Neue Einblicke in die Etikettier-Maschine der Zelle

Die Ubiquitin-Ligase HACE1 bildet eine Plattform aus, auf der ihr Zielprotein passgenau platziert wird. Das befähigt die Ligase, ihr zu steuerndes Protein sicher zu erkennen und von anderen Proteinen zu unterscheiden.
(c) Madita Wolter / Max-Planck-Institut für Multidisziplinäre Naturwissenschaften

Ubiquitin ist ein kleines Protein mit großer Wirkung.

Vom Hefepilz bis hin zum Menschen dient es als molekulares Etikett, das viele Prozesse der Zelle reguliert. Ubiquitin-Ligasen sind dabei als Etikettier-Maschinen unerlässlich: Sie heften Ubiquitin an die zu steuernden Proteine an. Ist dieser Etikettier-Vorgang gestört, können Prozesse in der Zelle krankhaft verändert sein. Ein Team um Sonja Lorenz am Max-Planck-Institut (MPI) für Multidisziplinäre Naturwissenschaften hat nun die Ubiquitin-Ligase HACE1 gebunden an ein wichtiges Zielprotein in 3D sichtbar gemacht. Die Forschenden konnten so Mechanismen aufdecken, wie HACE1 Proteine erkennt und wie dieser Vorgang reguliert wird.

Ubiquitin-Ligasen regulieren zahlreiche Prozesse in lebenden Zellen. Je nachdem, wie viele Ubiquitin-Moleküle sie auf welche Weise an die zu steuernden Proteine anheften, lenken sie deren weiteres Schicksal. „Der Ubiquitin-Code sendet Zielproteine zu bestimmten Wirkorten in der Zelle, aktiviert sie oder veranlasst, dass sie in Proteinkomplexe eingebaut oder abgebaut werden“, erklärt Sonja Lorenz, Leiterin der Forschungsgruppe Spezifitätsmechanismen im Ubiquitin-System am MPI. Entscheidend dafür ist, dass Ubiquitin-Ligasen die entsprechenden Proteine unter Zehntausenden von Molekülen zuverlässig erkennen und den richtigen Code übermitteln.

Wie diese molekulare Erkennung funktioniert, ist ein Schwerpunkt der Forschung von Lorenz und ihrem Team. „Wir wollen herausfinden, welche strukturellen Prinzipien der spezifischen Erkennung zugrunde liegen und wie dies unterschiedlichen Ubiquitin-Ligasen ermöglicht, ganz bestimmte Prozesse zu steuern“, erklärt die Biochemikerin. Dieses Wissen ist nicht nur wichtig, um zu verstehen, welche Rolle Ubiquitin-Ligasen bei normalen oder krankhaft veränderten Vorgängen in lebenden Zellen spielen. Es trägt auch dazu bei, das Ubiquitin-System für therapeutische Anwendungen besser zugänglich zu machen.

Dynamisches Ubiquitin-System

Ubiquitin-Ligasen lassen sich allerdings nur schwer dabei beobachten, wie sie ihr Zielprotein binden. „Das Ubiquitin-System ist auf hohe Dynamik ausgelegt“, erklärt Lorenz. „Die zugrunde liegenden Wechselwirkungen sind daher sehr schwach und von kurzer Dauer.“ Dennoch ist es der Gruppe gelungen, ein solches Zusammenspiel beispielhaft zwischen der Ubiquitin-Ligase HACE1 und ihrem vorrangigen Zielprotein, dem Signalvermittler RAC1, sichtbar zu machen.

Die Forschenden nutzten dazu einen chemischen Trick. „Mithilfe einer chemischen Quervernetzung konnten wir den Komplex zum genau passenden Zeitpunkt so stabilisieren, dass er für Strukturuntersuchungen mittels Kryo-Elektronenmikroskopie zugänglich wurde“, sagt die Forschungsgruppenleiterin. In Zusammenarbeit mit der Kryo-Elektronenmikroskopie-Facility am MPI unter Leitung von Christian Dienemann gelang es dem Team, erstmals einen „Schnappschuss“ des HACE1-RAC1-Komplexes in voller Länge einzufangen.

Plattform für Zielprotein

Durch weitere biophysikalische und funktionsbasierte Experimente fand Lorenz‘ Team heraus, dass die spezielle Architektur der Ubiquitin-Ligase dafür sorgt, dass HACE1 und sein Zielprotein präzise zusammenspielen. Wie die Wissenschaftler*innen entdeckten, bildet die Ubiquitin-Ligase dafür eine Plattform aus, auf der das zu steuernde Protein passgenau platziert wird. Das befähigt die Ligase, ihr Zielprotein sicher zu erkennen und von anderen Proteinen zu unterscheiden. Zudem kann HACE1 auseinanderhalten, ob RAC1 in aktivem oder inaktivem Zustand vorliegt. Denn nur in seiner aktiven Form darf es mit Ubiquitin markiert werden.

Aber auch die Ubiquitin-Ligase HACE1 selbst kann aktiv oder inaktiv geschaltet sein, berichten die beiden Erstautor*innen der jetzt in Nature Structural & Molecular Biology erschienenen Arbeit, Jonas Düring und Madita Wolter. „Zwei HACE1-Moleküle können sich zu einem Komplex, einem sogenannten Dimer, zusammenschließen und sich auf diese Weise selbst abschalten“, erklärt Düring. Wolter ergänzt: „Aktiv ist HACE1 nur als Einzelmolekül. Die Dimerisierung ist damit ein wesentlicher Regulationsmechanismus.“

„Führt HACE1 seine Funktion in der Zelle nicht mehr richtig aus oder fehlt es ganz, kann dies beispielsweise beim Menschen zu Entwicklungsstörungen der Nerven führen, die mit Krankheiten in Verbindung gebracht werden“, erklärt Lorenz. „Dank der Einblicke in das präzise Zusammenspiel von HACE1 und seinem Zielprotein RAC1 werden wir besser verstehen, wie genetische Veränderungen in der molekularen Etikettier-Maschine die Zielprotein-Erkennung stören können.“ Die neu gewonnen Erkenntnisse tragen außerdem grundlegend zum Verständnis verwandter Ubiquitin-Ligasen bei, über deren Zielprotein-Erkennungsmechanismen bisher wenig bekannt ist.

Wissenschaftliche Ansprechpartner:

Dr. Sonja Lorenz
Forschungsgruppe Spezifitätsmechanismen im Ubiquitin-System
Max-Planck-Institut für Multidisziplinäre Naturwissenschaften, Göttingen
Tel.: +49 551 201-1757
E-mail: sonja.lorenz@mpinat.mpg.de

Originalpublikation:

Düring, J.; Wolter, M.; Toplak, J. J.; Torres, C.; Dybkov, O.; Fokkens, T. J.; Bohnsack, K. E.; Urlaub, H.;  Steinchen, W.; Dienemann, C.; & Lorenz, S.: Structural mechanisms of autoinhibition and substrate recognition by the ubiquitin ligase HACE1. Nature Structural & Molecular Biology (8. Februar 2024).
https://doi.org/10.1038/s41594-023-01203-4

Weitere Informationen:

https://www.mpinat.mpg.de/4619043/pr_2405 – Original-Pressemitteilung
https://www.mpinat.mpg.de/de/lorenz – Webseite der Forschungsgruppe Spezifitätsmechanismen im Ubiquitin-System, Max-Planck-Institut für Multidisziplinäre Naturwissenschaften, Göttingen

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