Essen, Kontaktpflege oder Erkunden

Links: Neuronen im Hypothalamus (grün und rot gefärbt) regeln die Übergänge zwischen Essen, sozialen Interaktionen und Erkundung. Die Signalspur zeigt die Beta-Oszillation. Rechts: Die Koordination von Zellen im präfrontalen Kortex und im Hypohalamus beim Übergang zu einem neuen Verhalten. (Bild: AG Korotkova, AG Ponomarenko)

Wie das Gehirn zwischen Verhaltensweisen umschaltet.

Wie schaltet unser Gehirn zwischen verschiedenen Verhaltensweisen um? Eine aktuelle Studie liefert nun eine erste Antwort auf diese zentrale neurowissenschaftliche Frage. Die Forschenden untersuchten bei Mäusen die elektrische Aktivität einer bestimmten Hirnregion. Die Auswertung erfolgte unter anderem mit einem lernfähigen Computer-Algorithmus. Diese künstliche Intelligenz identifizierte eine Art charakteristischen Fingerabdruck in den Signalen. Aus ihm lässt sich ablesen, zu welchem Verhalten die Tiere umschalten werden – und zwar bereits zwei Sekunden, bevor sie das tatsächlich tun. An der Arbeit waren die FAU, das Universitätsklinikum Köln und das Max-Planck-Institut (MPI) für Stoffwechselforschung beteiligt. Die Ergebnisse sind nun in der Fachzeitschrift Nature Neuroscience erschienen.*

An der Arbeit waren die Friedrich-Alexander-Universität Erlangen-Nürnberg (FAU), das Universitätsklinikum Köln und das Max-Planck-Institut (MPI) für Stoffwechselforschung beteiligt.

Wir tun am Tag Tausende unterschiedliche Dinge: Wir telefonieren, schreiben Mails, essen, treiben Sport, putzen uns die Zähne. Wie schafft es das Gehirn, zwischen diesen verschiedenen Verhaltensweisen umzuschalten? Diese Frage wird in den Neurowissenschaften momentan intensiv untersucht. Denn wenn diese zentrale Funktion unseres Denkorgans nicht richtig funktioniert, können massive psychische Störungen die Folge sein – Essanfälle, Magersucht oder auch Zwangserkrankungen.

Für das Umschalten spielt eine bestimmte Hirnregion eine wichtige Rolle, der Hypothalamus. Er übernimmt im Gehirn eine ähnliche Rolle wie ein Fluglotse im Lufthafen-Tower: Bei ihm laufen sämtliche wichtigen Körper-Informationen zusammen – ob wir Hunger haben, wie hoch unsere Körpertemperatur ist, wie schnell unser Herz schlägt. Zusätzlich wird er vom Rest des Gehirns über die Außenwelt informiert. Er nutzt diese Informationen zum Beispiel, um angeborene Verhaltensweisen wie Nahrungsaufnahme, die Erkundung der Umgebung oder die Kontaktaufnahme zu Artgenossen zu regulieren. Wie aber macht er das?

Um diese Frage zu beantworten, hat ein Tandem von Arbeitsgruppen unter der Leitung von Prof. Dr. Alexey Ponomarenko vom Institut für Physiologie und Pathophysiologie an der FAU und Prof. Dr. Tatiana Korotkova an der Universitätsklinik Köln und dem MPI für Stoffwechselforschung einige der modernsten Techniken der Neurowissenschaften und der Mathematik kombiniert. Die Forschenden haben sich dazu den Hypothalamus von Mäusen angeschaut. Denn der ist im Prinzip ganz ähnlich aufgebaut wie der des Menschen. „Wir haben die elektrische Aktivität einer bestimmten Region im Hypothalamus mit Hilfe eines KI-Verfahrens analysiert“, erklärt die Datenwissenschaftlerin Mahsa Altafi, die an der FAU promoviert.

Erstes Ergebnis: Der Hypothalamus schwingt in einem Rhythmus, den man als ß-Oszillation bezeichnet. 20 Mal in der Sekunde sind die Nervenzellen in ihm besonders aktiv; dazwischen klingt ihre Aktivität wieder ab. Es ist wie bei einem Orchester, in dem alle Musikerinnen und Musiker auf den Taktstock achten, um koordiniert zusammenzuspielen. Besonders interessant dabei: Manche Zellen haben ihren Einsatz nicht auf dem Takt, sondern kurz davor – gewissermaßen auf dem Offbeat. Sie spielen dann eine bestimmte Melodie. Und diese Tonfolge beeinflusst, welches Stück das Orchester als nächstes spielt. „Wir können an dem elektrischen Signal ablesen, zu welchem Verhalten die Mäuse zwei Sekunden später umschalten werden“, erklärt Altafi.

Doch was passiert, wenn die Offbeat-Melodie unterbleibt? Das Team ist auch dieser Frage nachgegangen. Changwan Chen, Doktorand am MPI für Stoffwechselforschung und am Universitätsklinikum Köln, hat zu diesem Zweck die Aktivität der beteiligten Hypothalamus-Neuronen durch Einstrahlung von Licht verändert. Der Effekt war erstaunlich: Die Mäuse verharrten in ihrem momentanen Verhalten, bis die Einstrahlung beendet wurde. Sie interagierten zum Beispiel beharrlich mit ihren Artgenossen, selbst wenn die daran absolut kein Interesse zeigten. „Es war beeindruckend, wie ausdauernd die Tiere dabei waren – selbst dann, wenn die andere Maus versuchte, diesen langanhaltenden Kontaktversuchen zu entfliehen“, erinnert sich Chen.

Die „Offbeat-Melodie“ versetzt den Hypothalamus also offensichtlich in einen Übergangszustand und ermöglicht dadurch, dass die Tiere zu einem anderen Verhalten umschalten. Zu welchem, liegt aber nicht ausschließlich in Verantwortung des Hypothalamus: Offensichtlich wird er dabei von einer Region im Stirnhirn instruiert, dem medialen präfrontalen Kortex. Dieser ist für die kognitive Kontrolle des Verhaltens zuständig. Er wägt zum Beispiel ab, welche Option in einer bestimmten Situation am angebrachtesten ist: Soll ich fressen? Oder soll ich lieber mit einer anderen Maus interagieren oder neue Erlebnisse sammeln?

Um mit dem Hypothalamus zu kommunizieren, schwingt sich der mediale präfrontale Kortex auf dessen Aktivitätsrhythmus ein – er folgt also ebenfalls dem Taktstock der ß-Oszillation. „Seine Signale helfen dem Hypothalamus dann dabei, Übergänge zwischen Verhaltensweisen zu fördern“, erklärt Prof. Korotkova von der Universitätsklinik Köln. „Besonders faszinierend ist, dass der Hypothalamus mit der Vorbereitung dieses Übergangs schon zwei Sekunden vor dem tatsächlichen Auftreten beginnt. Wahrscheinlich ist den Mäusen zu diesem Zeitpunkt noch gar nicht bewusst, dass sie zu einem anderen Verhalten umschalten werden.“

„Unsere Ergebnisse zeigen, dass die ß-Oszillation für die Orchestrierung von Myriaden von Neuronen wichtig ist, die bestimmte Verhaltensweisen und den Übergang zwischen ihnen steuern“, sagt Prof. Ponomarenko. „Diese Erkenntnis könnte zur Entwicklung neuer Medikamente und Therapien bei schweren psychiatrischen Störungen beitragen. Davon werden eines Tages auch Patientinnen und Patienten mit Magersucht oder Zwangsneurosen profitieren.“

*DOI: 10.1038/s41593-024-01598-3

Wissenschaftliche Ansprechpartner:

Prof. Dr. Alexey Ponomarenko
Friedrich-Alexander-Universität Erlangen-Nürnberg (FAU)
Telefon: 09131/85-29302
alexey.ponomarenko@fau.de

Prof. Dr. Tatiana Korotkova
Universität zu Köln/Uniklinik Köln
tatiana.korotkova@uk-koeln.de

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