Künstliches Nachtschatten-Molekül wirkt gegen Leukämiezellen

Erstautor Marko Cigler (l) und Studienleiter Georg Winter (r) in der CeMM Time Capsule
Foto: Anna Yuwen / CeMM

Von der Natur inspiriert…

Nachtschattengewächse besitzen eine große Palette an Wirkstoffen, die medizinisch interessant sind. Aus einer Gruppe davon, den Withanoliden, haben Forschende am CeMM nun eine künstliche Variante identifiziert, die hochspezifisch gegen Leukämiezellen wirkt. Mit Hilfe modernster chemischer und genetischer Hochdurchsatzanalysen gelang dem Team um Georg Winter nicht nur, die Wirksamkeit zu bestätigen, sondern auch den Wirkmechanismus aufzuklären: Das Molekül stört den Cholesterin-Stoffwechsel der Tumorzellen. Die Ergebnisse der Studie wurden in der Fachzeitschrift Nature Chemical Biology publiziert (DOI 10.1038/s41589-024-01614-4).

Nachtschattengewächse können köstlich sein, wie etwa die Kartoffel, Tomate oder Aubergine. Andere enthalten dagegen starke Gifte, wie die Tollkirsche, die Engelstrompete oder der Stechapfel. Doch gerade die giftigen Vertreter sind für die Medizin interessant: Neben Alkaloiden produzieren sie eine breite Palette an Steroiden, eine Stoffklasse an Lipiden, die auf vielfältige Weise den menschlichen Stoffwechsel beeinflussen kann. Zu den Steroiden zählt auch die Gruppe der Withanolide, die unter anderem mit entzündungshemmenden, antioxidativen und krebsvorbeugenden Eigenschaften in Verbindung gebracht werden.

Daher hat die Forschungsgruppe um Georg Winter, Principal Investigator am CeMM, in Kollaboration mit der Forschungsgruppe von Prof. Herbert Waldmann am Max-Planck Institut für molekulare Physiologie, eine große Sammlung an künstlichen Varianten der Withanolide genauer unter die Lupe genommen und auf ihren Effekt auf Leukämiezellen – genauer: Zellen von chronisch myeloischer Leukämie und T-Zell-Leukämie – untersucht. Tatsächlich sind sie dabei auf eine Variante gestoßen, die diese Tumorzellen hochspezifisch abtötet, während sie andere, nicht-maligne Blutzellen kaum beeinträchtigt – ein wichtiges Kriterium, um als Wirkstoff-Kandidat für den klinischen Einsatz in Frage zu kommen. Die gefundene Substanz tauften sie auf den Namen Orpinolide.

Cholesterintransport als Achillesferse der Leukämie

Anschließend haben die Forschenden durch modernste Hochdurchsatzmethoden wie quantitativer Proteomik und Transkriptomik herausgefunden, dass Orpinolide den Cholesterintransport in Tumorzellen stört. Cholesterin ist ein für Zellen lebenswichtiger Bestandteil der Zellmembran und gehört chemisch zu der Gruppe der Sterole. Durch die systematische Inaktivierung aller Gene mittles der Genschere CRISPR/Cas9 und die Analyse von Veränderungen in der Thermostabilität des gesamten Proteoms, konnte sogar die exakte molekulare Bindungsstelle von Orpinolide identifiziert werden: der Cholesterintransporter OSBP.

„Diese Studie zeigt, dass der Steroltransport eine Achillesferse in der Leukämie darstellt, welchen wir mit chemischen Wirkstoffen blockieren können.“, sagt Studienleiter Georg Winter. Die Aufklärung des Wirkmechanismus von Orpinolide könnte daher als Ausgangspunkt für die Entwicklung neuer Medikamente gegen diese Form von Blutkrebs dienen. „Naturstoffe bleiben eine wichtige Inspirationsquelle für neue Arzneimittel. Unsere Fähigkeit, sie umfassend zu verstehen, sollte zahlreiche Möglichkeiten für zukünftige Innovationen in der Arzneimittelforschung eröffnen.“, ergänzt Erstautor Marko Cigler.

Die Studie „Orpinolide disrupts a leukemic dependency on cholesterol transport by inhibiting OSBP“ erschien in der Zeitschrift Nature Chemical Biology am 21.06.2024 DOI: 10.1038/s41589-024-01614-4

AutorInnen: Marko Cigler, Hana Imrichova, Fabian Frommelt, Lucie Caramelle, Laura Depta, Andrea Rukavina, Chrysanthi Kagiou, J. Thomas Hannich, Cristina Mayor-Ruiz, Giulio Superti-Furga, Sonja Sievers, Alison Forrester, Luca Laraia, Herbert Waldmann and Georg E. Winter

Förderung: Diese Studie wurde durch den Wissenschaftsfonds FWF sowie durch den Europäischen Forschungsrat (ERC) im Rahmen des Horizon 2020 Programms zur Förderung von Forschung und Innovation gefördert.

Das CeMM Forschungszentrum für Molekulare Medizin der Österreichischen Akademie der Wissenschaften ist eine internationale, unabhängige und interdisziplinäre Forschungseinrichtung für molekulare Medizin unter wissenschaftlicher Leitung von Giulio Superti-Furga. Das CeMM orientiert sich an den medizinischen Erfordernissen und integriert Grundlagenforschung sowie klinische Expertise, um innovative diagnostische und therapeutische Ansätze für eine Präzisionsmedizin zu entwickeln. Die Forschungsschwerpunkte sind Krebs, Entzündungen, Stoffwechsel- und Immunstörungen, sowie seltene Erkrankungen.
Das Forschungsgebäude des Institutes befindet sich am Campus der Medizinischen Universität und des Allgemeinen Krankenhauses Wien.
www.cemm.at

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Stefan Bernhardt
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Originalpublikation:

https://doi.org/10.1038/s41589-024-01614-4

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