Riecher für erdige Noten

Befüllen einer 96-well-Platte mit Zellkulturmedium
(c) C. Schranner / Leibniz-LSB@TUM

Erstmals menschlicher Geruchsrezeptor für Geosmin identifiziert.

Geosmin ist eine flüchtige Verbindung mikrobiellen Ursprungs mit einem ausgeprägt „erdigen“ bis „muffigen“ Geruch, der die Qualität von Trinkwasser und Lebensmitteln beeinträchtigen kann. Ein Forschungsteam um Dietmar Krautwurst vom Leibniz-Institut für Lebensmittel-Systembiologie an der Technischen Universität München hat nun erstmals den menschlichen Geruchsrezeptor für Geosmin identifiziert und charakterisiert.

Geosmin ist verantwortlich für den typischen Geruch, der entsteht, wenn Regen auf trockenen Boden fällt. Dieser Duftstoff wird unter anderem von Mikroorganismen im Boden produziert und kommt auch in Pflanzen wie Kakteen und Rote Bete vor.

Viele Lebewesen reagieren sehr empfindlich auf Geosmin, wobei der Geruchsstoff abstoßend oder anziehend wirken kann. So warnt er Fruchtfliegen vor verdorbener Nahrung. Kamele lockt er dagegen in wasserreiche Gebiete. „Das zeigt, dass Geosmin im Tierreich und sicher auch beim Menschen als chemischer Signalstoff fungiert“, erklärt Erstautorin Lena Ball vom Leibniz-Institut.

Geosmin kann Lebensmittelqualität beeinträchtigen

„Während der Geruch von Geosmin zu Rote Bete passt, ist sein Auftreten in Lebensmitteln wie Fisch, Bohnen, Kakao, Wasser, Wein oder Traubensaft problematisch. In diesen beeinträchtigt er die sensorische Qualität und Akzeptanz sehr stark“, erklärt Stephanie Frank, Lebensmittelchemikerin am Leibniz-Institut. Dabei reichen bereits geringste Konzentrationen von 4 bis 10 ng/L für einen Menschen aus, um den Geruch in Wasser wahrzunehmen. Das entspricht etwa einem Teelöffel Geosmin in der Wassermenge von 200 olympischen Schwimmbecken.

Obwohl Geosmin seit 1965 bekannt und für die Lebensmittelproduktion bedeutsam ist, war bisher unbekannt, mit welchem Geruchsrezeptor Menschen den Duftstoff wahrnehmen. Das Team um Studienleiter Dietmar Krautwurst hat nun ein bidirektionales Rezeptor-Screening durchgeführt und erstmals den entsprechenden Rezeptor identifiziert und funktionell charakterisiert.

Nur ein menschlicher Geruchsrezeptor für Geosmin

Von 616 überprüften menschlichen Geruchsrezeptorvarianten sprach nur der Rezeptor OR11A1 auf physiologisch relevante Konzentrationen des Duftstoffs an. Das Team untersuchte zudem, ob der identifizierte Rezeptor auf weitere lebensmittelrelevante Geruchsstoffe reagiert. Von 177 getesteten Substanzen konnte lediglich das erdig riechende 2-Ethylfenchol den Rezeptor signifikant aktivieren, das ebenfalls mikrobiellen Ursprungs ist.

„Da Geosmin ein wichtiger Signalstoff im Tierreich ist, haben wir darüber hinaus untersucht, wie diejenigen Geruchsrezeptoren von Kängururatte, Maus, Rhesusaffe, Sumatra-Orang-Utan, Eisbär und Kamel auf Geosmin reagieren, die mit dem menschlichen Rezeptor genetisch am nächsten verwandt sind. Wir wollten so erfahren, ob die hochselektive Erkennung von Geosmin durch den gleichen Rezeptor in 100 Millionen Jahren Säugetierevolution erhalten geblieben ist“, berichtet Doktorandin Lena Ball. Wie die vergleichenden Untersuchungen des Teams zeigen, gehört der menschliche Rezeptor zusammen mit den Affenrezeptoren zu den weniger empfindlichen Sensoren. So reagierte der Geruchsrezeptor der Kängururatte im Experiment etwa 100-mal empfindlicher auf Geosmin als der menschliche Rezeptor.

„Die neuen Erkenntnisse über die hochempfindlichen Geruchsrezeptoren einiger Tiere betonen einmal mehr die biologische Relevanz von Geosmin als Signalstoff. Zudem könnten sie dabei helfen, neuartige Detektionssysteme zu entwickeln, mit denen sich die Lebensmittelqualität bei der Produktion und Lagerung überwachen oder die Wasserqualität von Süßwasserreservoirs kontrollieren lässt“, fasst Dietmar Krautwurst abschließend zusammen.

Publikation: Ball, L., Frey, T., Haag, F., Frank, S., Hoffmann, S., Laska, M., Steinhaus, M., Neuhaus, K., and Krautwurst, D. (2024). Geosmin, a Food- and Water-Deteriorating Sesquiterpenoid and Ambivalent Semiochemical, Activates Evolutionary Conserved Receptor OR11A1. J Agric Food Chem. 10.1021/acs.jafc.4c01515. https://pubs.acs.org/doi/epdf/10.1021/acs.jafc.4c01515

Hintergrundinformationen

Menschliche Geruchsrezeptoren

Der Mensch besitzt insgesamt etwa 400 verschiedene Geruchsrezeptorgene, die wiederum etwa 600 verschiedene, allelische Rezeptorvarianten in der Nasenschleimhaut kodieren. Letztere sind für die Wahrnehmung und Unterscheidung verschiedener Gerüche verantwortlich. Es besteht jedoch noch Forschungsbedarf, um die genaue Anzahl und Funktion aller Rezeptorvarianten zu ermitteln. Gegenwärtig ist lediglich für etwa 20 Prozent der menschlichen Geruchsrezeptoren bekannt, welche Geruchsstoffe sie erkennen können.

Zum Screening verwendetes Testsystem

Das von den Leibniz-Forschenden entwickelte und für das Rezeptorscreening verwendete zelluläre Testsystem ist laut Dietmar Krautwurst weltweit einzigartig. Er und sein Team haben die Testzellen genetisch so verändert, dass sie wie kleine Biosensoren für Geruchsstoffe fungieren. Dabei legen die Forschenden genau fest, welche Geruchsrezeptorvariante die Testzellen auf ihrer Oberfläche präsentieren. Auf diese Weise können die Forschenden gezielt untersuchen, welcher Rezeptor wie stark auf welchen Geruchsstoff reagiert. Das Leibniz-Institut verfügt über umfangreiche Geruchsstoff- und Rezeptorsammlungen, die es für seine Forschungsarbeit nutzt.

Kontakte:

Experten-Kontakte:

PD Dr. Dietmar Krautwurst
Leibniz-Institut für Lebensmittel-Systembiologie
an der Technischen Universität München (Leibniz-LSB@TUM)
Arbeitsgruppe Taste & Odor Systems Reception
Lise-Meitner-Str. 34
85354 Freising
Tel.: +49 8161 71-2634
E-Mail: d.krautwurst.leibniz-lsb(at)tum.de

Dr. Stephanie Frank
Arbeitsgruppe Food Metabolome Chemistry
Tel.: +49 8161 71-2990
E-Mail: s.frank.leibniz-lsb(at)tum.de

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Dr. Gisela Olias
Wissenstransfer, Presse- und Öffentlichkeitsarbeit
Tel.: +49 8161 71-2980
E-Mail: g.olias.leibniz-lsb(at)tum.de
https://www.leibniz-lsb.de

Informationen zum Institut:

Das Leibniz-Institut für Lebensmittel-Systembiologie an der Technischen Universität München besitzt ein einzigartiges Forschungsprofil an der Schnittstelle zwischen Lebensmittelchemie & Biologie, Chemosensoren & Technologie sowie Bioinformatik & Maschinellem Lernen. Weit über die bisherige Kerndisziplin der klassischen Lebensmittelchemie hinausgewachsen, leitet das Institut die Entwicklung einer Systembiologie der Lebensmittel ein. Sein Ziel ist es, neue Ansätze für die nachhaltige Produktion ausreichender Mengen an Lebensmitteln zu entwickeln, deren Inhaltsstoff- und Funktionsprofile an den gesundheitlichen und nutritiven Bedürfnissen, aber auch den Präferenzen der Verbraucherinnen und Verbraucher ausgerichtet sind. Hierzu erforscht es die komplexen Netzwerke sensorisch relevanter Lebensmittelinhaltsstoffe entlang der gesamten Wertschöpfungskette mit dem Fokus, deren physiologische Wirkungen systemisch verständlich und langfristig vorhersagbar zu machen.

Das Leibniz-Institut ist ein Mitglied der Leibniz-Gemeinschaft (https://www.leibniz-gemeinschaft.de/), die 96 selbständige Forschungseinrichtungen verbindet. Leibniz-Institute widmen sich gesellschaftlich, ökonomisch und ökologisch relevanten Fragen. Sie betreiben erkenntnis- und anwendungsorientierte Forschung, auch in den übergreifenden Leibniz-Forschungsverbünden, sind oder unterhalten wissenschaftliche Infrastrukturen und bieten forschungsbasierte Dienstleistungen an. Die Leibniz-Gemeinschaft setzt Schwerpunkte im Wissenstransfer, vor allem mit den Leibniz-Forschungsmuseen. Sie berät und informiert Politik, Wissenschaft, Wirtschaft und Öffentlichkeit.

Leibniz-Einrichtungen pflegen enge Kooperationen mit den Hochschulen – in Form der Leibniz-WissenschaftsCampi, mit der Industrie und anderen Partnern im In- und Ausland. Die Leibniz-Institute unterliegen einem transparenten und unabhängigen Begutachtungsverfahren. Aufgrund ihrer gesamtstaatlichen Bedeutung fördern Bund und Länder die Institute der Leibniz-Gemeinschaft gemeinsam. Die Leibniz-Institute beschäftigen rund 21.300 Personen, darunter 12.200 Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler. Das Finanzvolumen liegt bei 2,2 Milliarden Euro.

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Wissenschaftliche Ansprechpartner:

PD Dr. Dietmar Krautwurst
Leibniz-Institut für Lebensmittel-Systembiologie
an der Technischen Universität München (Leibniz-LSB@TUM)
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Dr. Stephanie Frank
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Originalpublikation:

Ball, L., Frey, T., Haag, F., Frank, S., Hoffmann, S., Laska, M., Steinhaus, M., Neuhaus, K., and Krautwurst, D. (2024). Geosmin, a Food- and Water-Deteriorating Sesquiterpenoid and Ambivalent Semiochemical, Activates Evolutionary Conserved Receptor OR11A1. J Agric Food Chem. 10.1021/acs.jafc.4c01515. https://pubs.acs.org/doi/epdf/10.1021/acs.jafc.4c01515

https://www.leibniz-lsb.de/presse-oeffentlichkeit/pm-20240801-pressemitteilung-geosmin-geruchsrezeptor

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