Wissenschaftler stoßen Diskussion über neue Wege zur Elternschaft an
Stammzelltechniken eröffnen unfruchtbaren oder gleichgeschlechtlichen Paaren völlig neue Perspektiven – und erfordern eine grundlegende gesellschaftliche Diskussion
Auf die ethischen Aspekte eines neuen Stammzell-Verfahrens, mit dem unfruchtbare Paare der Erfüllung ihres Kinderwunsches näher kommen und es theoretisch auch gleichgeschlechtlichen Paaren möglich wäre, genetisch eigene Kinder zu zeugen, machen jetzt Giuseppe Testa, Gründer des Dresden Forum on Science & Society am Max-Planck-Institut für molekulare Zellbiologie und Genetik, und der Bioethiker Prof. John Harris von der Universität Manchester, Großbritannien, in der internationalen Fachzeitschrift „Science“ aufmerksam (Science, 17. September 2004). Gerade weil die Technologie noch nicht in unmittelbarer Reichweite für die Anwendung beim Menschen ist – die bisherigen Versuche erfolgten nur mit Mäusen -, sei jetzt der richtige Moment, ihre bioethischen und rechtlichen Dimensionen auszuloten.
Mit dem neuen Verfahren werden embryonale Stammzellen des einen Partners erzeugt, indem eine Körperzelle in eine geliehene Eizelle gepflanzt und dann dem heranwachsenden Blastozysten die omnipotenten Stammzellen entnommen werden. Diese Stammzellen können die Grundlage einer Eizelle oder eines Spermiums werden – aus der Körperzelle des unfruchtbaren Partners wird also eine funktionierende Keimzelle gezüchtet. Diese kann anschließend im Verfahren der In-vitro-Fertilisation mit dem Erbgut des anderen Partners verschmelzen. Denkt man diese Technik weiter, könnten auch gleichgeschlechtliche Lebensgemeinschaften genetisch eigene Nachkommen haben: Bei einem homosexuellen Paar etwa könnte man aus einer Körperzelle des einen Manns mit Hilfe dieses Verfahrens eine Eizelle herstellen, die dann vom anderen Partner befruchtet wird. Der entstehende Embryo freilich müsste von einer Leihmutter ausgetragen werden.
Harris und Testa rücken bei dieser Technik, mit der Gameten (Geschlechts- oder Keimzellen) aus embryonalen Stammzellen gewonnen werden können, den Fokus speziell auf die ethischen Implikationen. Denn, so die Autoren, bisher sei diese Technik nur im tierischen Modellorganismus, der Maus, durchgeführt worden. Wie bei allen anderen medizinischen Techniken sei auch hier eine vorherige Überprüfung der risikolosen Anwendbarkeit auf den Menschen unumgänglich. Doch, so das Argument von Testa und Harris, jetzt sei der richtige Moment, die gesellschaftlichen Auswirkungen dieser potentiellen Möglichkeiten im Vorfeld zu erörtern. Die Versprechen, die diese Technik nicht nur für gleichgeschlechtliche, sondern auch für unfruchtbare heterosexuelle Paare in sich birgt, bedeuten eine weitere Demokratisierung der menschlichen Fortpflanzung, stellen zugleich aber auch das gängige Verständnis von Familie, Elternschaft und dem „Natürlichen“ auf die Probe. Von Unfruchtbarkeit sind allein in den USA etwa 2,1 Mio. Ehepaare betroffen.
Die Autoren räumen in ihrem Artikel ein, dass „das Natürliche“ zwar moralisch neutral sei, doch jeglicher Fortschritt in der Medizin nur dadurch zu Stande gekommen sei, dass der natürliche Lauf der Dinge nicht akzeptiert wurde. Würden wir das Natürliche immer als allein geltende Richtlinie verstehen wollen, so Testa und Harris, müssten wir in der Konsequenz auf jegliche Therapie, ja auf die Medizin im Allgemeinen verzichten.
Originalveröffentlichung: Giuseppe Testa and John Harris, „Ethical Aspects of ES Cell-Derived Gametes“, Science, Band 305, S. 1719 (17. September 2004)
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Dr. Giuseppe Testa, MD, PhD
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