Darmlose Meereswürmer auf Mittelmeerdiät

Der darmlose marine Wurm Olavius algarvensis unter dem Mikroskop. Es ist etwa zwei Zentimeter lang und misst nur einen halben Millimeter im Durchmesser. Es lebt zwischen Sandkörnern (im Bild zu erkennen) an Seegraswiesen im Mittelmeer.
(c) Rebekka Jahnke / Max-Planck-Institut für Marine Mikrobiologie

Tiere können Pflanzensterole herstellen.

Pflanzensterole (Phytosterole) sind gesund; aber leider können Menschen und Tiere sie nicht selbst herstellen. Immer mehr Menschen nutzen Nahrungsergänzungsmittel, um an Phytosterole zu kommen, oder greifen zu grünen Smoothies oder einer Mittelmeerdiät mit vielen pflanzlichen Lebensmitteln. Forschende des Max-Planck-Instituts für Marine Mikrobiologie in Bremen haben nun winzige darmlose Würmer im Mittelmeer entdeckt, die selbst Phytosterole herstellen können. Sie zeigen außerdem, dass auch viele andere Tiere die erforderlichen Gene zur Biosynthese eigener Phytosterole haben. Ihre Ergebnisse erscheinen im Fachjournal Science.

Cholesterol und Phytosterol sind Sterole: Fettverbindungen, die für viele biologische Prozesse unverzichtbar sind, beispielsweise, damit die Zellwände funktionieren. Bislang war man der Ansicht, dass Phytosterole typisch für Pflanzen und Cholesterol typisch für Tiere ist und nur diese Gruppen das jeweilige Sterol herstellen. Dolma Michellod, Nicole Dubilier und Manuel Liebeke vom Max-Planck-Institut für Marine Mikrobiologie in Bremen waren daher überrascht, als sie entdeckten, dass Olavius algarvensis, ein kleiner Wurm, der in Seegraswiesen im Mittelmeer lebt, deutlich größere Mengen an Phytosterolen als Cholesterol enthält. „Es wäre naheliegend gewesen, dass die Würmer Phytosterole aus dem umliegenden Seegras aufnehmen“, erklärt Erstautorin Michellod.

„Es war aber klar, dass sie das Seegras nicht fressen konnten, denn diese Würmer haben weder einen Mund noch einen Darm. Sie ernähren sich mithilfe symbiotischer Bakterien, die in ihrem Körper leben“, ergänzt Dubilier. „Wir konnten auch ausschließen, dass sie die Phytosterine über ihre Haut aufnehmen. Darum haben wir uns gefragt, ob die symbiotischen Bakterien des Wurms möglicherweise Phytosterole produzieren“, erklärt Liebeke. „Auch diese Hypothese konnten wir nicht bestätigen. Erst dann wurde uns klar, dass die Würmer die Phytosterole selbst herstellen müssen“, erklärt Liebeke.

Die Max-Planck-Forschenden, gemeinsam mit Kolleginnen und Kollegen vom Bremer MARUM – Zentrum für Marine Umweltwissenschaften, der Universität Münster, der Universität Hamburg, der North Carolina State University und dem Imperial College London, nutzten eine Vielzahl von Methoden um zu beweisen, dass der Wurm selbst die Phytosterole, hauptsächlich in Form von Sitosterol herstellt. Unter anderen sequenzierten sie die DNA und RNA des Wurms, analysierten seine Proteine und Metabolite und machten Bildaufnahmen von der Verteilung der Sterole im Wurmkörper. Ihre Studie zeigt erstmalig, dass Tiere Pflanzensterole synthetisieren können. Sie erscheint am 5. Mai im Fachmagazin Science.

Vom Wurm zur Koralle – fünf Tiergruppen haben die Gene, um Phytosterole herzustellen

Eine weitere Überraschung erlebten die Forschenden, als sie feststellten, dass die erforderliche Gene, um Sitosterol aus Vorläufersubstanzen des Cholesterols herzustellen, im Tierreich weit verbreitet sind. „Wir stießen auf ein Gen, von dem man annahm, dass es während der Evolution von Tieren schon lange verloren gegangen war”, sagt Liebeke. „Es war sehr spannend, dieses Gen in so vielen verschiedenen Tiergruppen zu entdecken, von Korallen und Regenwürmern bis hin zu Muscheln und Schnecken“, fügt Michellod hinzu. „Offensichtlich bringt es ihnen einen starken Selektionsvorteil, das Gen zu besitzen, das die Bildung von Phytosterolen ermöglicht. Wir vermuten, dass Phytosterole die Zellwände von Tieren durchlässiger machen könnten, aber das ist bisher nur wilde Spekulation“, so Dubilier.

The Good, the Bad, and the Ugly: Die Rolle von Cholesterol und Phytosterolen

Bisher hat sich die Sterolforschung an Tieren auf Cholesterol konzentriert. Es repräsentiert „The Good, the Bad, and the Ugly”: Manche Formen davon sind nötig, um Zellmembranen und Hormone herzustellen, andere sind schädlich und können Blutgefäße verstopfen und somit die Gefahr von Herz-Kreislauf-Erkrankungen erhöhen. Zahlreiche neuere Ergebnisse deuten darauf hin, dass Phytosterole hingegen gut für Menschen sein können, da sie die Cholersterinwerte im Blut verbessern und dadurch die Gefahr von Herzinfarkten und Schlaganfällen verringern können. Wie genau die Phytosterole diese Vorteile erzeugen, ist noch nicht klar. Die Forschenden des Max-Planck-Instituts für Marine Mikrobiologie sind überzeugt, dass der kleine Meereswurm Olavius algarvensis ein hervorragender Modellorganismus ist, um die positive Rolle von Pflanzensterolen für die Gesundheit und das Wohlbefinden von Tieren besser zu verstehen.

Wissenschaftliche Ansprechpartner:

Dr. Manuel Liebeke
Forschungsgruppe Metabolische Interaktionen
Max-Planck-Institut für Marine Mikrobiologie, Bremen
Telefon: +49 421 2028-8220
E-Mail: mliebeke@mpi-bremen.de

Prof. Dr. Nicole Dubilier
Abteilung Symbiose
Max-Planck-Institut für Marine Mikrobiologie, Bremen
Telefon: +49 421 2028-9320
E-Mail: ndubilier@mpi-bremen.de

Dr. Fanni Aspetsberger
Pressereferentin
Max-Planck-Institut für Marine Mikrobiologie, Bremen
Telefon: +49 421 2028-9470
E-Mail: presse@mpi-bremen.de

Originalpublikation:

Dolma Michellod, Tanja Bien, Daniel Birgel, Marlene Violette, Manuel Kleiner, Sarah Fearn, Caroline Zeidler, Harald R. Gruber-Vodicka, Nicole Dubilier, Manuel Liebeke (2023): De novo phytosterol synthesis in animals. Science (May 5, 2023)
DOI: http://www.science.org/doi/10.1126/science.add7830

Weitere Informationen:

https://www.mpi-bremen.de/Page6023.html

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