Kortex in der Petrischale

Längsschnitt eines polarisierten kortikalen Assembloids (polCA), wobei der vordere Bereich links (proximal zur FGF8-Quelle) und der hintere Bereich rechts (distal zur FGF8-Quelle) liegt.
© Camilla Bosone/IMBA

Neues Gehirnorganoid bildet menschliche Kortexbereiche nach.

Hirnorganoide bieten einzigartige Einblicke in das menschliche Gehirn. Nun hat die Gruppe von Jürgen Knoblich am Institut für Molekulare Biotechnologie (IMBA) der Österreichischen Akademie der Wissenschaften eine neue Method entwickelt, mit der WissenschaftlerInnen Hirnorganoide mit ausgeprägten kortikalen Bereichen erzeugen. Diese Organoide ähneln auch in ihrem Aufbau der typischen Strukturierung in Vorder- bis Rückseite. Gemeinsam mit KollegInnen am Human Technopole und der Universität von Milan-Bicocca berichten sie über diese Methode, die WissenschaftlerInnen einen tieferen Einblick in die menschliche Entwicklung des Gehirns bietet. Die Studie erscheint am 18. September im Nature Methods

Hirnorganoide werden in der Forschung eingesetzt, um die Entwicklung des menschlichen Gehirns zu untersuchen. Mit diesen aus menschlichen pluripotenten Stammzellen gewonnenen 3D-Modelle können WissenschaftlerInnen Eigenschaften untersuchen, die einzigartig für das menschliche Gehirn sind. Kürzlich hat die Gruppe von Jürgen Knoblich am IMBA kortikale Organoide verwendet, um grundlegende Fragen zu beantworten, etwa wie das menschliche Gehirn zu seiner großen Größe heranwachsen kann oder wie sich die weitreichenden Verbindungen des menschlichen Gehirns bilden. Bei den bisher verwendeten kortikalen Organoiden handelt es sich allerdings um ziemlich einheitliche kugelförmige Kulturen – wie Miniaturfußbälle. Diese kugelförmige Struktur unterscheidet sich deutlich vom länglichen menschlichen Kortex, der von hinten nach vorne in verschiedene Bereiche unterteilt ist, die jeweils eine bestimmte Funktion erfüllen. Daher hat das Team nun ein neues Protokoll entwickelt, um Hirnorganoide zu erzeugen, die entlang der Längsachse in spezifische Bereiche unterteilt sind.

Experimentelle Plattform für die Gehirnforschung

Während der Entwicklung wird das sich bildende Gehirn durch verschiedene Signalmoleküle, so genannte Morphogene, strukturiert. Bei der neu präsentierten Methode stellten die ForscherInnen zunächst lange lineare Organoide her. Diese linearen Organoide wurden dann durch Fusion mit einem Zellhaufen, der einen Faktor namens FGF8 produziert, strukturiert. Diese einzige, asymmetrische Quelle von FGF8 sorgt für die Genexpression und die Segregation der Zellen entlang der Längsachse der Organoide, ähnlich dem Muster, das im menschlichen Kortex zu sehen ist. „Wir sind in der Lage, diese Polarität konsistent entlang der gesamten Längsachse des Organoids zu erzeugen“, erklärt Jürgen Knoblich, Senior Group Leader am IMBA und korrespondierender Autor der Studie.

Anschließend demonstrierten die WissenschaftlerInnen, wie kortikale Organoide für die Untersuchung von Hirnerkrankungen eingesetzt werden können. Bei PatientInnen mit Achondroplasie bildet sich der Temporallappen – ein Bereich des Kortex – nicht richtig aus. Diese Fehlbildungen sind mit einer Mutation in FGFR3, einem Rezeptor für das FGF8-Signal, verbunden. In den strukturierten kortikalen Organoiden führt diese Mutation in FGFR3 auch zu Veränderungen in der Struktur und Zellproliferation entlang der Längsachse. „Strukturierte Organoide sind ein Modell, um Defekte zu untersuchen, die Entwicklungsstörungen zugrunde liegen“, so Knoblich weiter. Die Organoide könnten sogar eine experimentelle Plattform sein, um die Hypothese zu testen, dass frühe Defekte in der Musterbildung für Transkriptionsveränderungen im Gehirn von Autisten verantwortlich sind. „Organoide bieten die Möglichkeit, genetische und umweltbedingte Veränderungen, die für neuropsychiatrische Störungen relevant sind, mit spezifischen frühen kortikalen Musterungsereignissen zu verbinden.“

Ein neues Modell für die Kortexentwicklung

Durch die Verwendung strukturierter Hirnorganoide gewannen die WissenschaftlerInnen auch Erkenntnisse über die menschliche Entwicklung. Während der Entwicklung des menschlichen Gehirns interagieren mehrere Morphogene und Signalwege, so dass es schwierig ist, den Beitrag der einzelnen Komponenten zur gesamten Entwicklung zu entziffern. In den strukturierten Hirnorganoiden hingegen ist FGF8 das einzige Signal, das die verschiedenen Bereiche spezifiziert. Aus der Analyse der Hirnorganoide schließen die WissenschaftlerInnen, dass die FGF8-Quelle im sich entwickelnden menschlichen Gehirn, der so genannte Neuralkamm, eine primäre Rolle bei der Musterung des Kortex spielt.

„Durch die Verschmelzung von Organoiden, die unterschiedliche Morphogene produzieren, und die präzise Steuerung des Zeitpunkts und der Menge der Morphogen-produzierenden Zellen in diesen Fusionen dienen polare kortikale Assembloide (PolCAs) als optimales In-vitro-Modell, um einzelne Signalwege in Isolation zu untersuchen“, sagt Camilla Bosone, eine der Erstautoren der Studie. „Diese Hirnorganoide werden ein nützliches Modell sein, um weiter zu untersuchen, wie Neuronen ihre Identität während der Entwicklung erwerben“, fügt Knoblich hinzu.

Wissenschaftliche Ansprechpartner:

Sylvia Weinzettl
IMBA- Institut für Molekulare Biotechnologie GmbH
Dr. Bohr-Gasse 3, 1030 Wien
T: +43 1 79044 – 4403
Mail: sylvia.weinzettl@imba.oeaw.ac.at
www.imba.oeaw.ac.at

Originalpublikation:

Jürgen Knoblich, Camilla Bosone, Veronica Krenn, Segundo Guzman, Tom Wyatt, Thomas Burkard, Sunanjay Bajaj, Joshua Bagley, Benoit Sorre, Davide Castaldi, Christina Cheroni, Nicolo Caporale, Chong Li, Emanuele Villa, Giuseppe Testa. A polarized FGF8 source specifies frontotemporal signatures in spatially oriented cell populations of cortical assembloids. Nature Methods 2024. DOI: 10.1038/s41592-024-02412-5

Weitere Informationen:

https://www.oeaw.ac.at/imba/research-highlights/news/cortex-in-a-dish-new-brain-…

Media Contact

Manel Llado IMBA Communications
IMBA - Institut für Molekulare Biotechnologie der Österreichischen Akademie der Wissenschaften GmbH

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