Rätsel um Bildung zweidimensionaler Quasikristalle aus Metalloxiden gelöst
Die Struktur von zweidimensionalem Titanoxid lässt sich bei starker Hitze und unter Zugabe von Barium gezielt aufbrechen: Statt regelmäßiger Sechsecke entstehen Ringe aus vier, sieben und zehn Atomen, die sich aperiodisch verteilen.
Mit dieser Entdeckung hat ein Team der Martin-Luther-Universität Halle-Wittenberg (MLU) gemeinsam mit Forschenden des Max-Planck-Instituts (MPI) für Mikrostrukturphysik, der Université Grenoble Alpes und des National Institute of Standards and Technology (Gaithersburg, USA) ein zentrales Rätsel um die Bildung zweidimensionaler Quasikristalle aus Metalloxiden gelöst. Ihre Erkenntnisse haben sie im renommierten Journal „Nature Communications“ veröffentlicht.
Sechsecke sind in der Natur häufig anzutreffen. Das bekannteste Beispiel sind Honigwaben, aber auch Graphen oder verschiedene Metalloxide, etwa Titanoxid, bilden diese Strukturen. „Sechsecke sind ein ideales Muster für eine periodische Verteilung“, sagt Dr. Stefan Förster aus der Fachgruppe Oberflächen- und Grenzflächenphysik des Instituts für Physik der MLU. „Sie passen so perfekt ineinander, dass keine Zwischenräume entstehen.“
2013 machte die Fachgruppe eine erstaunliche Entdeckung, nachdem sie eine hauchdünne Lage Titanoxid auf eine Platinunterlage aufgebracht, im Ultrahochvakuum auf etwa 1.000 Grad Celsius erhitzt und mit Barium versetzt hatte: Die Atome ordneten sich zu einer Struktur aus Dreiecken, Quadraten und Rauten, die gemeinsam eine symmetrische Figur mit zwölf Kanten bilden – die Forscher sprechen von einer zwölfzähligen Rotationssymmetrie, im Gegensatz zur sechszähligen wie im Ausgangszustand.
Förster: „Es entstehen Quasikristalle, die sich durch eine aperiodische Struktur auszeichnen. Diese Struktur basiert auf grundlegenden Atomclustern und ist hoch geordnet, auch wenn die Systematik für den Betrachter nur schwer ersichtlich ist.“ Die halleschen Physiker waren die weltweit ersten, die die Bildung zweidimensionaler Quasikristalle in Metalloxiden nachweisen konnten.
Welche Mechanismen der Bildung solcher Quasikristalle zugrunde liegen, war bislang nicht geklärt. Gemeinsam mit Forschenden des Max-Planck-Instituts für Mikrostrukturphysik Halle, der Université Grenoble Alpes und des National Institute of Standards and Technology (Gaithersburg, USA) haben die MLU-Physiker dieses Rätsel nun gelöst. Mit aufwändigen Experimenten, energetischen Berechnungen und hochauflösender Mikroskopie haben sie gezeigt, dass hohe Temperaturen und die Gegenwart von Barium ein Netzwerk aus Titan- und Sauerstoff-Ringen mit jeweils vier, sieben und zehn Atomen erzeugen. „Das Barium sprengt die Atomringe auf und stabilisiert sie zugleich“, erklärt Förster, der das Gemeinschaftsprojekt leitet. „In einen Siebenerring wird ein Bariumatom eingelagert, in einen Zehnerring zwei.“ Möglich ist das, weil die Bariumatome eine elektrische Bindung mit der Platinunterlage eingehen, aber keine chemische Bindung mit den Titan- oder Sauerstoffatomen aufbauen.
Mit ihrer neuesten Entdeckung klären die Forschenden nicht nur eine grundlegende Frage der Physik. „Nachdem wir die Bildungsmechanismen auf atomarer Ebene besser verstehen, können wir versuchen, solche zweidimensionalen Quasikristalle auch in anderen anwendungsrelevanten Materialien zu erzeugen, seien es Metalloxide oder etwa Graphen“, sagt Förster. „Wir sind gespannt, ob diese besondere Ordnung völlig neue und nutzbare Eigenschaften hervorbringt.“
Die Experimente wurden im Rahmen des Projektes „Aperiodische Kristalle: Struktur, Dynamik und elektronische Eigenschaften“ durchgeführt, das von der Deutschen Forschungsgemeinschaft und der französischen Agence Nationale de la Recherche gefördert wird.
Paper: Schenk S., Krahn O., Cockayne E., Meyerheim H. L., de Boissieu M., Förster S., Widdra W. 2D honeycomb transformation into dodecagonal quasicrystals driven by electrostatic forces. DOI.org/10.1038/s41467-022-35308-z
Originalpublikation:
DOI.org/10.1038/s41467-022-35308-z
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