Viren als Medizin gegen antibiotikaresistente Bakterien
Immer mehr Bakterien sind resistent gegen Antibiotika. Eine Alternative zur Bekämpfung der Bakterien sind sogenannte Bakteriophagen. Dabei handelt es sich um Viren, die sehr spezifisch bestimmte Bakterien befallen. Ein Münchner Forschungsteam hat jetzt eine neue Methode entwickelt, mit der sich effizient und risikolos Bakteriophagen gewinnen lassen.
Multiresistente Keime gehören nach Einschätzung der Weltgesundheitsorganisation WHO zu den größten gesundheitlichen Bedrohungen. Allein in der Europäischen Union sterben jedes Jahr 33.000 Menschen an den Folgen bakterieller Infektionen, gegen die kein Antibiotikum hilft. Alternative Medikamente sind daher gefragt.
Einer der Hoffnungsträger sind Bakteriophagen, die natürlichen Feinde der Bakterien. Es gibt auf der Erde Millionen verschiedener Arten dieser Viren, jedes ist spezialisiert auf bestimmte Bakterien. Natürlicherweise nutzen die Viren die Bakterien für die Vermehrung, indem sie ihre DNA in diese einschleusen. Im Bakterium vermehren sich die Viren schnell. Am Ende töten sie die Zelle ab und treten aus, um neue Zellen zu infizieren. Indem Bakteriophagen eine bestimmte Art von Bakterium angreifen und vernichten, wirken sie wie ein spezifisches Antibiotikum.
Viren, die gesund machen
„In den Bakteriophagen steckt ein enormes Potenzial für eine sehr wirksame, personalisierte Therapie von bakteriellen Infektionskrankheiten“, betont Gil Westmeyer, Professor für Neurobiological Engineering an der Technischen Universität München (TUM) und Direktor des Instituts für synthetische Biomedizin am Helmholtz Zentrum München. „Bisher war es jedoch nicht möglich, die Bakteriophagen gezielt, reproduzierbar, sicher und effizient herzustellen – genau dies sind aber die entscheidenden Kriterien für eine erfolgreiche Produktion von Pharmazeutika.“
Sein Forschungsteam hat jetzt ein neues Verfahren entwickelt, mit dem sich kontrolliert Bakteriophagen für therapeutische Zwecke herstellen lassen. Die Grundlage für diese Technik hat eine Gruppe Studierender der TUM und der Ludwig-Maximilians-Universität (LMU) München erarbeitet und wurde dafür beim Internationalen Genetically Engineered Machine-Wettbewerb (iGEM) 2018 ausgezeichnet. Aus dieser Gruppe ging das Start-up Invitris hervor, das mittlerweile eine Plattform-Technologie für bakteriophagen-basierte Medikamente entwickelt.
Dreh- und Angelpunkt der neuen Technik, die bereits zum Patent angemeldet wurde, und die auch jetzt für die neuen Forschungen an der TUM genutzt wird, ist eine spezielle Nährlösung, in der sich Bakteriophagen bilden und vermehren. Die Nährlösung besteht aus einem E. coli-Extrakt und enthält keine lebensfähigen Zellen. Damit unterscheidet sie sich grundlegend von bisherigen Methoden zur Bakteriophagen-Gewinnung: Traditionell wurden Zellkulturen mit potenziell infektiösen Bakterienstämmen verwendet.
Im Labor der TUM konnte das Münchner Team jetzt zeigen, dass sich in der zellfreien Nährlösung gezielt Bakteriophagen herstellen lassen: Alles was man dafür braucht, ist das Erbgut – die nackte DNA – der gewünschten Viren. Diese enthält den kompletten Bauplan für die Bildung der Bakteriophagen. Gibt man die DNA in die Nährlösung, die die molekularen Bausteine und Enzyme des E. coli-Bakteriums enthält, so fügen sich die Proteine dem Bauplan entsprechend zusammen: Innerhalb weniger Stunden entstehen tausende identischer Kopien. „Die Herstellung ist nicht nur schnell und effizient, sondern auch sehr sauber – Kontaminationen durch bakterielle Toxine oder andere Bakteriophagen, die in Zellkulturen möglich waren, sind in diesem Verfahren ausgeschlossen“, betont Westmeyer.
Personalisierte Antibiotika
Doch eignet sich die neue zellfreie Nährlösung tatsächlich, um Bakteriophagen für eine individuelle Therapie zu gewinnen? Gemeinsam mit dem Bundeswehrkrankenhaus Berlin machten die Forschenden den Realitätscheck: Mit Hilfe einer Probe, die von einem Patienten stammte, der an einer antibiotikaresistenten Hautinfektion litt, suchte das Münchner Team einen erfolgversprechenden, neuartigen Bakteriophagen und isolierte dessen DNA. In der zellfreien Nährlösung wurde dieser dann hergestellt und anschließend erfolgreich gegen die multiresistenten Bakterien eingesetzt.
Ein genetisches Archiv für Notfälle
„Unsere Untersuchungen zeigen, dass es möglich ist, zellfrei wirksame Bakteriophagen für eine personalisierte Medizin herzustellen, mit der sich auch Infektionen mit multiresistenten Keimen therapieren lassen“, so Westmeyer. Ideal sei die Technik in Verbindung mit einem genetischen Archiv, in dem in Zukunft die DNA relevanter Bakteriophagen gespeichert werden könne. Im Bedarfsfall könne man mit Hilfe dieses Archivs in der Nährlösung schnell vollständige Bakteriophagen herstellen, ihre Wirksamkeit testen und dann in geeigneten Kombinationen anwenden. Noch sei dies Grundlagenforschung, diese habe jedoch Potential für die klinische Testung.
Wissenschaftliche Ansprechpartner:
Prof. Dr. Gil Gregor Westmeyer
Technische Universität München
Professur für Neurobiologische Technik
Boltzmannstrasse 11
85748 Garching bei München
Tel.: +49 89 289 10953
gil.westmeyer@tum.de
Originalpublikation:
Quirin Emslander, Kilian Vogele, Peter Braun, Jana Stender, Christian Willy, Markus Joppich, Jens A. Hammerl, Miriam Abele, Chen Meng, Andreas Pichlmair, Christina Ludwig, Joachim J. Bugert, Friedrich C. Simmel, Gil G. Westmeyer. Cell-free production of personalized therapeutic phages targeting multidrug-resistant bacteria, Cell Chemical Biology (2022), DOI: https://doi.org/10.1016/j.chembiol.2022.06.003
Weitere Informationen:
https://www.tum.de/die-tum/aktuelles/pressemitteilungen/details/37529
https://mediatum.ub.tum.de/1678288
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