Die Zukunft der Kabel-TV-Netze
Der Zeitpunkt konnte nicht günstiger sein: Erst Stunden zuvor hatte das Bundeskartellamt bekannt gegeben, dass Kabel Deutschland die Übernahme von ish, iesy und Kabel BW nicht weiterverfolgen werde. Dies war brandaktueller Gesprächsstoff für die rund 150 Entscheider der Kabel-Branche bei der EUROFORUM-Konferenz „Die Zukunft der Kabel-TV-Netze“ am 22. und 23. September 2004 in Köln. Sie diskutierten die Kernfrage, wie das Kabel unter den so veränderten Voraussetzungen schnell den technologischen Rückstand gegenüber dem Satelliten, DVB-T und DSL aufholen könne.
Das Ende des Wartens
Die Reaktionen der Referenten auf den soeben gescheiterten Zusammenschluss blieben auch während der Konferenz gespalten. Wolfgang Hahn-Cremer, Vorsitzender der Medienkommission der Landesanstalt für Medien Nordrhein-Westfalen, unterstrich die Position der Rundfunkaufsicht, dass eine Verstärkung der marktbeherrschenden Stellung von Kabel Deutschland (KDG) nicht hinnehmbar gewesen sei. Hingegen vertrat der Telekommunikationsexperte Professor Torsten Gerpott von der Universität Duisburg-Essen die Auffassung, dass die Übernahme der drei kleineren Gesellschaften zu einer begrüßenswerten Neustrukturierung der Kabellandschaft geführt und damit die Digitalisierung beschleunigt hätte.
Weitgehend einig waren sich die Experten hingegen darin, dass ein möglicher Zusammenschluss der bisherigen Übernahmekandidaten anders zu bewerten sei. Sowohl Ex-RTL-Chef Professor Helmut Thoma, der jetzt auch Aufsichtsratsmitglied der Kabelnetzbetreiber ish und Primacom ist, wie auch Hahn-Cremer und Konferenz-Moderator Gerpott ließen erkennen, dass sie Fusionsbemühungen von ish, iesy und Kabel BW aufgeschlossen gegenüber stünden. Ob solche Zusammenschlüsse beabsichtigt sind, blieb bei der Konferenz allerdings offen; der Geschäftsführer von Kabel BW, Georg Hofer, zeigte sich eher erleichtert, dass das Warten auf Kartellamts-Entscheidungen nun beendet sei und die in Baden-Württemberg bereits erfolgreich begonnene Digitalisierung des Kabels endlich auf breiter Basis vorangetrieben werden könne.
Die Konferenz machte auch deutlich, dass die Spekulationen um Zusammenschlüsse im Kabelbereich nicht aufhören werden. Auf Befragen erklärte Tele Columbus-Geschäftsführer Dietmar Schickel, sein Unternehmen und dessen Gesellschafter seien nach wie vor an der Übernahme der Kabelnetze von Bosch interessiert. Entgegen anders lautenden Meldungen gingen die Gespräche weiter, wenn auch nicht mehr exklusiv.
Kein komplettes Angebot
Dass die Wartezeit nun vorbei ist wurde noch während der Konferenz durch die Ankündigung von KDG bestätigt, ab November rund 30 neue digitale Fernsehprogramme zu verbreiten. Doch aus Sicht der Zuschauer sind diese und ähnliche Angebote anderer Kabelnetzbetreiber mit dem Makel behaftet, dass die großen privaten Fernsehsender die digitale Ausstrahlung ihrer Programme verweigern. Die Anschaffung digitaler Set-Top-Boxen ist somit nur für Nutzer attraktiv, die sich speziell für die neuen kostenpflichtigen Programme oder den Abonnementsender Premiere interessieren.
Die Geschäftsführerin des Sender-Verbandes VPRT, Ursula Adelt, erklärte bei der EUROFORUM-Konferenz, dass die Sender ihre Zustimmung zur digitalen Einspeisung von einer Geldzahlung der Kabelnetzbetreiber abhängig machen wollten. Die etablierten Programme seien der Motor der Digitalisierung; die Sender beabsichtigten nicht, kostenlos zur Verstärkung ihrer eigenen Konkurrenz beizutragen. Adelt räumte allerdings ein, dass die Mitglieder ihres Verbandes in dieser Frage keine einheitliche Position hätten. Für kleinere und neue Sender sei die Ausweitung des digitalen Bereichs des Kabels unverzichtbar; sie träten daher auch dafür ein, möglichst schnell ein umfassendes Digitalangebot zu schaffen.
Auch käme für die großen Privatsender, so Adelt weiter, eine „Grundverschlüsselung“ nicht in Frage. Die verschlüsselte Ausstrahlung soll vor allem dafür sorgen, dass künftig in jedem Haushalt eine Set-Top-Box steht, die prinzipiell für den Empfang entgeltpflichtiger Programme geeignet ist. Adelt wies darauf hin, dass die Zustimmung der größeren Privatsender zur Grundverschlüsselung schon deswegen ausgeschlossen sei, weil sich die öffentlich-rechtlichen Anstalten in einem separaten Vertrag mit Kabel Deutschland bereits die unverschlüsselte Ausstrahlung gesichert hätten. Privatsender dürften aber nicht schlechter gestellt werden als ihre gebührenfinanzierten Wettbewerber. Es bestehe sogar die Gefahr, dass die Anstalten gezielt verschlüsselungsfreie Boxen („Free-to-Air“-Boxen) bewerben würden, um Zuschauer auf ihre eigenen Programme zu lenken.
Andere Referenten stuften die unterschiedlichen Positionen von Kabelnetzbetreibern und etablierten Free-TV-Sendern als dringend zu lösendes Problem ein. Helmut Thoma plädierte dafür, dass beide Seiten nun Kompromissbereitschaft zeigten. Im Kabel sei seit 20 Jahren nichts Entscheidendes passiert; jetzt sei der Zeitpunkt gekommen, aufeinander zuzugehen. Auch der Strategie-Chef von Premiere, Friedrich-Carl Wachs, trat für ein Ende der Zweigleisigkeit von analogem und digitalem Fernsehen ein. Die optimale Lösung sei, wenn der Zuschauer nur ein Endgerät, nur eine Zugangskarte und nur eine Fernbedienung habe. Das ständige Umschalten zwischen dem Fernsehgerät und einer Box reduziere die Akzeptanz erheblich. Dies sei beim digitalen Satelliten besser gelöst; dort reihten sich Pay-TV-Angebote nahtlos in die Senderliste ein und man könne ohne Aufwand von Free-TV zu Pay-TV wechseln.
Wachs wies auch darauf hin, dass die Argumente der großen Privatsender eigennützig seien. In einem kompletten Digitalangebot würden sie an Reichweite verlieren, was bereits jetzt daran ablesbar sei, dass einige Free-TV-Sender in Haushalten mit Premiere-Empfang sehr viel weniger genutzt würden als in Haushalten ohne Pay-TV-Abonnement. Dieser Rückgang der Reichweite und damit auch der Werbeeinnahmen störe die etablierten Sender. Einigkeit zwischen Premiere und den frei empfangbaren Sendern bestehe hingegen darin, dass die Kabelnetzbetreiber Inhalt und Verbreitung klar trennen müssten. Erforderlich seien offene und ohne Diskriminierung zugängliche Plattformen.
Auch Helmut Stein, stellvertretender Vorsitzender der Deutschen TV-Plattform, und Karl-Ulrich Oberlies, Leiter des Technologie-Referates des WDR, sprachen sich für offene Systeme aus. Stein wies darauf hin, dass die Spezifikation für Set Top Boxen nicht zu einschränkend sein dürfe. Oberlies erklärte, der WDR unterstütze die Digitalisierung der Kabelnetze, sei aber auf keinen Fall bereit, der Grundverschlüsselung zuzustimmen. Auch eine schnelle Förderung des hochauflösenden Fernsehens HDTV sah Oberlies eher skeptisch; noch seien zu viele Standardisierungsaufgaben zu erfüllen, um schon jetzt mit HDTV-Angeboten in den Markt zu gehen. Hingegen hatte Wachs angekündigt, dass Premiere in zwölf Monaten drei Kanäle in der neuen Technik verbreiten werde. Auch die Nutzung von Premiere über DSL sei für den Sender ein Thema; Sondierungsgespräche dazu hätten bereits stattgefunden.
Druckloser Wettbewerb
Dass Fernsehen über Satellit, das digitale terrestrische Fernsehen DVB-T und das Breitband-Telefonnetz DSL dem Kabel Konkurrenz machen können, war gemeinsame Auffassung aller Teilnehmer der EUROFORUM-Konferenz. Erwartungsgemäß stark diskutiert wurde DVB-T, das von den Landesmedienanstalten gefördert wird. Joachim Bareiß, Leiter des Projektbüros für DVB-T in Nordrhein-Westfalen, berichtete, dass die Einführung des digitalen Fernsehens in Köln gut verlaufe; innerhalb kurzer Zeit seien bereits 150.000 Empfangsgeräte verkauft worden. Bareiß sah sich der Kritik ausgesetzt, dass zu viele Gebührengelder für die DVB-T-Verbreitung eingesetzt würden, verwies jedoch darauf, dass das Projektbüro nur Informationspflichten erfülle. Auch sei nicht geplant, DVB-T als Konkurrenz zum Kabel zu positionieren, denn das Kabel sei umfassend leistungsfähig, DVB-T aber „nur“ Fernsehen.
In einer vom Medienexperten Werner Lauff moderierten Diskussionsrunde bekam DVB-T dann auch von fast allen Teilnehmern keine guten Noten, so auch von ewt-Geschäftsführer Helmuth Reitmayer. Selbst Wolfgang Hahn-Cremer beurteilte die Zukunftsaussichten der digitalen Terrestrik nur mit „ausreichend“, da die Zahl der Kanäle begrenzt und Interaktivität praktisch nicht möglich sei. Auch Ralf Heublein, Geschäftsführer des Verbandes der Kabelunternehmen der Netzebene 3, bewertete DVB-T als überflüssig. Ähnlich äußerte sich Georg Hofer, der zudem den Verdacht äußerte, dass es möglicherweise an fairen Verfahren fehle; Kabel BW hatte sich um die Netzträgerschaft für DVB-T in der Rhein-Main-Region mit Randausstrahlung nach Baden-Württemberg beworben, wurde während der Konferenz aber von Bareiß mit einem festen Startdatum konfrontiert, was den Verdacht aufkommen ließ, die Sache sei bereits zu Lasten von Kabel BW entschieden.
Übereinstimmende Auffassung der meisten Referenten war allerdings auch, dass ein massiver Wettbewerbsdruck aufs Kabel von DVB-T nicht ausgehe. Zum einen weil viele Haushalte die neue Übertragungstechnik nur für Zweit- und Drittgeräte einsetze, sich im Wohnzimmer aber letztlich doch für Kabel oder Satellit entschieden. Zum anderen, weil die Wohnungswirtschaft kein Interesse daran habe, vom Kabel abzurücken. Dies machte auch Claus Wedemeier vom Gesamtverband der Deutschen Wohnungswirtschaft deutlich; wenn überhaupt sei DVB-T da sinnvoll, wo es das Kabel nicht gebe, also auf dem Land – der Einsatz in Ballungszentren sei hingegen eine falsche Schwerpunktsetzung. Wedemeier betonte, für die Wohnungswirtschaft komme es auf eine Versorgung der Mieter mit vielfältigen Fernsehprogrammen an, nicht zuletzt aber auch darauf, an den Einnahmen für die Rundfunkversorgung weiterhin teilzuhaben. Insofern mache man Druck aufs Kabel, die Modernisierung voranzutreiben, was Dietmar Schickel relativierte: Manchmal sei es auch die Wohnungswirtschaft, die die schnelle Digitalisierung des Kabels aufgrund von Schwerfälligkeit verzögere.
Auch die künftige Konkurrenz durch den Satelliten erwies sich bei der EUROFORUM-Konferenz eher als begrenzt. Eutelsat-Vorstand Volker Steiner schilderte die Doppelrolle, mit der Eutelsat operiere – einerseits sei man Transporteur zum Endkunden, andererseits Zulieferer für Kabelunternehmen und Wohnungswirtschaft. Eine breit angelegte Offensive des Satelliten unter Einschluss von Marketing, Packetierung von Programmen, Abrechnung von Programmpaketen und aggressivem Aufbau von Kundenbeziehungen ist daher nicht zu erwarten.
Bleibt DSL, das in Frankreich in mehreren Großstädten bereits 75 Free- und Pay-TV-Programme in die Wohnzimmer der Haushalte transportiert. Doch weder Marc Schröder von T-Online noch Robert Hoffmann von Arcor mochten konkrete Prognosen abgeben, wann ähnliche Entwicklungen auch in Deutschland eintreten könnten. Allerdings waren sich beide einig, dass die technische Möglichkeit dazu bestünde, den „Siegeszug“ von DSL vom Arbeits- auf das Wohnzimmer auszuweiten. Bereits jetzt ist T-Online mit „T-Online Vision on TV“ über DSL auf dem Fernseher präsent, wenn auch nur programmergänzend. Schröder kündigte an, dass die bislang teuren DSL-TV-Boxen demnächst um preiswertere Endgeräte ergänzt würden.
Interaktivität angestrebt
Die Aufrüstung des Kabels unter Einschluss der Einrichtung eines Rückkanals, die auch den schnellen Internet-Zugang ermöglichen würde, bleibt nach den Auffassungen der meisten Teilnehmer vorerst auf punktuelle Initiativen beschränkt. Wolfgang Hahn-Cremer hatte in seinem Eingangsreferat noch einmal die Nutzungsmöglichkeiten aufgezeigt, die aus der Aufrüstung resultieren würden; nur die Summe aus Digitalisierung und Interaktivität sichere die Existenz des Kabels langfristig. Auch Ralf Heublein und Konrad Hilbers, Vorstandsvorsitzender von HSE24, wiesen auf die Chancen hin, die das Kabel noch nutzen könne.
Für Ian Aaron, Vorstandsmitglied des amerikanischen TV-Unternehmens Gemstar / TV-Guide, wird es auch in Deutschland höchste Zeit, diese Aufgaben anzugehen. In den USA hätten die Kabelnetzbetreiber sehr konsequent die Digitalisierung und die Netzaufrüstung vorangetrieben und damit erreicht, die Konkurrenz des Satelliten einzudämmen und trotz gleich bleibenden Marktanteils ihre Umsätze wesentlich zu erhöhen. Video on Demand und Kabeltelefonie gehöre inzwischen bereits in vielen amerikanischen Kabelnetzen zum Standardangebot. Voraussetzung für eine erfolgreiche Migration in die digitale Kabelwelt sei außerdem, einen Fernsehkanal anzubieten, der die Zuschauer auf attraktive Weise zu den neuen Programmen hinführe; diese „guidance“ sei für den Erfolg eines digitalen Kabelnetzes unverzichtbar.
Die meisten Teilnehmer der Konferenz zogen ein optimistisches Fazit: Der Stillstand im Kabel scheint überwunden. Trotzdem nutzt das Kabel noch lange nicht alle technischen Möglichkeiten. Es sind eher kleine Schritte, die den Markt prägen. Für große Schritte bleibt noch Raum.
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