Was "Phase ist", wenn amorphes Silizium flüssig wird
Physiker der Universität Jena und des Berliner Hahn-Meitner-Instituts weisen erstmals Glasübergang in amorphem Silizium nach und belegen in „Nature Materials“-Publikation die Existenz eines Flüssig-Flüssig-Phasenübergangs
Man sollte meinen, ein Vorgang wie das Schmelzen eines Stoffes ließe aus wissenschaftlicher Sicht keine größeren Fragen mehr offen. Doch bis heute ist für viele Stoffe nicht bis ins Detail verstanden, was auf atomarerer Ebene wirklich passiert, wenn sie vom festen Zustand in den flüssigen übergehen. Physiker der Friedrich-Schiller-Universität Jena und des Berliner Hahn-Meitner-Instituts (HMI) haben den Phasenübergang von amorphem Silizium untersucht und dabei gleich zwei Besonderheiten aufgedeckt. Sie widerlegten zum einen, dass es sich beim Wechsel des Aggregatzustandes um einen echten Schmelzvorgang (Phasenübergang 1. Ordnung) handelt, wie man ihn etwa von Metallen kennt. Zum anderen fanden sie erstmals Hinweise auf einen so genannten Flüssig-Flüssig-Phasenübergang, der bisher nur am Computer simuliert, jedoch nicht in Experimenten nachvollzogen werden konnte. Die Ergebnisse, die einen Paradigmenwechsel darstellen, sind ab heute (25.10.) in der Online-Version der renommierten Fachzeitschrift „Nature Materials“ nachzulesen, wo vorab auf die Highlights der nächsten Printausgabe hingewiesen wird.
„Entgegen der bisherigen Postulate konnten wir einen zweistufigen Vorgang nachweisen, bei dem sich das amorphe Silizium im ersten Schritt wie Glas verhält“, nennt der Erstautor André Hedler das Ergebnis. Dem Physiker, der gerade seine Doktorarbeit an der Universität Jena anfertigt, ist es gemeinsam mit Dr. Siegfried Klaumünzer und Prof. Dr. Werner Wesch gelungen, zu zeigen, was beim Phasenübergang Phase ist.
In amorphem Silizium, das etwa in Solarzellen von Taschenrechnern zum Einsatz kommt, hat jedes Atom vier Nachbarn, die jeweils in den Ecken von Tetraedern angeordnet sind. Bei einer Temperaturerhöhung gerät dieses Gerüst aus den Fugen, so dass dann im flüssigen Silizium ein Atom von sechs Nachbarn umgeben ist. Die Siliziumatome rücken also näher zusammen, weswegen flüssiges Silizium auch eine erheblich höhere Dichte aufweist. Da dieser Umbau jedoch in wenigen Picosekunden abläuft, hatten bisherige Experimente den genauen Verlauf nicht hinreichend erklären können. „Lässt man sich beim Messen zu lange Zeit, kann man lediglich konstatieren, dass das, was vorher fest war, nun als Flüssigkeit vorliegt“, nennt Hedler ein Hauptproblem. Deshalb bediente er sich der Methode des „Ion-Hammering“, ein Effekt, der 1983 von dem Co-Autor Klaumünzer vom HMI entdeckt worden ist. Dabei wird eine mikrometerdünne Schicht eines festen Stoffes mit Ionen beschossen.
Diese Behandlung führt dazu, dass die Schicht hinterher platt ist, als ob ein Schmied sie auf einem Amboss breitgehämmert hätte. Das kommt dadurch, dass das Material entlang der „Ionenbohrlöcher“ flüssig wird. Da diese kurzzeitig entstehende Flüssigkeit Schubspannungen, die entlang der Ionenbahn entstehen, abbaut, wird die Schicht auf bestimmte Art und Weise deformiert. „Würde der Übergang vom festen in den flüssigen Zustand in amorphem Silizium genau so ablaufen wie bisher angenommen, so würde man nach Ionenbestrahlung eine entgegengesetzte Deformation feststellen“, erklärt André Hedler. Seine Ergebnisse sprechen jedoch eine andere Sprache, ergo ist der Phasenübergang kein Schmelzprozess 1. Ordnung.
Was anders ist, beschreibt der Jenaer Nachwuchsforscher wie folgt: „Wir messen zwar eine plastische Deformation, d. h. für hinreichend hohe Energien werden Schubspannungen abgebaut. Doch die Richtung, in die die Spannungen abgebaut werden, ist nicht die erwartete. Das amorphe Silizium reagiert wie ein Glas.“ Diese Beobachtung setzt jedoch voraus, dass man im richtigen Zeitfenster auf die Probe blickt. Das ist Hedler und seinen Kollegen gelungen. Sie erwischten das Silizium dabei, wie es sich für kurze Zeit ausdehnte. An diesem Punkt liegt es bereits als Flüssigkeit vor, aber jedes Atom hat immer noch vier Nachbarn, die weiter voneinander wegrücken. Ehe man sich versieht, ist jedoch die Temperatur erreicht, bei der die Atome wieder näher zusammenrücken, so dass nun ein Atom sechs Nachbarn und die Flüssigkeit eine höhere Dichte hat.
„Bisher wurde amorphes Silizium nicht als Glas angesehen“, berichtet Hedler. Denn letzten Endes liegt bei ausreichend hohen Temperaturen eine Flüssigkeit mit höherer Dichte vor. Ein solcher Effekt tritt in Glasschmelzen nicht auf. Dass er nachweisen konnte, dass Silizium sowohl als weniger dichte Flüssigkeit (LDL-Silizium) als auch als Flüssigkeit mit hoher Dichte (HDL-Silizium) vorliegt, impliziert, dass nach dem Glasübergang noch ein Flüssig-Flüssig-Phasenübergang erfolgt. Dieses Phänomen wird auch für Wasser angenommen.
Der Artikel von A. Hedler, S. Klaumünzer und W. Wesch „Amorphous silicon exhibits a glass transition“ erscheint in der Novemberausgabe von „Nature Materials“ und ist als „Advanced Online Publication“ im Internet abrufbar.
Kontakt:
Dipl.-Phys. André Hedler
Institut für Festkörperphysik der Universität Jena
Helmholtzweg 3, 07743 Jena
Tel.: 03641 / 947333
E-Mail: Hedler@pinet.uni-jena.de
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http://www.nature.com/cgi-taf/dynapage.taf?file=/nmat/journal/vaop/ncurrent/index.htmlAlle Nachrichten aus der Kategorie: Biowissenschaften Chemie
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