TV-Doku: Ticken Frauen anders als Männer?
Statements im zwischengeschlechtlichen Small Talk – von uns allen gern genommen –, weisen Frauen und Männern unterschiedliche Fähigkeiten zu, beispielsweise beim Autofahren oder beim Kommunizieren. Aber ist da wirklich was dran? Die Sendung von HYPERRAUM.TV über das „Gender-Hirn: ticken Frauen anders als Männer?“ befasst sich mit geschlechterspezifischer Hirnforschung, aber auch mit den Grenzen heutiger KI in der Forschung.
Susanne Weis untersucht als Neurowissenschaftlerin am Forschungszentrum Jülich, ob und welche Unterschiede es zwischen den Denkstrategien von Mann und Frau geben könnte.
Doch den Menschen beim Denken genau zu beobachten, ist auch im 21. Jahrhundert keine leichte Aufgabe.
Bis vor kurzem konnte man der Frage nach dem Gender-Denken wissenschaftlich nur mit Hilfe der Verhaltenspsychologie nachgehen. Probanden unterschiedlichen Geschlechts wurden dabei viele Fragen und kognitive Aufgaben gestellt, aus deren Antworten der Psychologe durch statistische Auswertung abzuleiten versuchte, ob es solch geschlechterspezifische Unterschiede tatsächlich gibt oder doch nicht. Die bei diesem Frage- und Antwort-Spiel gewonnenen Ergebnisse brachten allerdings recht Widersprüchliches zu Tage. Die einen waren überzeugt, dass sich Unterschiede feststellen lassen, andere hielten jegliche Differenzierung für Humbug. Und alle beriefen sich dabei auf seriöse Forschungsarbeiten.
Gut, dass für den Hirnforscher seit einiger Zeit mit der Magnetresonanz ein weitaus besserer Blick ins menschliche Gehirn möglich wurde als über das Verhaltensstudium. Sie hat zuerst einmal offengelegt, dass es im Gehirn von Mann und Frau anatomische Unterschiede gibt. Bei Frauen ist gegenüber Männern das Volumen der grauen Substanz im vorderen Bereich – dort wo auch das Sprachzentrum liegt – größer, im hinteren Bereich, wo es um die räumliche Vorstellung geht, eher kleiner. Mit 90-prozentiger Sicherheit kann die Wissenschaft heute deshalb an der Struktur eines Gehirns erkennen, ob es sich um Mann oder um Frau handelt. Doch reicht das aus, daraus auch auf Unterschiede in den Denkstrategien zu schließen? Den anatomischen Unterschied kann man durchaus als ein Indiz gelten lassen, aber als wissenschaftlicher Beweis zur Faktenlage taugt er nicht. Susanne Weis hat die Erkundung dieser womöglich andersartigen Denk-Mechanismen zu ihrem wissenschaftlichen Spezialgebiet erhoben. Die Erforschung der bloßen Anatomie reicht dafür nicht aus.
Susanne Weis blickt mit der sogenannten funktionellen Magnetresonanz ins Gehirn. Damit kann nicht mehr nur die Hirn-Struktur als solche statisch abgebildet werden, sondern es lassen sich auch zeitliche Abläufe erfassen lassen – allerdings mit hohem Aufwand der algorithmischen Bildauswertung, denn es gibt einen räumlich-zeitlichen Versatz bei der Datenaufzeichnung, der erst aufwändig zurück gerechnet werden muss.
Der Mensch, durch die Röhre geschoben, muss bei solchen Forschungen keine Fragen mehr beantworten – nein, ganz im Gegenteil: Er soll an möglichst nichts denken – was, wie jeder weiß, der dazu aufgefordert wird, gar nicht so einfach ist. Die Gedanken springen hin und her, man überlegt, wie man an nichts denken soll, was man zu Abend essen wird – oder: man zählt Schäfchen … auch im wachen Ruhezustand in der Röhre feuern die Neuronen also ständig. Für den Hirnforscher, der sich mit der Frage befasst, wie das männliche und das weibliche Hirn ticken, ist dieses sich selbst überlassene Ruhehirn viel interessanter als ein Fragen- und Antwort-Szenario, sagt die Expertin und erklärt das so. „Wir beobachten so das intrinsische Gehirn. Beantwortet man einfache Fragen, ist das Gehirn von Menschen in viel stärkerem Maß gleichgeschaltet.“
Die Maschine mit ihrer nicht-invasiven Technologie kann solche Denkaktivitäten heute allerdings nicht bis hinunter zum einzelnen Neuron messtechnisch erfassen, sondern nur in einem groben Raster größerer Areale von etwa ein bis zwei Kubikmillimetern entsprechend vieler tausend Neuronen. Gemessen wird darin auch nicht das neuronale Feuern als solches, sondern der zeitlich etwas versetzte Blutfluss, also nicht die Denkprozesse, sondern die dafür benötigte Energie. Denn die wird natürlich auch im Gehirn über das Blut transportiert.
Hirnforscher können heute für ihre Studien weltweit verfügbare Datensätze als Open Source nutzen. Zehntausende solcher vierdimensionalen Denkmuster aus menschlichen Ruhehirnen sind in weltweiten Bibliotheken anonym erfasst und mit wichtigen Parametern versehen. Die Frage, ob der Proband männlich oder weiblich ist, gehört zum Abfrage-Standard, so dass praktisch alle verfügbaren Datensätze für solche Studien herangezogen werden können. Susanne Weis hat für ihre Forschungen zuerst einmal 500 Ruhehirne analysiert.
Diese Open-Source-Rohdaten müssen der nachgelagerten algorithmischen Bildauswertung unterzogen werden. Zusammengesetzt bilden sie den Blutfluss dieses vierdimensionalen Datenraums über einen Zeitraum von meist knapp zehn Minuten ab. Aber wer glaubt, mit diesem vierdimensionalen Datenraum könnte die Wissenschaft nun sehendes Auges Erkenntnisse gewinnen, der wird mächtig enttäuscht. „Es wäre uns unmöglich, diese Forschungen, ohne die Hilfe der Künstlichen Intelligenz zu machen. Dieser vierdimensionale Datenraum ist so komplex, dass den ein Mensch nicht richtig analysieren kann.“ Aber die KI offensichtlich schon! Sie hat aus diesen 500 Ruhehirnen gelernt, komplexe Muster zu erkennen. Daraus hat sie für sich ein Modell über typische Differenzierungsmerkmale der funktionellen Organisation von Mann und Frau ermittelt. Wird sie nun mit einem beliebigen weiteren Datensatz gefüttert, kann sie anhand dieses Modells nun eine Aussage treffen, ob dieses Hirn von einem Mann oder einer Frau stammt – nicht mit hundertprozentiger Treffsicherheit, aber immerhin doch mit einer Wahrscheinlichkeit von 70 bis 80 Prozent.
Die KI sagt uns jetzt also, dass sie offensichtliche Unterschiede erkannt hat, aber der Forscher fragt natürlich auch: welche? Doch da verstummt die KI. Sie stellt zwar fest, dass es so ist, aber sie kann dem Forscher nicht erklären, wie sie zu diesem Ergebnis gekommen ist. Denn die KI ist schon irgendwie intelligent, aber eben so intelligent dann auch wieder nicht, dass sie wüsste, was sie tut und über diese Erkenntnis zu berichten in der Lage wäre. Das ist ziemlich schlecht für die Wissenschaftler. Aber die Programmierer neuronaler Netze haben derzeit einfach das ungelöste Problem vor sich, solch digitales Innenleben so zu gestalten, dass die KI ohne eigenes Bewusstsein über solcherlei Fragen faktische Auskunft geben könnte. Defizit erkannt, möchte man sagen. Doch sogenannte selbsterklärende KI zu entwickeln ist ausgesprochen schwierig – und bisher noch nicht gelungen.
Für Susanne Weis ist es aber dennoch ein Fortschritt zu wissen, wie es ist. Im nächsten Schritt soll KI die Unterschiede mit weiteren Datensätzen analysieren, um auf möglichst höhere Genauigkeit zu kommen. 500 Ruhehirne, das ist für den so schnellen Lernprozess solcher Maschinen eigentlich nicht viel. Da ist Luft nach oben. Außerdem sollen Cross-over-Forschungen mit Spezialisten für Hirnstrukturen folgen. Denn jetzt geht es auch um die Ergründung der Frage nach dem Warum. Aber was, wenn es gar keine Gründe gibt und die Unterschiede in Umwelteinflüssen mit Lerneffekten wie erzieherischen Maßnahmen liegen? Wenn Frauen und Männer nur deshalb unterschiedlich denken, weil sie in typischen Weltmodellen erzogen werden. Susanne Weis meint: „Die Bewertung möglicher Umweltfaktoren ist die große Schwachstelle unserer Forschungen. Wir können nicht das Denken eines Menschen über sein Leben verfolgen. Wie soll das gehen?“ Bei diesem Thema stoßen Wissenschaftler möglicherweise an eherne Grenzen ihrer Analysemöglichkeiten.
Die Neurowissenschaftlerin glaubt aber, eine Möglichkeit gefunden zu haben, sich der Frage von der anderen Seite her zu nähern. Lernphänomene aus Umwelteinflüssen zeigen sich langfristig – also: Wer kurzfristige Veränderungen nachweisen kann, der weiß, dass sie nicht von Umwelteinflüssen stammen können. Damit sind wir bei den kurzfristig wirkenden Hormonen – in einem Regime, das unsere Emotionen von jetzt auf gleich ändern kann. Wir alle kennen das Phänomen: Entscheidungen, die wir treffen, sind nicht in Stein gemeißelt, sofern sie nicht grundlegende Überzeugungen betreffen. Im Alltag sprechen wir dann von der „Tagesform“, die beeinflusst, ob wir uns beispielsweise über etwas mehr oder etwas weniger aufregen oder ob wir über etwas traurig sind oder auch nicht. Die emotionale Welt der Weiblichkeit ist geprägt vom monatlichen Zyklus, während beim Mann der Testosteron-Spiegel jährlich schwankt. Könnte man also zeitlich von diesen Zyklen abhängig Veränderungen nachweisen, wäre das erneut ein Indiz für einen grundsätzlichen Unterschied der Denkstrukturen von Mann und Frau.
Ich habe Susanne Weis noch gefragt, wie ihr Verhältnis zur Zusammenarbeit mit der KI zu sehen ist. Die Wissenschaftlerin bleibt da ganz entspannt. „Für mich ist die KI ein Werkzeug.“ Angst, dass die Forschung von ihr überrannt werden könnte, hat sie nicht, denn die Maschine sei derzeit und vielleicht überhaupt „nie eigen-kreativ wie der Mensch“. Für die Forscherin taucht am Horizont des geschlechterspezifischen Kontexts beispielsweise die Frage nach Transgendern auf. Gibt es bei den Denkstrukturen womöglich gar multiple Klassen von Geschlecht? Allerdings: Die Datenlage für solche Untersuchungen ist heute recht mager, denn bisher wurde dieser Parameter bei MRTs so gut wie nie erhoben. Es müssten also erst mal Daten aus Transgender-Ruhehirnen her, ehe die Künstliche Intelligenz dazu etwas ermitteln könnte. Solche Fragen meint Susanne Weis offensichtlich, wenn sie von den „eigen-kreativen“ menschlichen Forschern spricht. Tatsächlich: Auf so eine Frage mag eine Künstliche Intelligenz wohl kaum selbst kommen können! Aber vielleicht findet sie aus den dann erhobenen Daten künftig trotzdem eine Antwort darauf. Und vielleicht kann sie dann sogar auch gleich noch erklären, warum – auch wenn sie dieses Warum wohl selbst nie wirklich verstehen wird können. Hoffen wir, dass der Mensch ihr da dann wieder voraus ist!
Ansprechpartner:
Dr. Susanne Päch
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