Automatisiertes Fahren: Sicherheitsrisiken bei der Übernahme
In einer aktuellen Studie der TU Dresden und der DEKRA zum automatisierten Fahren analysierten Verkehrs- und Ingenieurpsycholog:innen die Reaktionen auf mögliche Störungen dieser zukünftigen Mensch-Maschine-Schnittstelle. Die Untersuchung verschiedener Übernahmeszenarien zeigt, dass Menschen im Fall von technischen Störungen nur teilweise in der Lage sind, das Steuer schnell und sicher zu übernehmen.
Mal eben während der Autofahrt die E-Mail checken, Nachrichten lesen oder einen Film schauen. Beim automatisierten Fahren ist es den fahrenden Personen unter bestimmten Umständen erlaubt, Nebentätigkeiten auszuführen. Gleichzeitig muss man aber wahrnehmungsbereit bleiben, um die Fahrzeugsteuerung in kritischen Situationen schnell wieder übernehmen zu können. Im Dezember 2021 ist das erste automatisierte Fahrzeugsystem (Level 3) in Europa durch das Kraftfahrtbundesamt offiziell zugelassen worden.
Was aber wäre, wenn in einer kritischen Situation die Aufforderung zur Steuerübernahme durch das Fahrzeug ausbleibt? Dieser Frage haben sich Wissenschaftler:innen der TU Dresden und der DEKRA in einer aktuellen Studie gewidmet. An der Felduntersuchung auf dem DEKRA Lausitzring nahmen 36 Personen teil. Da bekanntlich jedes System fehlerbehaftet ist, muss sicher davon ausgegangen werden, dass auch beim automatisierten Fahren nicht jede Übernahmesituation korrekt erkannt und angezeigt wird.
Vor diesem Hintergrund wurden bei den Testfahrten vier verschiedene Übernahmesituationen untersucht: In einer Bedingung wurde eine Übernahmewarnung gegeben, obwohl keine kritische Situation vorlag (ein sogenannter falscher Alarm). In drei weiteren Bedingungen blieb die Übernahmewarnung trotz kritischer Situation aus. Diese kritischen Situationen betrafen das Überfahren einer Haltelinie mit Stoppschild, das langsame Abdriften auf die Gegenfahrbahn und das plötzliche Ausweichen vor einem irrtümlich erkannten Hindernis. Alle vier Übernahmeszenarien traten auf, nachdem bereits mehrere Runden ohne besondere Vorkommnisse durchfahren worden waren.
Die Personen in der Kontrollgruppe sollten die automatisierte Fahrt passiv verfolgen und eingreifen, wenn sie es für notwendig hielten. Die Experimentalgruppe hatte zusätzlich eine visuell beanspruchende Nebentätigkeit an einem fest im Fahrzeug installierten Tablet während der automatisierten Fahrt zu bearbeiten. Die Übernahme wurde jeweils als erfolgreich bewertet, wenn die fahrende Person vor Erreichen des potenziellen Kollisionspunktes die korrekte Übernahmehandlung ausführte.
Insgesamt erwies sich die Reaktion nach einem falschen Alarm als wenig problematisch: Kontroll- und Experimentalgruppe übernahmen erfolgreich die Fahrzeugsteuerung. Im Gegensatz dazu zeigten sich Schwierigkeiten bei der Fahrzeugübernahme, wenn das automatisierte System in einer kritischen Situation nicht warnte. Hier reduzierte sich der Anteil erfolgreicher Übernahmen zwischen der Experimentalgruppe im Vergleich zur Kontrollgruppe auf etwa die Hälfte. Die Beschäftigung mit der Nebentätigkeit verringerte somit die Wahrscheinlichkeit für eine erfolgreiche Übernahme, wenn die Aufforderung vom Fahrzeug ausblieb. Besonders wichtig war für die Verantwortlichen der Studie die Erkenntnis, dass auch Personen ohne Nebentätigkeit teilweise erhebliche Schwierigkeiten hatten.
In Abhängigkeit von der kritischen Situation waren in der Experimentalgruppe zwischen 58 und 89 Prozent der Übernahmen im Fall der fehlenden Übernahmewarnung nicht erfolgreich. In der Kontrollgruppe lagen die Werte zwischen 24 und 61 Prozent.
Für Sebastian Pannasch, Professor für Ingenieurspsychologie der TU Dresden, ist die Bilanz der Studie besorgniserregend: „Wir werden beim zukünftigen automatisierten Fahren einem erheblichen Risiko ausgesetzt. Automatisierte Fahrzeuge werden nicht in der Lage sein, alle kritischen Situationen zu erkennen und zu melden. Unsere Ergebnisse verdeutlichen, dass selbst wenn wir Fahrzeuge beim Fahren überwachen, ist in einer kritischen Situation eine korrekte Übernahme nicht gewährleistet. Ausgehend vom aktuellen Verhalten im Fahrzeug ist davon auszugehen, dass wir uns beim automatisierten Fahren auf jeden Fall mit Nebenaufgaben beschäftigen werden. Wie die Studienergebnisse zeigen, steigert sich dadurch das Risiko beträchtlich, dass wir in kritischen Situationen ohne Warnung nicht angemessenen reagieren können.“
Gerade beim Aspekt der fehlenden Übernahmeaufforderungen gibt es aus Sicht der DEKRA Experten und TU-Wissenschaftler bisher eine echte Forschungslücke: Weniger als zehn Prozent bislang publizierter Arbeiten befassen sich mit so genannten „Disengagement-Situationen“, also einem fehlerbedingten Systemausfall.
Die aktuelle vor allem technikgetriebene Entwicklung betrachtet Prof. Pannasch mit großer Sorge: Nicht alles was technisch machbar ist, sollte auch unbedingt umgesetzt werden. Vor dem Hintergrund der aktuellen Befunde bleibt das Versprechen von erhöhter Sicherheit, welches oft im Zusammenhang mit automatisiertem Fahren gegeben wird, äußerst fragwürdig. Die nächste Studie zum automatisierten Fahren ist bereits in Planung, dabei soll der Faktor Vertrauen in diese Technik untersucht werden.
Wissenschaftliche Ansprechpartner:
Prof. Sebastian Pannasch
Professur für Ingenieurpsychologie und angewandte Kognitionsforschung
TU Dresden
Tel.: +49 351 463-34221
Email: sebastian.pannasch@tu-dresden.de
Weitere Informationen:
Link zum TUD-Video: Gute Frage zum Verkehr der Zukunft
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