Erste industriell anwendbare Häkelmaschine

Rund drei Jahre arbeiteten Projektleiter Jan Lukas Storck und das Team um Liska Steenbock an der Entwicklung ihres nun patentierten Prototyps.
(c) Patrick Pollmeier / HSBI

Einst prägten innovative Textilmaschinen das Bielefelder Wirtschaftsleben für mehr als einhundert Jahre. Mit der Entwicklung der ersten industriell skalierbaren Häkelmaschine knüpft ein Projekt der AG Textile Technologien am Fachbereich Ingenieurwissenschaft und Mathematik der HSBI im Kleinen an diese Tradition an. Der im Projekt entwickelte CroMat füllt eine technikgeschichtliche Leerstelle mit Technologie aus dem 3D-Druck und der Hilfe eines Mikrocontrollers.

Das Erste wovon man sich im Labor der AG Research on Materials for Functional Textiles and 3D printing (MTex³, ehemals Textile Technologien) trennen muss, sind die Bilder im Kopf. Hier gibt es keine strickende Großmutter, es liegen keine Wollknäuel herum und es gibt auch keine Topflappen oder Schals. Stattdessen stehen Liska Steenbock und Jan Lukas Storck in einem hellen Raum im D-Trakt des Hauptgebäudes der Hochschule Bielefeld (HSBI), in dem sich auf jeder möglichen Ablagefläche ein Gerät, eine Maschine oder ein Rechner findet. Mit diesem Equipment hat die Arbeitsgruppe ihre Entwicklungen der letzten Jahre vorangetrieben. Für gewöhnlich drehen sich die Projekte der Arbeitsgruppe um Leiterin Prof. Dr. Dr. Andrea Ehrmann um technologische Lösungen für die textilen Probleme der Gegenwart und Zukunft: Smarte Textilien, Herstellung von Nanofasern oder textile Substrate für die vertikale Landwirtschaft lauten einige der letzten Themen. Auf dem Tisch vor Steenbock und Storck steht heute aber die Antwort auf eine mehr als 100 Jahre alte technikgeschichtliche Frage.

CroMat nennt das Team der AG Textile Technologien (MTex³) an der HSBI seinen Prototypen für die erste industriell skalierbare Häkelmaschine der Welt.
CroMat nennt das Team der AG Textile Technologien (MTex³) an der HSBI seinen Prototypen für die erste industriell skalierbare Häkelmaschine der Welt. (c) Patrick Pollmeier / HSBI

Häkeln galt als nicht automatisierbar. Der CroMat zeigt: es geht doch

„Im Gegensatz zu nahezu allen anderen Textiltechniken galt das Häkeln als nicht maschinell umsetzbar, weil es zu komplex sei. Wir haben gezeigt, dass es doch geht“, beschreibt Projektleiter Jan Lukas Storck den technikgeschichtlichen Kontext, in dem sich die neueste Erfindung seiner Arbeitsgruppe bewegt. Fast drei Jahre tüftelte das Team um Storck und Steenbock an der Entwicklung eines Prototyps der weltweit fortschrittlichsten Häkelmaschine. Der sollte nicht nur mit dem alten – Pauschalurteil aufräumen, dass die zahlreichen und komplexen Maschen des Häkelns nicht maschinell gebildet werden können. Zugleich sollte die Häkelmaschine auch die Vielfalt automatisierbarer textiler Strukturen demonstrieren. Durch diesen konkreten Anwendungsbezug soll der Prototyp für zukünftige Investitionen attraktiv werden, die ihn bestenfalls serienreif machen. „CroMat“ (zusammengesetzt aus dem englischen Wort „Crochet“ für Häkeln und Automation) nennt die AG ihren fertigen Prototypen. Im vorletzten Jahr ließ die Gruppe ihre Neuentwicklung außerdem als Patent eintragen. Damit steht der CroMat auch in direkter Nachfolge des allerersten Häkelmaschinenpatents, das Andrea Ehrmann mit weiteren Mitgliedern der AG schon 2017 veröffentlichte.

Technik aus CNC-Fräsen und 3D-Druck ist die Grundlage der neuen Textilmaschine

Auf den ersten Blick sieht die technische Weltpremiere noch relativ unscheinbar aus: Auf einem mit Traversen verbundenen Rahmengestell von ungefähr 50 x 60 cm stehen sich eine Reihe Zungennadeln, an deren hakenförmigen Ende eine winzige Klappe sitzt und eine Schiebernadel als Verkörperung der Häkelnadel gegenüber. Storck und Steenbock sprechen beim Blick auf die prägenden Komponenten ihres Prototyps von „Hilfsnadelbett“ und „aktiver Nadel“. Letztere ist in einen motorisierten Maschinenkopf eingebettet und kann auf einer Schiene die Nadelreihe millimetergenau abfahren und wie die Nadel beim Häkeln in die Maschen einstechen. Die Befehle dafür erhält der Nadelkopf in der Programmiersprache G-Code, die auch beim 3D-Druck oder beim CNC-Fräsen verwendet wird. „Noch sieht es ein bisschen nach Lego Technic aus“, muss Storck, der in den letzten Zügen seiner Promotion liegt, beim aktuellen Anblick des Prototypen selbst ein wenig lachen. „Aber unsere Idee war, dass man durch die modulare Bauweise Komponenten unkompliziert austauschen kann. Diesen Ansatz des Rapid Prototyping haben wir auch in unserer Entwicklung verfolgt und viele Teile per 3D-Druck selbst erstellt.“

Alles steht und fällt mit der Reproduzierbarkeit des Textils

Mit diesem innovativen System will das CroMat-Team mit dem bis heute gängigen Vorurteil aufräumen, dass Häkeln nur als reine Handarbeitstechnik für den Hobbybereich taugt. „Ein Grund dafür ist der eher dekorative Charakter gehäkelter Textilien. Es gab aber auch nie einen industriellen Anwendungsfall für gehäkelte Stoffe. Und wo es keinen Anwendungsfall gibt, lohnen sich die Investitionen in Automatisierung nicht“, erklärt sich Liska Steenbock den langen Weg zur ersten skalierbaren Häkelmaschine. Genau das soll der CroMat ändern und die Vorteile gehäkelter Textilien für industrielle Anwendungen attraktiv machen. Dafür müssen die hergestellten Textilien aber zuerst „reproduzierbar“ sein. In der Praxis bedeutet das: Sie müssen in immer gleichbleibender Qualität produziert werden können. „Genau dafür braucht es maschinelle Verfahren, denn von Hand gehäkelte Textilien bleiben selbst in herausragender Qualität immer Einzelstücke“, begründet die Ingenieurin das bisherige Fehlen technischer Häkelstoffe.

Komplexe Handbewegungen müssen in Programmiersprache übersetzt werden

Anders als ihr Kollege Storck beherrschte sie das Häkeln schon, während der sich das Bilden von Luftmaschen, Kettmaschen oder halben Stäbchen erst autodidaktisch aneignen musste. „Einer der spannendsten Aspekte im Entwicklungsprozess war für mich, die vielen Arten von Maschen und ihre komplexen Handbewegungen in Programmierbefehle der Maschine zu übersetzen und zu sehen, dass es am Ende funktioniert“, berichtet Steenbock über die zurückliegenden Monate. In mühevoller Kleinarbeit mussten die Grundmaschenarten sowie alle möglichen Kombinationen der Maschen von Hand vorgehäkelt werden. Anschließend wurden die Bewegungsabläufe in Maschinenbefehle übersetzt und die entstandenen Strukturen am Rechner modelliert. Rund 30 Befehle kamen so zusammen, die nun das Zusammenspiel der Maschine steuern.

Eine zweite Nadelreihe schafft konstante Bedingungen

Die größte Schwierigkeit für das Entwicklungsteam bestand darin, mit der Nadel zuverlässig in die von den Hilfsnadeln gebildeten Maschen einzustechen. „Beim Handhäkeln ergibt sich die passende Einstichstelle intuitiv durch die Lage der Masche und die daran angepasste Bewegung der Häkelnadel“, erklärt Storck den Basisvorgang des Häkelns. Für eine maschinelle Anwendung braucht es rund um diesen Vorgang aber konstante Bedingungen. „Das heißt: Die Einstichstellen müssen immer offen und an vorhersagbaren Stellen liegen. Genau dieses Problem lösen wir, indem wir eine Masche an zwei Hilfsnadeln aufhängen.“

Anwendungsfälle: vom Bootsrumpf bis zum fair gehäkelten Textil

Herzstück des komplexen mechatronischen Aufbaus des CroMat ist eine handelsübliche Platine eines 3D-Druckers mit einem Mikrocontroller. Innerhalb der immer noch überwiegend mechanisch angetriebenen Welt der Textilmaschinen stellt ihr Einsatz eine echte Innovation dar. Überhaupt kosten die Einzelkomponenten des CroMat nicht viel: Auf rund 1.000 Euro schätzt Storck die bisherigen Entwicklungskosten, ohne die selbstgedruckten Komponenten aus dem 3D-Drucker.

Neben dem geringen Preis soll der Prototyp aber vor allem durch seine Produkte interessant für einen potenziellen Partner werden. Nach der Weiterentwicklung zur Serienreife könnten vom CroMat produzierte Textilien überall dort interessant werden, wo es um Qualität statt Quantität oder um komplexe Formen geht: „Am interessantesten sind für uns endkonturnahe Faserverbundstoffe, bei denen die textile Verstärkung schon die Form des späteren Bauteils hat“, benennt Storck eines der von der AG angepeilten Einsatzgebiete. Gemeint sind damit Werkstoffe, bei denen ein Textil mit einem andersförmigen Material wie Harz oder Kunststoff kombiniert wird. Bekanntestes Beispiel der Familie ist das „Fiberglas“, aus dem u.a. Bootsrümpfe, Badewannen oder die Platine des CroMat gefertigt werden.

Dreidimensionale Gewebe könnten die Lücke für den CroMat sein

Bei den mit Textilien verstärkten Verbundstoffen wird dabei häufig ein flächig produziertes Textil in die Form des Bauteils gebracht. „Dadurch können aber Schwachstellen im Gewebe und Verschnitt entstehen“, macht Storck auf ein Defizit bisheriger Verfahren aufmerksam. Eine Lösung liegt für ihn in dreidimensionalen Textilien, die direkt die Form des Bauteils nachbilden. „Genau dafür eignet sich das Häkeln besonders gut, weil die Nadel an jeder beliebigen Stelle neue Maschen bilden und dadurch komplexe Formen herstellen kann“. Dafür müssen die Textilien aktuell noch von Hand umgehängt werden – ein auch bei anderen Textilmaschinen üblicher Vorgang.

Für den Konsument:innenbereich ist die Maschine vorerst als Ergänzung gedacht

Aber auch klassische Häkeltextilien wie Schals, Mützen oder Taschen könnte der CroMat herstellen. Eine automatisierte Produktion würde hier das Potenzial besitzen, nicht länger auf die häufig unter prekären oder ausbeuterischen Bedingungen hergestellten Häkeltextilien angewiesen zu sein. Doch in näherer Zukunft soll der CroMat das Handhäkeln lediglich ergänzen: „An allem, was den Reiz des Häkelns ausmacht, ändert der CroMat nichts“, räumt Liska Steenbock alle dementsprechenden Befürchtungen aus. „Aus Garn und Häkelnadel mit der eigenen Kreativität Textilien, Kleidung oder Dekorationen zu erschaffen, wird auch weiterhin vielen Menschen Freude machen. Wir wollten nur zeigen, dass all das auch maschinell möglich ist.“

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Lars Kruse Ressort Hochschulkommunikation

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