Zuckersteuer könnte bis zu 16 Milliarden Euro einsparen

Ein Team um Prof. Michael Laxy (Mitte) hat simuliert, welche Auswirkungen eine Abgabe auf stark gezuckerte Getränke in Deutschland hätte.
(c) Astrid Eckert/TUM

Studie zu Abgabe auf Softdrinks: Effektive Prävention von Erkrankungen wie Diabetes.

Eine Simulationsstudie der Technischen Universität München (TUM) zeigt: Eine Softdrink-Steuer in Deutschland hätte deutliche positive Auswirkungen. Bei allen simulierten Varianten würde weniger Zucker konsumiert, Erkrankungen wären seltener. So ließen sich volkswirtschaftliche Kosten senken und das Gesundheitssystem entlasten. Dabei macht es einen Unterschied, ob die Abgabe darauf zielt, den Softdrink-Konsum zu senken oder Rezeptur-Änderungen herbeizuführen.

Gezuckerte Getränke erhöhen das Risiko für Übergewicht und Erkrankungen wie Diabetes. Einige Länder haben deswegen Steuern oder Abgaben auf Softdrinks eingeführt. In Deutschland gibt es seit 2018 eine Selbstverpflichtung der Getränkeindustrie, den Zuckergehalt in Softdrinks zu reduzieren. Wie eine Studie unter Mitwirkung von Michael Laxy, Professor für Public Health und Prävention an der TUM, Anfang 2023 gezeigt hat, bleiben die Auswirkungen bislang deutlich hinter den Erwartungen zurück.

Im Fachmagazin „PLOS Medicine“ hat ein Team um Michael Laxy und Chris Kypridemos von der University of Liverpool jetzt berechnet, welche Auswirkungen dagegen die Einführung einer sogenannten Zuckersteuer für Deutschland hätte. „Dabei haben uns kurz- und längerfristige Auswirkungen gleichermaßen interessiert. Wir haben deswegen simuliert, wie sich die gängigsten internationalen Besteuerungs-Ansätze im Zeitraum von 2023 bis 2043 auswirken würden“, sagt Michael Laxy. Die bestehenden Softdrink-Abgaben lassen sich grob in zwei Gruppen aufteilen. So müssen beispielsweise in Großbritannien Unternehmen Abgaben leisten, die sich nach der Zuckermenge in den Softdrink-Rezepturen richten. In Mexiko wird die Steuer dagegen unabhängig vom Zuckergehalt der Softdrinks erhoben. Ergebnisse aus internationalen Studien zeigen, dass letztere Variante vor allem zu einer verringerten Nachfrage nach Softdrinks führt, während erstere Variante zudem mit einer Änderung der Rezeptur hin zu weniger Zucker in den Softdrinks einhergeht.

Pro-Kopf-Konsum von Zucker gesenkt

Der Simulation zufolge würde bei einem pauschalen 20-prozentigen Aufschlag auf die Softdrink-Preise der Zuckerkonsum pro Tag und Person um ein Gramm sinken. Betrachtet man nur Männer zwischen 30 und 49 Jahren wären es sogar knapp drei Gramm. Noch stärker würde sich eine Reduktion des Zuckers in den Rezepturen um 30 Prozent auswirken, wie sie in Großbritannien nach Einführung der gestaffelten Hersteller-Abgabe verzeichnet wurde. Durch weniger Zucker in den Getränken würde der Pro-Kopf-Konsum in Deutschland um täglich 2,3 Gramm reduziert – beziehungsweise um 6,1 Gramm für Männer zwischen 30 und 49.

Das Modell des Teams simuliert die deutsche Gesellschaft für den untersuchten Zeitraum. Es nutzt Daten zur individuellen Ernährung, zu Erkrankungen wie Diabetes, zu gesundheitlichen Risikofaktoren und offizielle Bevölkerungsstatistiken. Menschen unter 30 wurden allerdings nicht berücksichtigt, da die meisten der modellierten Erkrankungen vor allem in der zweiten Lebenshälfte auftreten. „Aus nationalen und internationalen Studien wissen wir aber, dass der Softdrink-Konsum im Teenageralter am höchsten ist“, sagt Erstautor Karl Emmert-Fees. „Dementsprechend wäre die durchschnittliche Reduktion des Zuckerkonsums noch drastischer und der positive gesundheitliche Effekt noch größer, wenn wir jüngere Menschen mitberücksichtigen würden.“

Weniger Erkrankungen

„Eine Reduktion des Zuckerverbrauchs um wenige Gramm pro Person klingt nicht nach viel – rein statistisch liegt der Zuckerkonsum in Deutschland bei täglich etwa 95 Gramm pro Kopf. Die Weltgesundheitsorganisation und die Deutsche Gesellschaft für Ernährung empfehlen jedoch, dass maximal zehn Prozent des Energiebedarfs durch Zucker gedeckt werden soll, was in etwa 50 Gramm pro Kopf und Tag entspricht“, erläutert Michael Laxy. „Dabei muss man aber bedenken, dass es innerhalb der Bevölkerung große Unterschiede beim Konsum von Softdrinks gibt. Manche Menschen trinken sie in größeren Mengen, andere dafür nie. Entsprechend stärker wäre die Verringerung des Zuckerkonsums für die Menschen, die viel Softdrinks konsumieren.“

In Bezug auf die gesundheitlichen Auswirkungen sprechen die Modellierungen eine deutliche Sprache: Bei beiden Besteuerungsmodellen gäbe es deutlich weniger Fälle von Übergewicht, Typ-2-Diabetes und Herz-Kreislauf-Erkrankungen. „Besonders eindrücklich sind die Zahlen für Typ-2-Diabetes“, sagt Karl Emmert-Fees. „Durch eine Besteuerung würden unseren Modellen zufolge innerhalb der nächsten 20 Jahre bis zu 244.100 Menschen später oder gar nicht an Typ-2-Diabetes erkranken.“

Einsparungen von mehreren Milliarden Euro

Die positiven Auswirkungen lassen sich den Forschenden zufolge auch als finanzielle Einsparungen ausdrücken: Mit einer Abgabe auf gezuckerte Getränke wären weniger Behandlungen nötig. Kosten durch Krankheitstage, Arbeitsunfähigkeit und ähnliches würden ebenfalls sinken. Für den simulierten Zeitraum hat das Team bei einer gestaffelten Herstellerabgabe volkswirtschaftliche Einsparungen von rund 16 Milliarden Euro errechnet, davon etwa 4 Milliarden Euro an Gesundheitskosten. Bei einer 20-prozentigen Steuer wären es immerhin insgesamt noch etwa 9,5 Milliarden Euro.

Debattenbeitrag für Politik

Folgt man den Ergebnissen der Simulation, die das Team anhand eines zweiten Modells replizieren konnte, hätte eine gestaffelte Herstellerabgabe stärkere positive Auswirkungen als eine pauschale Steuer. „Ob eine Besteuerung von Softdrinks für Deutschland sinnvoll ist, muss die Politik entscheiden“, sagt Michael Laxy. „Wir wollen mit unserer Studie sachliche Argumente für diese Debatte liefern. Unsere Studie zeigt, dass eine Abgabe beziehungsweise eine Steuer auf gezuckerte Getränke eine relevante Maßnahme zur Prävention von Übergewicht, Diabetes und Herzerkrankungen darstellt. Ansätze wie Informationskampagnen haben ihre Berechtigung, sind aber nicht ausreichend und können nur ein Baustein einer wirksamen Gesamtstrategie sein.“

Publikation:

https://journals.plos.org/plosmedicine/article?id=10.1371/journal.pmed.1004311

Weitere Informationen:

Pressemitteilung zu früherer Studie („Zuckerreduktion kommt nicht voran“): https://www.tum.de/aktuelles/alle-meldungen/pressemitteilungen/details/zuckerred…

Professur für Public Health und Prävention:
https://www.sg.tum.de/php/startseite/

Die Forschenden der TUM kooperierten für die Studie mit Prof. Peter Scarborough von der University of Oxford (https://www.oxfordmartin.ox.ac.uk/people/peter-scarborough) und Dr. Chris Kypridemos, Experte für dynamische stochastische Mikrosimulationen an der University of Liverpool (https://www.liverpool.ac.uk/population-health/staff/christodoulos-kypridemos/). Mit solchen Modellen lassen sich Vorhersagen über gesundheitliche und ökonomische Entwicklungen in Gesellschaften treffen. Man spricht von Mikrosimulation, weil die Gesellschaften und die wahrscheinlichste zukünftige Entwicklung anhand einer großen Zahl von Daten auf individueller Ebene nachgebildet werden. Dies bedeutet, dass Individuen mit realistischen Eigenschaften, etwa in Bezug auf Demographie, Ernährung oder Erkrankungen, simuliert werden und keine aggregierten Gruppen. Diese Modelle sind sehr datenhungrig, und basieren auf einer Vielzahl von Parametern, die aus unterschiedlichen Datenquellen berechnet werden.

Weitere wichtige Ergebnisse der Studie

Beide Varianten würden für den Modellierungszeitraum zu einem Gewinn an sogenannten qualitätskorrigierten Lebensjahren (QALYs) führen, eine Kennzahl aus der Gesundheitsökonomie, die Effekte auf die Lebensdauer und die Lebensqualität kombiniert. Bei der 20-prozentigen Steuer lägen diese bei 106.000 zusätzlichen QALYs, bei der gestaffelten Abgabe für Unternehmen bei 192.300.

Durch beide Varianten könnten im Modellierungszeitraum Todesfälle vermieden oder verzögert werden (unabhängig von der Todesursache). Bei der 20-prozentigen Steuer wären es 17.000, bei der gestaffelten Unternehmens-Abgabe 29.300. Für diesen Wert ist allerdings wichtig, dass „verhindert“ und „verzögert“ nicht getrennt modelliert werden.

Beide Varianten würden für den Modellierungszeitraum zu einem Gewinn an vermiedenen oder verzögerten Falljahren von Typ-2-Diabetes führen: 1.109.300 (20-prozentige Steuer) und 1.940.900 (gestaffelte Unternehmens-Abgabe). Auch hier gelten die oben genannten Einschränkungen.

Zusatzinformationen für Redaktionen:

Fotos zum Download: https://mediatum.ub.tum.de/1727884

Diese Pressemitteilung auf tum.de: https://www.tum.de/aktuelles/alle-meldungen/pressemitteilungen/details/zuckerste…

Kontakt im TUM Corporate Communications Center:

Paul Hellmich
Pressereferent
Tel. +49 89 289 22731
presse@tum.de
www.tum.de

Wissenschaftliche Ansprechpartner:

Prof. Dr. Michael Laxy
Technische Universität München
Professur für Public Health und Prävention
Tel: +49 (89) 289 – 24977
michael.laxy@tum.de

Originalpublikation:

Emmert-Fees KMF, Amies-Cull B, Wawro, N, Linseisen J, Staudigel M, Peters A, et al. (2023). „Projected health and economic impacts of sugarsweetened beverage taxation in Germany: A crossvalidation modelling study“. PLoS Med 20(11): e1004311. DOI: 10.1371/journal.pmed.100431

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