Neue Karte des Universums enthüllt Mega-Strukturen

Verteilung der Materie im lokalen Universum und die Bahnen (dünne Linien), entlang derer sich Galaxien bewegen. Dichte Regionen markieren das Zusammentreffen vieler Materieströme, wo kosmische Superhaufen liegen. Dünne Regionen sind meist materiefrei.
Credit: Valade et al. 2024 / AIP

Ein internationales Forschungsteam unter Leitung des Leibniz-Instituts für Astrophysik Potsdam (AIP) hat eine neuartige kosmographische Darstellungsmethode entwickelt und durch Analyse der Bewegungen von 56.000 Galaxien eine aktualisierte Karte des lokalen Universums erstellt. Die Arbeit enthüllt beeindruckende kosmische Strukturen und zeigt die großräumige Vernetzung von Galaxien-Superhaufen in unserem Universum.

Im Universum ist die Gravitation die dominierende Kraft: Sie hält den Mond um die Erde, die Planeten auf ihren Umlaufbahnen um die Sonne und verbindet unsere Milchstraße mit ihrer Nachbarschaft, der sogenannten Lokalen Gruppe. Selbst die Lokale Gruppe ist nur ein kleiner Bestandteil des größeren Virgo-Galaxienhaufens, der etwa 2000 Galaxien umfasst und von dem man bisher annahm, er sei Teil der noch größeren Struktur Laniakea. Die neue Studie lässt Zweifel aufkommen, ob Laniakeia tatsächlich unser Superhaufen ist und ob er überhaupt existiert.

Die Kartierung des Universums gehört seit jeher zu den herausforderndsten Aufgaben der Astronomie. Ungenauigkeiten in den Beobachtungen, Messfehler und unvollständige Daten machen diese Arbeit besonders schwierig. Zudem bilden die beobachteten Galaxien nur einen kleinen Teil der gesamten Masse im Universum, da ein Großteil der Materie in Form von nicht sichtbarer Dunkler Materie existiert.

Des Weiteren entstehen Galaxien nicht zwangsläufig so, dass sie die zugrunde liegende Materie gut abbilden, was sie zu einem ungenauen Indikator für die Materieverteilung im Universum macht. Um dennoch eine Karte unserer kosmischen Umgebung zu erstellen, betrachten Forschende zusätzlich die Bewegung von Galaxien. Einerseits bewegen sich die Galaxien zwar durch die Expansion des Universums von uns weg, andererseits ziehen sie sich aufgrund der Gravitation auch gegenseitig an. Diese Bewegungen können kartiert werden und offenbaren die kosmischen Strömungen – die Flüsse im Universum, auf denen sich die Galaxien bewegen. Weil diese Bewegungen durch die Gravitation verursacht werden, wird somit das Unsichtbare sichtbar.

Ein Forschungsteam um den Kosmologen Aurelien Valade, Erstautor der nun in Nature Astronomy veröffentlichten Studie, und Noam Libeskind, Leiter der Kosmograhie-Gruppe am AIP, nutzte die Daten des Cosmic Flows-4 Katalogs mit den Bewegungen von 56.000 Galaxien zur Kartierung des lokalen Universums. Da die Messungen der Geschwindigkeiten von Galaxien jedoch fehlerbehaftet und ungenau sind, gibt es verschiedene mögliche kosmographische Karten, die zu den Beobachtungsdaten passen würden. Deshalb entwickelte das Team einen neuen Ansatz: eine „probabilistische“, wahrscheinlichkeitsbasierte Karte des Universums. Sie gibt an, wie wahrscheinlich es ist, dass ein bestimmtes Merkmal in der Karte, wie z.B. ein „Anziehungsgebiet“, tatsächlich existiert.

Ein solches Anziehungsgebiet ist eine Region, die ohne die kosmische Expansion zu einem einzigen Punkt zusammenfallen würde. Mit dieser neuen Methode erhielten die Forschenden ein zuverlässiges Bild der großräumigen Materieverteilung und enthüllten erstaunliche Strukturen unserer kosmischen Nachbarschaft. Laniakea, der Superhaufen, von dem man davon ausging, dass unsere Galaxie zu ihm gehört, ist vermutlich lediglich ein Anhängsel des weitaus größeren Shapley-Anziehungsgebiets. Laniakeia existiert möglicherweise noch nicht einmal als eigenständige Struktur. Noch erstaunlicher ist die Tatsache, dass die Sloan Great Wall Region – ein riesiger Wall aus Hunderttausenden von Galaxien – mit etwa Tausend Billionen Billionen Kubik-Lichtjahren die derzeit größte bekannte Struktur in diesem kosmischen Netzwerk von Galaxien ist.

„Es dürfte kaum überraschen, dass sich bei einem tieferen Blick in den Kosmos herausstellt, dass unser heimischer Superhaufen weitaus stärker vernetzt und umfangreicher ist, als wir ursprünglich angenommen haben. Es ist aufregend, dass wir mit großer Wahrscheinlichkeit Teil einer viel größeren Struktur sind. Im Moment ist das nur ein Hinweis: Es müssen noch mehr Beobachtungen gemacht werden, um die Größe unseres Heimat-Superhaufens zu bestätigen“, erklärt Noam Libeskind. Die Arbeit wurde in Zusammenarbeit mit Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern der Universität von Hawaii, der Universität von Jerusalem und der Universität Paris-Saclay mit Daten aus dem Cosmic Flows-4 Katalog durchgeführt. Das Team hat außerdem eine interaktive Karte und einen Film erstellt, die hier zu finden sind:

Wissenschaftliche Ansprechpartner:

Dr. Noam Libeskind, +49 331 7499 641, nlibeskind@aip.de

Originalpublikation:

https://www.nature.com/articles/s41550-024-02370-0

Weitere Informationen:

https://www.aip.de/de/research/cosmology/cosmography

Media Contact

Dr. Janine Fohlmeister Presse- und Öffentlichkeitsarbeit
Leibniz-Institut für Astrophysik Potsdam

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