Erneut geologische Bohrmission in der Westantarktis
Es ist eine ehrgeizige Forschungsmission am Rande des Westantarktischen Eisschildes: Erste Teammitglieder des Forschungsprojektes SWAIS2C sind erneut zu einer 1128 Kilometer langen Reise über das Eis aufgebrochen, um über Bohrungen unter dem Eis geologische Erkenntnisse für die Vorhersage des künftigen Meeresspiegelanstiegs zu gewinnen. Ein Forscher aus Deutschland, der am LIAG-Institut für Angewandte Geophysik (LIAG, Hannover) tätig ist, wird wieder vor Ort dabei sein. Weitere Projektbeteiligte aus Deutschland sind die Bundesanstalt für Geowissenschaften und Rohstoffe (BGR, Hannover), das Alfred-Wegener-Institut (AWI, Bremerhaven) und die Christian-Albrechts-Universität zu Kiel (CAU, Kiel).
Der riesige Westantarktische Eisschild enthält genug Eis, um bei seinem vollständigen Abschmelzen den Meeresspiegel um 4-5 Meter anzuheben. Forschungen haben bereits ergeben, dass ein Zusammenbruch einiger Teile des Westantarktischen Eisschilds (WAIS) – wie zum Beispiel das Gebiet um den „Doomsday Glacier“ (Weltuntergangsgletscher, gemeint ist der Thwaites-Gletscher) in der Amundsen-See – aufgrund des warmen Wassers in seiner Nähe unvermeidlich sein könnte. Im Gegensatz dazu ist das Wasser unter dem großen Ross-Schelfeis, in das in dem Forschungsprojekt gebohrt werden soll, noch kalt. Das Ross-Schelfeis dient als stabilisierender Stützpfeiler für das Inlandeis anderer Gebiete des Westantarktischen Eisschildes.
Zusammenbruch des Eisschildes mit geologischen Daten ermitteln
Zu verstehen, bei welcher Temperatur ein unumkehrbares Schmelzen des Ross-Schelfeises und der darauffolgende Zusammenbruch des Westantarktischen Eisschilds ausgelöst werden, ist für die Menschheit von entscheidender Bedeutung. 680 Millionen Menschen auf der ganzen Welt leben in niedrig gelegenen Küstenregionen und sind den Gefahren und Auswirkungen des Meeresspiegelanstiegs ausgesetzt. Um der Herausforderung zu begegnen, haben sich daher Forschende und Bohrspezialisten aus 13 Ländern im Rahmen des SWAIS2C-Projekts (Sensitivity of the West Antarctic Ice Sheet to 2°C of warming) zusammengeschlossen.
„Der Westantarktische Eisschild ist eine der Komponenten des Erdsystems, die am stärksten von der zunehmenden Erwärmung betroffen sind. Wir wissen jedoch nicht, wann und wie schnell er schmelzen und den globalen Meeresspiegel um mehrere Meter anheben wird“, sagt Andreas Läufer, Geologe an der BGR, deutscher Koordinator und Mitglied des SWAIS 2C-Wissenschaftsteams.
SWAIS2C: Forschungsteam campt in der Antarktis
Für das Vorhaben wird das 27-köpfige „On-Ice“-Team in diesem antarktischen Sommer an der KIS3-Bohrstelle campieren und ein Loch von etwa 580 Metern durch das Schelfeis schmelzen. Zwischen Eis und Meeresboden ist der Ozean etwa 55 Meter tief. In den Meeresboden wird dann mit einem speziell entwickelten Bohrsystem gebohrt, um Sedimentkerne aus bis zu 200 Metern Tiefe zu gewinnen.
„Wir wollen in der kommenden Saison bis zu 200 Meter in das darunterliegende, höchstwahrscheinlich verfestigte Zielsediment eindringen. Wir hoffen, dass uns diese Sedimente in Zeiträume bringen werden, in denen der westantarktische Eisschild wärmeren und CO2-reicheren Bedingungen ausgesetzt war, die für die kommenden Jahrzehnte und Jahrhunderte prognostiziert sind“, erklärt Meeresgeologe Johann Klages vom AWI, deutscher Ko-Koordinator und Mitglied des SWAIS-2C-Wissenschaftsteams. „Damit können wir dann folgende Fragen beantworten: Wie stabil ist das westantarktische Eis unter diesen Bedingungen und können wir Kipppunkte identifizieren, ab denen der Eisschildrückzug nicht mehr aufhaltbar ist?“, ergänzt Mikropaläontologin Denise Kulhanek von der Christian-Albrechts-Universität zu Kiel, eine der leitenden Wissenschaftlerinnen des SWAIS-2C-Projekts, die mit ihrer Forschung dazu beiträgt, die vergangenen Veränderungen der Ozeanbedingungen und der Ausdehnung des westantarktischen Eisschildes zu verstehen.
Ein deutscher Wissenschaftler vor Ort: LIAG setzt seine Bohrlochgeophysik ein
Um die damaligen Gegebenheiten lückenlos abbilden zu können, müssen anschließend im Bohrloch geophysikalische Messungen durchgeführt werden.
„Oft kommen Sedimentkerne verformt an die Oberfläche oder es fehlen Teile. Erst Messungen innerhalb des Bohrlochs tragen dazu bei, die Sedimente lückenlos über die gesamte Tiefe der Bohrung so zu erfassen, wie sie ursprünglich abgelagert wurden“, erklärt Dr. Arne Ulfers, Wissenschaftler am LIAG und Projektleiter für die Bohrlochgeophysik, der in diesem Jahr als einziger Forscher aus Deutschland in das Camp auf dem Eis fährt. „Mit der Auswertung der Bohrlochdaten und dem Abgleich mit den Sedimentkernen können wir ein umfassendes räumliches und zeitliches Bild der geologischen Prozesse und den damaligen Umweltbedingungen erhalten. Dadurch kann abgeleitet werden, ob die Sedimente womöglich in einer eisfreien Welt abgelagert wurden. Wir nutzen die Vergangenheit, um uns auf unsere Zukunft vorzubereiten.“
Erwartet wird, dass die Informationen Aufschluss über die Vergangenheit von vor bis zu Hunderttausende, möglicherweise sogar Millionen von Jahren geben werden. Sie würden damit die letzte Warmzeit vor 125.000 Jahren umfassen, als die Erde etwa 1,5 °C wärmer war als vorindustrielle Temperaturen – ähnlich den Temperaturen, denen sich die Erde in diesem Jahr aufgrund des vom Menschen verursachten Klimawandels nähert. Wenn die Forschenden zudem marine Algen finden, die auf ozeanische Bedingungen hindeuten, ist es wahrscheinlich, dass sich der Eisschild damals zurückgezogen hatte.
Das Forschungsteam hofft, dass die Ergebnisse dazu beitragen werden, Pläne zur Anpassung an den unvermeidlichen Anstieg des Meeresspiegels zu unterstützen und die Notwendigkeit zur Verringerung von globalen Treibhausgasemissionen verdeutlichen werden.
Hintergrundinformationen
• Forschungs- und Bohrcamp KIS3:
KIS3 ist eine Bohrstelle am Kamb-Eisstrom der antarktischen Siple-Küste, im Bereich der Auflagezone des Westantarktischen Eisschildes, ab der das Eisschild als Ross-Schelfeis zu schwimmen beginnt.
• Internationale Beteiligung:
Über 130 Personen aus rund 50 Forschungseinrichtungen weltweit arbeiten an dem Projekt SWAIS2C mit. An SWAIS2C sind Forschende aus Neuseeland, den Vereinigten Staaten, Deutschland, Australien, Italien, Japan, Spanien, der Republik Korea, den Niederlanden und dem Vereinigten Königreich beteiligt.
• Projektleitung, Projektpartner und Finanzierung:
Das Projekt wird von GNS Science in Neuseeland geleitet, mit Te Herenga Waka-Victoria University of Wellington als Bohrdienstleister. Die logistische Unterstützung erfolgt durch Antarctica New Zealand in Kooperation mit dem United States Antarctic Program. Die Bohrungen werden teils vom International Continental Scientific Drilling Program (ICDP) der Deutschen Forschungsgemeinschaft (DFG) finanziert. Erhebliche zusätzliche Mittel werden vom Natural Environment Research Council, Alfred-Wegener-Institut Helmholtz-Zentrum für Polar- und Meeresforschung, Bundesanstalt für Geowissenschaften und Rohstoffe, National Science Foundation, Istituto Nazionale di Geofisica e Vulcanologia, Korea Polar Research Institute, National Institute of Polar Research, Antarctic Science Platform, LIAG-Institut für Angewandte Geophysik, AuScope, und das Australian and New Zealand IODP Consortium bereitgestellt.
• Pionierprojekt in der Antarktis:
SWAIS2C ist das erste Antarktis-Projekt des ICDP der DFG. Es knüpft an andere erfolgreiche internationale Forschungsprogramme wie ANDRILL an und stellt einen bahnbrechenden Versuch dar, so weit von einer Basisstation entfernt und so nah am Zentrum des Westantarktischen Eisschildes eine geologische Bohrung in dieser Tiefe durchzuführen.
• Die Mission beginnt mit einem extremen Polar-Roadtrip:
Bohrungen in einem Forschungscamp, das 860 Kilometer von der nächstgelegenen Basis – der neuseeländischen Scott Base – entfernt ist, erfordern eine große Menge an Ausrüstung, sowohl für die Bohrungen selbst als auch für den Betrieb des Camps. Sechs Mitglieder der neuseeländischen Camp-Besatzung verließen am 1. November die Scott-Basis und machten sich auf die Reise – ein Konvoi von PistenBully-Polarfahrzeugen, die die Ladung an Treibstoff, wissenschaftlicher Ausrüstung, Bohrgeräten und Vorräten für die etwa achtwöchige Camp-Saison transportierten. Die 1128 Kilometer lange Reise über das Ross-Schelfeis, das größte Schelfeis der Erde, wird voraussichtlich 15 Tage dauern und erfordert ein Bodenradar, das ihnen hilft, tückische Gletscherspalten aufzuspüren. Sobald sie am KIS3 angekommen sind, wird eine Landebahn auf dem Eis für Flugzeuge mit Skiern angelegt, damit die Bohrtruppe und Wissenschaftler später im November einfliegen können.
Vor Ort wird auch Videomaterial für die Presse produziert, bei Bedarf bitte melden.
Wissenschaftliche Ansprechpartner:
Wissenschaftlicher Kontakt am LIAG
(in der Antarktis voraussichtlich vom 25.11.2024 – 16.1.2025)
Dr. Arne Ulfers
Bohrlochgeophysiker
Arne.Ulfers@liag-institut.de
Weitere Informationen:
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