen Richtlinien aufgezogen, gehalten und behandelt. Alle tierexperimentellen Verfahren sind durch das Bundesministerium für Bildung, Wissenschaft und Forschung genehmigt.

Originalpublikation:

Publikation:
Guzman et al. 2021. How connectivity rules and synaptic properties shape the efficacy of pattern separation in the entorhinal cortex-dentate gyrus-CA3 network. Nature Computational Science. DOI: 10.1038/s43588-021-00157-1
https://www.nature.com/articles/s43588-021-00157-1

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