Über Placebos oder die Therapie mit nichts

Placebo-Effekte bei der Schmerz-Unterdrückung entstehen durch die Interaktion von Patienten und Ärzten. Schmerz aktiviert bei Patienten sogenannte Schmerzzentren im Gehirn gelber Stern), wie die funktionelle Kernspin-Resonanz-Bildgebung zeigt. Wenn empathische Ärzte mit solchen Patienten zusammenkommen, dann aktivieren sie ihrerseits die gleichen Zentren im Gehirn. Sie können aber auch die eigenen schmerzunterdrückenden Zentren in ihrem Gehirn in Gang setzen (blaues Symbol). Dies überträgt sich auf Patienten und führt bei ihnen zur Aktivierung von schmerzunterdrückenden Nerven, die körpereigene Opioide und andere Überträgerstoffe im Körper freisetzen und so die schmerzunterdrückende Placebo-Wirkung erzeugen. Dieser Effekt entsteht unabhängig davon, ob das Arzneimittel, das dem Patienten dabei verabreicht wird, einen schmerzstillenden Wirkstoff enthält oder ob es ein reines Placebo ist. (c) GDNÄ

Martin Lohse, Pharmakologie-Professor und Vizepräsident der GDNÄ, über die verblüffenden Wirkungen von sogenannten Scheinmedikamenten und wie sie die Medizin bereichern können.

Sie helfen gegen Schmerzen, Magen-Darm-Beschwerden und Depressionen, die sogenannten Placebos. Was sie können, ist verblüffend, denn sie enthalten keinerlei Arzneiwirkstoff. Wie die Forschung der Therapie mit nichts allmählich auf die Spur kommt und was das für die Ausbildung von Ärztinnen und Ärzten bedeutet, erläutert der Münchner Pharmakologe Martin Lohse in einem Interview auf der Homepage der Gesellschaft Deutscher Naturforscher und Ärzte (GDNÄ).

Von einer ernst zu nehmenden, naturwissenschaftlich begründeten Placebo-Forschung könne man erst seit drei Jahrzehnten sprechen, sagt Martin Lohse, Pharmakologie-Professor in München und Vizepräsident der GDNÄ. „Vor allem die funktionelle Kernspin-Bildgebung gibt uns eine Vorstellung davon, was beim Placebo-Effekt im Kopf von Patienten und Therapeuten passiert“, sagt Lohse. An den Gehirn-Scans lasse sich zum Beispiel ablesen, wie die Empathie des Arztes Patienten bei der Schmerzbewältigung hilft. „Ärzte, die es verstehen, sich in ihre Patienten hineinzuversetzen, können offensichtlich sehr viel bewirken.“ Jetzt gelte es, das Wissen über solche Zusammenhänge zu vermehren und es in die Ausbildung von medizinischem Personal einfließen zu lassen.

Placebo-Effekte lassen sich auch bei konventionellen Arzneimitteln, bei Therapien wie der Akupunktur und sogar in der Chirurgie beobachten. „So zeigen zahlreiche Studien zur Schmerztherapie, dass die Hälfte der Wirkung eines Arzneimittels auf Placebo zurückgeht“, sagt Martin Lohse. Ausschlaggebend sei die Erwartungshaltung des Patienten, wobei sich sowohl positive als auch negative Erwartungen auf den Behandlungserfolg auswirkten.

Sehr effizient genutzt werde der Placebo-Effekt in der Homöopathie. Lohse: „Darauf beruht ihre Wirkung und nicht auf den fast unendlich verdünnten Arzneimitteln, die sie verwendet.“ Diesen Mitteln pharmakologische Eigenschaften zuzuschreiben, sei Unfug.

Deutschland spiele eine führende Rolle in der Placebo-Forschung, sagt der Münchner Pharmakologe. In den nächsten Jahren rechnet er mit vielen neuen Erkenntnissen auf diesem Gebiet.

Das Interview mit Martin Lohse findet sich auf der GDNÄ-Website https://www.gdnae.de/martin-lohse-ueber-placebos-oder-die-therapie-mit-nichts/ Professor Lohse steht für Medienanfragen zur Verfügung. Großen Beifall erhielt er kürzlich für seinen öffentlichen Vortrag „Placebo oder Therapie mit nichts“ auf der GDNÄ-Tagung 2024 in Potsdam. Der Vortrag ist kostenlos abrufbar über die Homepage der Naturforschergesellschaft https://www.gdnae.de/versammlungen/potsdam-2024/videos-potsdam/

Zur Person
Martin Lohse ist Professor für Pharmakologie und Toxikologie, Geschäftsführer des bayerischen Forschungsunternehmens ISAR Bioscience in Martinsried und Vizepräsident der Gesellschaft Deutscher Naturforscher und Ärzte (GDNÄ). Als deren Präsident in den Jahren 2019 bis 2022 prägte er die 200-Jahr-Feier der Naturforschergesellschaft in Leipzig mit dem Tagungsthema „Wissenschaft im Bild“ (PDF). Er ist Herausgeber der aus diesem Anlass veröffentlichten Festschrift „Wenn der Funke überspringt“. Für seine Forschung über G-Protein gekoppelte Rezeptoren erhielt er den höchsten deutschen Wissenschaftspreis, den Leibniz-Preis der Deutschen Forschungsgemeinschaft, und viele weitere Auszeichnungen

Über die GDNÄ
Die Gesellschaft Deutscher Naturforscher und Ärzte e. V. (GDNÄ) ist eine der ältesten deutschen wissenschaftlichen Vereinigungen. Sie wurde im Jahr 1822 von dem Naturphilosophen und Arzt Lorenz Oken gegründet. Der Name der GDNÄ hat sich aus dieser Zeit erhalten. Mit ihrer ersten Versammlung am 18. September 1822 in Leipzig wurde die GDNÄ zum damals zentralen Vortrags- und Diskussionsforum für neue Forschungsergebnisse. Bis in das 20. Jahrhundert hinein fanden auf den Versammlungen grundlegende Debatten in der Medizin und in den Naturwissenschaften statt.

Mehr Informationen zur GDNÄ: https://www.gdnae.de/ueber-uns/

Ansprechpartner für Medienvertreter:
Prof. Dr. Michael Dröscher Schatzmeister und Generalsekretär presse@gdnae.de

Allgemeine Anfragen:
Gesellschaft Deutscher Naturforscher und Ärzte e.V. Geschäftsstelle: Sylvia Landeck u. Katja Diete
info@gdnae.de
Tel: +49 (0)2224 90148-0
Hauptstraße 5
53604 Bad Honnef

Weitere Informationen:

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Martin Lohse: „Über Placebos oder die Therapie mit nichts“

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