Vergleichende Genomanalyse, DNA-Reparaturen, Arteriosklerose als Entzündungsprodukt und Gold nanomet
Vergleichende Genomanalyse, DNA-Reparaturen, Arteriosklerose als Entzündungsprodukt und Gold nanometrisch – Merckle-Forschungspreise 2004
Am Montag, dem 15. November 2004, 16.00 Uhr wird in der Universität Ulm der mit 20.000 Euro dotierte Merckle-Forschungspreis 2004 verliehen. Den Preis erhalten PD Dr. Hans-Gerd Boyen, Abteilung Festkörperphysik, für seine Arbeiten über die Auswirkung stabilisierender Liganden auf die physikalischen Eigenschaften von Nanopartikeln; PD Dr. Nikolaus Marx, Abteilung Innere Medizin II, für seine Arbeiten zur pathogenetischen Rolle von Peroxisome Proliferator Activator Receptors und Liver X-Receptors; Prof. Dr. Enno Ohlebusch, Abteilung Theoretische Informatik, für seine Arbeiten über den effizienten algorithmischen Vergleich von Genomsequenzen; Prof. Dr. Lisa Wiesmüller, Universitäts-Fraunklinik und Poliklinik, Sektion Gynäkologische Onkologie, für die Entdeckung und Charakterisierung grundlegend neuer Funktionen des zentralen Tumorsuppressorproteins p53 in der DNA-Reparatur.
Edle Zwerge (Boyen )
Gold gilt als edelstes der Metalle, nicht nur wegen seiner Schönheit, sondern insbesondere auch wegen seiner chemischen Beständigkeit – Gold rostet nicht. Es ist resistent gegen Oxidation an Luft, selbst bei hohen Temperaturen. Um Gold dennoch zu oxidieren, müssen chemisch hochreaktive Atome oder Moleküle eingesetzt werden wie z. B. Ozon oder, noch effektiver, sehr aggressive Sauerstoff-Radikale, die in hoher Dichte mittels eines Sauerstoff-Plasmas erzeugt werden können.
Untersuchungen, die im Kontext des Ulmer Sonderforschungsbereiches 569 Hierarchische Strukturbildung und Funktion organisch-anorganischer Nanosysteme durchgeführt worden sind, haben gezeigt, daß die Inertheit von Gold noch steigerungsfähig ist, nämlich in Gestalt von Nanopartikeln, die nur aus einer sehr begrenzten Anzahl von Goldatomen bestehen. Partikel, die größer als 2 Nanometer sind, unterscheiden sich in ihrem Oxidationsverhalten kaum von massivem Gold. Dasselbe gilt für Goldteilchen von weniger als einem Nanometer Durchmesser. Partikel mit einer Größe von 1,4 Nanometern dagegen sind praktisch völlig resistent gegenüber aggressiven Sauerstoff-Radikalen. Der Grund für die hohe Beständigkeit liegt in ihrer Gestalt: die edlen Winzlinge sind aus 55 Goldatomen aufgebaut, die sich zu einem Kuboktaeder zusammenfügen, einem besonders stabilen geometrischen Gebilde mit sechs Quadraten sowie acht gleichseitigen Dreiecken.
Hohe chemische Beständigkeit ist nicht die einzige Besonderheit dieser Partikel. Zwar verhalten sie sich in der Regel metallisch. Durch chemisches Anbinden aber von nur jeweils einem Chlor-Atom an die sechs quadratischen Seitenflächen entsteht ein Dielektrikum (Stoff mit geringer elektrischer Leitfähigkeit). Eine derartig empfindliche Abhängigkeit wichtiger chemischer und physikalischer Eigenschaften von der Partikelgröße und der lokalen Umgebung läßt die Schwierigkeiten der Präparation solcher Nanostrukturen erahnen. Die Charakteristika dieser Strukturen eröffnen aber Aspekte der Entwicklung neuartiger (Nano-)Technologien zur Erzeugung spezieller Materialeigenschaften durch gezielte Manipulation auf der Nanometerskala.
Entzündung und Arteriosklerose (Marx)
Die Arteriosklerose mit ihren Folgeerkrankungen akuter Myokardinfarkt und Schlaganfall ist unverändert die Haupttodesursache in den westlichen Industrienationen. Die Erkenntnisse der letzten Jahre, daß es sich bei der Entstehung der Arteriosklerose, der Atherogenese, um einen entzündlichen (inflammatorischen) Prozeß in der Gefäßwand handelt, der in verschiedenen Stadien verläuft, eröffnet via Beeinflussung dieses Prozesses neue therapeutische Optionen. Daß die Aktivierung der im Zellkern lokalisierten Rezeptoren PPARa und PPARg als eine solche Möglichkeit gelten kann, machen die Arbeiten von PD Dr. Nikolaus Marx deutlich. Marx hat untersucht, inwieweit die Rezeptoren nicht nur metabolische Prozesse wie den Fett- oder Blutzuckerstoffwechsel kontrollieren, sondern darüber hinaus in der Gefäßwand Vorgänge beeinflussen, die für die Entstehung der Arteriosklerose bedeutsam sind.
Die beiden Rezeptoren, die in verschiedene Stoffwechselprozesse regulativ eingreifen, können durch klinisch eingesetzte Medikamente wie lipidsenkende Fibratderivate bzw. antidiabetisch wirksame Glitazone aktiviert werden. Eine klinische Studie des Preisträgers ergab, daß die in der Therapie des Diabetes mellitus Typ 2 verwendeten Glitazone als Aktivatoren von PPARg auch den Entzündungsprozeß in der Gefäßwand reduzieren und so protektiv gegen die Arteriosklerose wirksam sein könnten. In der Gesamtheit legen die experimentellen Daten nahe, daß PPARa-aktivierende Fibratderivate und PPARg-aktivierende Glitazone neben ihren metabolischen Effekten in der Gefäßwand lokal antiinflammatorisch wirken und imstande sind, den Prozeß der Arterioskleroseentstehung auf verschiedenen Ebenen direkt zu modulieren. Auf der Basis dieser Erkenntnisse zeichnet sich ein neues Konzept zur Beeinflussung der Arteriosklerose ab. Zunächst allerdings müssen die Ergebnisse großer laufender Studien abgewartet werden, die auch darüber Auskunft geben sollen, inwieweit insbesondere antidiabetisch wirksame PPARg-aktivierende Glitazone die kardiovaskuläre Sterblichkeit reduzieren.
Algorithmen für die vergleichende Genomanalyse (Ohlebusch)
Die Erbinformation eines Organismus, das Genom, ist in langen DNA-Molekülen gespeichert, die aus den vier Basen Guanin, Cytosin, Adenin und Thymin aufgebaut sind. Die Abfolge der Basen stellt den Bauplan für den Organismus dar. Allerdings ist die Erbinformation nicht gleichmäßig verteilt. Das menschliche Genom besteht aus über drei Milliarden Basen. Aber nur ca. 1,8 % davon bilden Gene. Ein Gen ist ein Abschnitt des Genoms, der ein Protein kodiert, also den Bauplan für ein Zelleiweiß darstellt. Im Laufe der Evolution kommt es zu Mutationen, das heißt es ändern sich einzelne Basen in der DNA. Es kann aber auch zu Umstrukturierungen des gesamten Genoms kommen; diese Ereignisse sind jedoch viel seltener. Oft ist eine Mutation nachteilig im Kampf ums Überleben, manchmal ist sie jedoch von Vorteil und breitet sich deshalb über die Nachfahren durch natürliche Selektion aus.
Bis heute wurden bereits 223 Organismen komplett sequenziert, das heißt in Hinsicht auf die Abfolge der Basen ihres Genoms vollständig aufgeklärt. Meistens handelt es sich um Mikroorganismen. Aber auch einige höhere Organismen (z. B. Mensch und Maus) sind darunter. Derzeit laufen fast 1.000 weitere Sequenzierprojekte. Diese Projekte liefern eine Datenfülle, die mit herkömmlichen Methoden der Datenanalyse und -modellierung nicht mehr bewältigt werden kann. Es bedarf neuer Verfahren zur Analyse und Interpretation dieser großen genomischen Datensätze.
Prof. Dr. Enno Ohlebusch und Arbeitsgruppe entwickeln diesem Zweck dienende Informatikmethoden. Im Vordergrund steht der Entwurf effizienter Algorithmen und Datenstrukturen. Doch fließen die theoretischen Fortschritte in der Regel auch in Software-Werkzeuge für die Anwender ein. Im Zentrum der Arbeiten steht die computergestützte vergleichende Genomanalyse, bei der die vollständigen Genome von Organismen miteinander verglichen werden, z. B. das des Menschen mit dem der Maus. Die Ziele solcher Analysen sind unter anderem die Berechnung von sogenannten Alignments, woran man Gemeinsamkeiten und Unterschiede zwischen den Genomen ablesen kann, das automatisierte Erkennen von Genomumstrukturierungen sowie die rechnergestützte Vorhersage von Genen.
Nachweis von DNA-Reparaturen (Wiesmüller)
Strahlung und genotoxische Agentien verursachen Mutationen oder chromosomale Rearrangements, also die Auswechslung einzelner Bausteine der Desoxyribonukleinsäure (DNA) oder den Verlust ganzer Gene. Diese Veränderungen des Erbgutes (Genoms) beschleunigen den Mehrstufenprozeß der Krebsentstehung, weshalb sich eine Vielzahl von Reparatursystemen beim Menschen entwickelt hat, um etwaige Fehler zu korrigieren. Die wissenschaftlichen Arbeiten von Prof. Dr. rer. nat. Elisabeth Wiesmüller führten zur Entdeckung neuer DNA-Reparaturfunktionen. Hierbei wurde insbesondere ein zellulärer Eiweißstoff mit der Bezeichnung p53 charakterisiert, der als entscheidender Tumorsuppressor gilt, da er in gesunden Geweben die Krebsentstehung verhindert, jedoch in 50-60 % aller Tumoren durch Genmutation inaktiviert vorliegt. Die molekulare Wirkungsweise von p53 erklärte man sich traditionell ausschließlich derart, daß p53 nach DNA-Schädigung Zellwachstum unterdrückt. Prof. Wiesmüller hat zeigen können, daß p53 darüber hinaus Krebs verursachende Genom-Rearrangements verhindert und daß die bei Krebspatienten auftauchenden p53-Mutanten diese Fähigkeit verloren haben.
Für ihre Untersuchungen hat Wiesmüller sensitive und reaktionsschnelle Verfahren zum Nachweis von definierten DNA-Reparatur-Prozessen entwickelt. Als außerordentlich effektiv erwies sich hierbei ein Testsystem, bei dem für den Reparatur-Nachweis Zellen zum Leuchten gebracht werden. Der Test zeichnet sich durch kurze Meßzeiten aus, erlaubt die Analyse von Zellen unterschiedlichen Ursprungs und erfüllt die Bedingungen für die Automatisierung. Als Verfahren zur Bestimmung von Genotoxizitäten und als diagnostisches Marker-System zur Detektion von erhöhtem Brustkrebsrisiko hat dieser Test hohes Anwendungspotential (nationale und internationale Patentanmeldung mit positivem Prüfbericht). Er bietet einerseits die Möglichkeit zur Prüfung von Arzneimitteln und Chemikalien in Hinsicht auf denkbare Kanzerogenitäten unter Vermeidung von Tierversuchen. Im Vergleich zu dem sehr häufig verwendeten Ames Assay, der Mutationen in Bakterien mißt, berücksichtigt der neue Test außerdem die spezifische Antwort von menschlichen Zellen auf Kanzerogene. Der zweite Anwendungsbereich basiert auf dem Sachverhalt, daß DNA-Reparatur-Defekte die Empfänglichkeit für Brustkrebs dramatisch erhöhen und daß sich dieser molekulare Fehler in den Körperzellen der Mitglieder von Familien mit hohem Brustkrebs-Risiko und von Brustkrebs-Patientinnen widerspiegelt. In einer interdisziplinären Zusammenarbeit soll nun der diagnostische Wert des Tests als Indikator für erhöhtes Brustkrebsrisiko evaluiert werden. Damit verbindet sich die Hoffnung, in der Zukunft die kostspielige Analyse einzelner Gene zumindest teilweise ersetzen zu können.
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