Herzinfarkt: Weg zu neuer Therapie
Trotz immer besserer Therapiemöglichkeiten bleibt der Herzinfarkt in Deutschland mit rund 45.000 Verstorbenen (im Jahr 2021) eine der häufigsten Todesursachen. Eine jetzt im European Heart Journal veröffentlichte Studie der Kardiochirurgischen Forschungsgruppe am Deutschen Herzzentrum der Charité (DHZC) weist nun einen Weg hin zu einer neuen Therapie: Die Forschenden konnten im Tiermodell erstmalig nachweisen, dass die katheterbasierte Applikation von sogenannten „extrazellulären Vesikeln“ in die Herzkranzgefäße nach akutem Herzinfarkt zu einer verminderten Narbenbildung und einer verbesserten Herzfunktion führt.
Extrazelluläre Vesikel (EV) sind winzige membranumhüllte Partikel, die von Zellen in den extrazellulären Raum abgegeben werden. Sie enthalten bioaktive Moleküle, die die Funktionen empfangender Zellen beeinflussen können, wirken also gleichsam als „Boten“.
Es ist bekannt, dass extrazelluläre Vesikel, die von menschlichen kardialen Vorläuferzellen stammen – also von speziellen Zellen, die das Potenzial haben, sich in verschiedene Zelltypen des Herzens zu entwickeln –, das Herz schützen und die Bildung neuer Blutgefäße fördern können. Sie sind zudem hypoimmunogen, lösen also nur eine sehr schwache oder keine Immunreaktion des Körpers aus.
Wegen dieser „Fähigkeiten“ gelten extrazelluläre Vesikel aus Vorläuferzellen (CPC-EV) seit längerem als potenzielle Behandlungsoption für akute Herzinfarkte. Tatsächlich konnte in früheren Studien auch gezeigt werden, dass CPC-EV die Infarktgröße verringern und die Herzfunktion verbessern können – allerdings nur bei direkter Injektion in den Herzmuskel mit geöffnetem Brustkorb.
Bei den meisten akuten Herzinfarktpatient:innen wird jedoch eine perkutane Koronarintervention vorgenommen, also die Erweiterung verengter oder blockierter Herzkranzgefäße über einen Herzkatheter.
Lassen sich CPC-EV auch im Rahmen dieses Eingriffs wirksam einsetzen? Dieser Frage ist das DHZC-Forschungsteam unter Leitung von Prof. Dr. Dr. Maximilian Emmert nachgegangen, in Zusammenarbeit mit Kolleg:innen der Universität und der ETH Zürich, der Universität Turin, des Herzzentrums Lugano und der Medizinischen Universität Wien.
Die Forschenden isolierten dazu zunächst die EV aus humanen CPC, unter Einhaltung strenger internationaler GMP-Standards („Good Manufacturing Practice“). Anschließend wurden die EV im Tiermodell immer über einen Herzkatheter, aber an unterschiedlichen Stellen verabreicht:
• In die Herzkranzgefäße (Koronarien, intrakoronare Applikation) und
• direkt in den Herzmuskel, unter Verwendung eines „Herznavigationssystems“, das die Injektion exakt in die geschädigten Bereiche ermöglicht.
Das Ergebnis der Studie: Die Gabe der EV in die Koronarien zeigte im Vergleich sowohl zur direkten Applikation in den Herzmuskel als auch zur Kontrollgruppe (der lediglich ein Placebo verabreicht wurde) eine verbesserte Herzfunktion sowie eine deutlich reduzierte Narbenbildung.
Aufgrund dieser vielversprechenden Ergebnisse wurde die Sicherheit und Wirksamkeit der intrakoronaren Verabreichung von EV in einer randomisierten, placebokontrollierten Studie weiter untersucht. Im Ergebnis konnte die Sicherheit und auch die Wirksamkeit der intrakoronaren Applikation von EV mit einer verbesserten Herzfunktion sowie einer deutlichen Reduktion der Infarktgröße weiter bestätigt werden. Darüber hinaus zeigte sich nach intrakoronarer EV-Verabreichung eine signifikante Erhöhung der Blutgefäßdichte.
In beiden Studien wurden keine therapiebedingten unerwünschten Ereignisse im Zusammenhang mit den EV beobachtet.
„Die intrakoronare Verabreichung der EV hat sich als machbare, sichere und wirksame Methode zur Verringerung der Infarktgröße und zur Verbesserung der Herzfunktion erwiesen“, fasst Studienleiter Maximilian Emmert zusammen, „darüber hinaus hat die Studie auch gezeigt, dass die EV aus einer Gewebespende nach guter Herstellungspraxis als allgemein verfügbares „Off the shelf“-Produkt hergestellt werden können. Bis zur potenziellen Anwendung von EV zur Behandlung des akuten Herzinfarkts beim Menschen ist es zwar noch ein weiter Weg – aber wir sind ihn mit dieser Studie einen großen Schritt weiter gegangen.“
Unter der Leitung von Maximilian Emmert und seinem Teamkollegen, dem Herzchirurgen Dr. med. Mir Timo Nazari-Shafti, wird zusätzlich bereits an der Entwicklung von sogenannten „Smart EV“ gearbeitet: gezielt modifizierte extrazelluläre Vesikel, die spezielle Zelltypen im Herzen spezifisch ansprechen und wiederholte Anwendungen sogar ohne Katheter-Interventionen ermöglichen sollen. Für diese Arbeiten wurde Mir Timo Nazari-Shafti in den letzten Jahren durch das Berlin Institute of Health im Rahmen des Clinician Scientist Programms finanziell unterstützt.
Originalpublikation:
https://doi.org/10.1093/eurheartj/ehad636
Weitere Informationen:
https://www.dhzb.de/presse/news/detailansicht-meldungen/ansicht/pressedetail/her… Zur Pressemitteilung
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