Wildarten können Genpool von Kulturpflanzen erweitern
Deutsch-israelische Forschergruppe hat Genbaustein entdeckt, der den Zuckergehalt in Tomaten steuert
Mit Kreuzungen zwischen verschiedenen Arten von Wildtomaten und einer Kulturtomatenart ist es Wissenschaftlern um Professor Dani Zamir von der Hebräischen Universität Jerusalem/Israel und Dr. Alisdair Fernie vom Max-Planck-Institut für molekulare Pflanzenphysiologie in Potsdam gelungen, nicht nur den Chromosomenabschnitt zu erkennen, der den Zuckergehalt in Tomaten beeinflusst, sondern auch das verantwortliche Gen und sogar einen einzigen Bausteins dieses Gens zu identifizieren, der eine erhöhte Aktivität des Genprodukts, ein Zucker-spaltendes Enzym, bewirkt (Science, 17. September 2004).
Die Entwicklung neuer Pflanzensorten wird durch die geringer werdende genetische Variabilität innerhalb der existierenden Kulturpflanzen zunehmend erschwert. Das genetische Material der Kulturpflanzen kann zwar durch Kreuzungen und Selektion neu kombiniert werden, doch die Gesamtheit des in einer Art vorhandenen Erbguts (Genpool) wird dadurch nicht erweitert. Deshalb erhofft man sich von der Nutzung der natürlichen Vielfalt, wie sie Wildarten aufweisen, eine erhebliche Erweiterung des Genpools von Kulturpflanzen. Dies belegen Untersuchungen, die Professor Dani Zamir an der Hebräischen Universität von Jerusalem und seine Mitarbeiter an Tomaten durchführt haben. Hierbei stellte sich heraus, dass das Einkreuzen von Erbgut aus Wildarten in bestehende Kulturarten einerseits zu höheren Erträgen führt, sich andererseits aber auch qualitativer Merkmale veränderten, wie der Anteil an löslichen Zuckern, also Glucose und Fructose, der zum Beispiel wichtig ist für die Ketchupherstellung.
Allerdings werden die Eigenschaften von Organismen nicht nur durch ein einziges Gen, sondern durch eine Vielzahl von Genen beeinflusst. Diese haben in ihrer Gesamtheit dann die Ausprägung eines Merkmales zur Folge. Anhand genetischer Analysen von Nachkommen aus Kreuzungen kann man nun jene Abschnitte des Erbgutes identifizieren, die in Zusammenhang mit der Ausprägung eines bestimmten Merkmals stehen. Doch diese Abschnitte sind in der Regel noch sehr groß und können viele Gene beinhalten. Durch gezieltes weiteres Kreuzen ist es jedoch möglich, diese Abschnitte immer weiter einzugrenzen, bis eine Größenordnung erreicht ist, die es erlaubt, einzelne Gene zu identifizieren.
In den Arbeitsgruppen um Dr. Alisdair Fernie in Potsdam und Professor Dani Zamir in Jerusalem wurden nun Untersuchungen angestellt, um in vier verschiedenen Wildtomatenarten und einer Kulturtomate jene erblichen Komponenten zu identifizieren, die den Gehalt an Glucose und Fructose beeinflussen. Hierzu verwendeten die Forscher spezielle Kreuzungen zwischen den Wildtomatenarten und der Kulturtomate. Diese Kreuzungen tragen das Erbgut der Kulturtomate, in das kleine Stücke des Wildarterbgutes, nämlich kurze Abschnitte der Chromosomen, integriert sind. Für jede einzelne Pflanze der Kreuzungsnachkommenschaft ist bekannt, an welcher Stelle im Erbgut ein Chromosomenstück aus der Wildart einen entsprechenden Abschnitt der Kulturtomate ersetzt. Die Früchte dieser Pflanzen haben die Wissenschaftler dann auf ihren Gehalt an löslichen Komponenten – zum größten Teil Glucose und Fructose – analysiert. Anschließend haben die Forscher den Zuckergehalt in den Früchten mit der unterschiedlichen genetischen Zusammensetzung der einzelnen Pflanzen kombiniert Auf diese Weise konnten sie eine Reihe von Chromosomenstücken aus Wildarten identifizieren, die den Zuckergehalt in den Früchten erhöhen.
In den meisten Fällen war Erbgut aus der Wildart Solanum pennellii, eine in den Peruanischen Anden beheimatete Art mit kleinen grünen Beeren als Frucht, ausschlaggebend für einen erhöhten Zuckeranteil. Bereits in früheren Arbeiten hatten die Wissenschaftler das Gen isoliert, das sich innerhalb des Chromosomenstücks aus S. pennellii befindet. Das Produkt dieses Gens ist eine Invertase, ein Enzym, das die Spaltung von Saccharose in ihre Grundbausteine Glucose und Fructose bewirkt. Jetzt haben die Wissenschaftler den Wirkungsmechanismus dieses Enzyms genauer untersucht und mit gleichen Enzym aus den anderen drei Wildarten und der kultivierten Art verglichen. Hierbei unterschied sich die Aktivität der Invertase-Gene zwischen den Wildarten und der Kulturtomate nicht, und auch in der Menge des Genproduktes, also des Enzyms selber, waren keine Unterschiede feststellbar. Deshalb blieb nur, die Aktivität des Enzyms selbst zu messen. Hierbei stellte sich heraus, dass die Aktivität der Invertase aus S. pennellii höher ist als jene der Invertasen aus den anderen Tomatenarten.
Enzyme bestehen aus Aminosäuren, deren Reihenfolge über die Gensequenz bestimmt wird. Der Vergleich der Aminosäuresequenzen der Invertase-Enzyme aller untersuchten Tomatenarten zeigte, dass nur in der S. pennellii-Invertase eine Aminosäure ausgetauscht war, jedoch nicht in den Invertasen der anderen Arten. Daraus schlossen die Wissenschaftler, daß es sich hierbei um eine Veränderung in der Gensequenz handelt, die die Aktivität des Enzyms aus S. pennellii erhöht. Interessanterweise weisen auch die Aminosäuresequenzen der Invertasen aus anderen Pflanzenarten, wie Kartoffel, Tabak, Möhre, Mais oder Weizen, dieselbe Sequenzänderung auf wie in S. pennelli.
Um die Funktion der Invertasen aus S. pennellii sowie aus der Kulturtomate genauer zu untersuchen, nutzten die Forscher Hefezellen. Denn auch Hefen verfügen über Invertasen, die Saccharose in Glucose und Fructose spalten, damit dieses Kohlenhydrat in die Hefezelle aufgenommen und dort verwertet werden kann. Die Forscher nutzten Hefemutanten, deren eigene Invertase inaktiviert wurde. Deshalb sind die Mutanten nicht mehr in der Lage, Saccharose als Kohlenstoffquelle zu verwerten. Folglich wachsen sie nicht auf einem Nährboden, der ausschließlich Saccharose als Energiequelle enthält. In diese Hefemutanten brachten die Forscher das Invertase-Gen aus der Kulturtomate bzw. aus der Wildart S. pennellii ein, sodass die transformierten Hefezellen die jeweilige Tomaten-Invertase bildeten. Um den zuvor erkannten Aminosäureunterschied der S. pennellii-Invertase direkt untersuchen zu können, tauschten die Wissenschaftler die entsprechende ursprüngliche Aminosäure der Kulturtomaten-Invertase durch die veränderte Aminosäure aus. Auch dieses veränderte Invertase-Gen wurde in Hefemutanten eingebracht.
Durch Messung der Wachstumsrate der transformierten Hefezellen, die auf einem saccharosehaltigen Nährboden wuchsen, wurden die drei unterschiedlichen Invertasen miteinander verglichen. Hierbei zeigten Hefezellen, die die S. pennellii-Invertase oder die veränderte Kulturtomaten-Invertase bildeten, ein normales Wachstum. Hingegen waren Hefezellen, die mit dem ursprünglichen Invertase-Gen aus der Kulturtomate transformiert wurden, in ihrem Wachstum stark gehemmt. Auch die in diesen Hefezellen gemessenen Enzymaktivitäten spiegelten das beobachtete Wachstumsverhalten der Zellen wieder: Aktivitäten der S. pennellii- und der veränderten Kulturtomaten-Invertase waren ähnlich hoch wie die Invertase-Aktivitäten anderer Pflanzen. Hingegen war die Aktivität der unveränderten Invertase aus der Kulturtomate signifikant niedriger. Das gehemmte Wachstum der Hefemutanten, die das unveränderte Invertase-Gen aus der Kulturtomate trugen, ist folglich auf ihre Unfähigkeit zurückzuführen, Saccharose in ausreichender Menge zu verwerten, und das wiederum aufgrund der geringen Aktivität des saccharosespaltenden Enzyms Invertase.
Damit ist bewiesen, welche grundsätzliche funktionale Bedeutung dieser Aminosäureveränderung in der Invertase aus der Tomatenwildart S. pennellii zukommt, die auf dem Austausch eines einzigen Bausteins in der Sequenz des Invertase-Gens , einer so genannten Punktmutation beruht.
Diese Arbeit wurde von der Max-Planck-Gesellschaft und im Rahmen des Agreement on German-Israeli Project Cooperation (DIP) gefördert.
Originalveröffentlichung:
Eyal Friedman, Fernando Carrari, Yong-Sheng Liu, Alisdair R. Fernie, Dani Zamir
Zooming In on a Quantitative Trait Nucleotide for Tomato Yield Using Wild Species Introgression Lines, Science, 17 September 2004
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Dr. Alisdair R. Fernie
Max-Planck-Institut für molekulare Pflanzenphysiologie, Potsdam
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E-Mail: fernie@mpimp-golm.mpg.de
Dr. Fernando Carrari
Max-Planck-Institut für molekulare Pflanzenphysiologie, Potsdam
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Prof. Dr. Dani Zamir
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