Ferngesteuerte funktionale Materialien
Die intensive Anregung im mittleren Infrarot ist ein leistungsfähiges Instrument zur Steuerung der magnetischen, ferroelektrischen und supraleitenden Eigenschaften komplexer Materialien. Nichtlineare Phononik ist der Schlüssel zu diesem Effekt, da sie bestimmte Atome aus ihrer Gleichgewichtsposition bringt um mikroskopische Wechselwirkungen zu manipulieren.
Jetzt haben Hamburger Forscher herausgefunden, dass die Polarisationsumkehr in ferroelektrischem Lithiumniobat (LiNbO3) nicht nur innerhalb des optisch angeregten Volumens, sondern auch in Bereichen fernab vom direkten Licht-„Treffer“ auftritt. Die Entdeckung dieser nichtlokalen nichtlinearen Phononik ist in Nature Physics erschienen.
Ferroelektrische Materialien wie LiNbO3 besitzen eine statische elektrische Polarisation, die durch Linien positiver und negativer Ladung erzeugt wird und mit einem elektrischen Feld umgeschaltet werden kann. Diese einzigartige Eigenschaft macht solche Materialien zum Grundbaustein vieler moderner elektronischer Komponenten in Smartphones, Laptops und Ultraschall-Bildgebungsgeräten. Die Verwendung von Laserlicht zur Änderung der ferroelektrischen Polarisation ist ein neuer Ansatz, der extrem schnelle Prozesse ermöglicht – ein wichtiger Schritt bei der Entwicklung hocheffizienter ultraschneller optischer Schalter für neue Geräte.
Die Forscher*innen in der Gruppe von Andrea Cavalleri am Max-Planck-Institut für Struktur und Dynamik (MPSD) verwendeten Pulse im mittleren Infrarotbereich, um die Oberfläche eines ferroelektrischen LiNbO3-Kristalls anzuregen. Hierdurch entstand eine starke Vibration in einem Bereich, der sich über eine Tiefe von 3 Mikrometern unterhalb der Kristalloberfläche erstreckt. Das Team maß dann die ultraschnellen Änderungen der ferroelektrischen Polarisation über die gesamte Kristalldicke von 50 Mikrometern mithilfe der sogenannten Femtosekunden-stimulierten Raman-Streuung.
Die Messungen ergaben, dass Lichtpulse mit einer sehr hohen Energiedichte eine Umkehr der ferroelektrischen Polarisation im gesamten Kristall bewirken. Durch den Einsatz von Simulationen zu Auswirkungen der nichtlinearen Phononik in LiNbO3 fanden die Autoren heraus, dass starke Polarisationswellen, so genannte Polaritonen, aus der kleinen vom Lichtpuls durchquerten Region austreten und sich durch die restliche Tiefe des Kristalls bewegen. Es wird angenommen, dass diese Polaritonenwellen eine wichtige Rolle bei der Veränderung der ferroelektrischen Polarisation in den Bereichen des Kristalls spielen, die dem Lichtpuls nicht direkt ausgesetzt sind.
Die von Henstridge et al. berichteten Ergebnisse geben neue Einblicke in das schwer fassbare Rätsel der ultraschnellen Manipulation von Ferroelektrizität, deren Verständnis zu neuen Bauelementen wie nachhaltigen optischen Schaltern führen kann. Im weiteren Sinne wirft diese Arbeit die Frage auf, ob auch andere Systeme, die durch nichtlineare Phononik angetrieben werden, eine ähnliche Art von nichtlokalem Charakter aufweisen können. Die Fähigkeit, funktionale Eigenschaften aus der Ferne zu manipulieren, könnte neue Möglichkeiten für die Integration nichtlinearer Phononik in integrierte Geräte und andere komplexe Materialien aufzeigen und neue Wege für die Steuerung von Systemen mit Licht eröffnen.
Diese Forschung wurde von der Deutschen Forschungsgemeinschaft im Rahmen des Exzellenzclusters CUI : Advanced Imaging of Matter unterstützt.
Vollständige Bildunterschrift:
Ein intensiver Laserpuls im mittleren Infrarotbereich trifft auf einen ferroelektrischen LiNbO3-Kristall und löst atomare Schwingungen nur in einer geringen Tiefe unterhalb der Oberfläche aus, hervorgehoben die durch die hellen Tetraeder. Durch anharmonische Kopplung löst diese starke Schwingung eine Polarisationswelle, auch Polariton genannt, aus, die sich in der restlichen Tiefe des Kristalls ausbreitet und die ferroelektrische Polarisation moduliert.
Wissenschaftliche Ansprechpartner:
Dr. Michael Först
Senior Scientist
Max-Planck-Institut für Struktur und Dynamik der Materie
Luruper Chaussee 149, Geb. 99 (CFEL)
22761 Hamburg
Germany
michael.foerst@mpsd.mpg.de
Dr. Meredith A. Henstridge
(former MPSD Posdoc)
Research Assoc-Experimental
SLAC National Accelerator Laboratory
2575 Sand Hill Rd
Mailstop 00020
Menlo Park, California 94025 (USA)
mhenst@stanford.edu
Originalpublikation:
M. Henstridge, M. Först, E. Rowe, M. Fechner, und A. Cavalleri, Nonlocal nonlinear phononics, Nature Physics(2022).
https://dx.doi.org/10.1038/s41567-022-01512-3
Weitere Informationen:
https://doi.org/10.1038/s41567-022-01512-3 News & Views: “Controlling ferroelectricity below the surface” von E. Abreu
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