Tumorvolumen wächst gleichmäßig

Eine Computersimulation, die zeigt, wie sich Zellen, die denselben Mutationstyp aufweisen, entweder eng in einem Bereich des Tumors gruppieren (blau dargestellt) oder sich über verschiedene Teile des Tumors verteilen (rot dargestellt).
Grafik: Arman Angaji /eLIFE

Die stetige „Produktion“ neuer Krebszellen ermöglicht der Krankheit evolutionäre Innovation / Veröffentlichung in „eLIFE“.

Ein Forschungsteam der Universität zu Köln und des Centre for Genomic Regulation (CRG) in Barcelona hat herausgefunden, dass Tumoren nicht nur an den äußeren Rändern, sondern gleichmäßig in ihrem gesamten Volumen wachsen. Die Ergebnisse der im Journal eLIFE veröffentlichten Studie „High-density sampling reveals volume growth in human tumours“ stellen bisherige Annahmen darüber in Frage, wie Krebszellen wachsen und sich ausbreiten.

„Bisher wurde angenommen, dass ein Tumor in zwei unterschiedlichen Geschwindigkeiten wächst: Während sich die Zellen an der Oberfläche schnell teilen, gibt es im Zellkern weniger Aktivität. Nun haben wir herausgefunden, dass Tumoren gleichmäßig wachsende Wucherungen sind, in denen jede Region gleichermaßen aktiv ist und aggressive Mutationen hervorbringen kann“, sagt Dr. Donate Weghorn, Mitautorin der Studie und Forscherin am Centre for Genomic Regulation in Barcelona.

„Unsere Ergebnisse haben Auswirkungen auf das Verständnis der Entwicklung von Tumoren. Der ständige Wechsel von absterbenden Zellen, die durch neue Zellen im gesamten Tumor ersetzt werden, gibt der Krankheit viele Möglichkeiten für evolutionäre Innovationen: zum Beispiel, um sich der Erkennung durch das Immunsystem zu entziehen“, erklärt Professor Dr. Johannes Berg, Mitautor der Studie und Forscher an der Universität zu Köln.

In den letzten fünfzig Jahren haben Forschende die Hypothese aufgestellt, dass Tumoren an ihren äußeren Rändern schneller wachsen: Krebszellen an der Oberfläche hätten natürliche Vorteile gegenüber Zellen tief im Innern. So hätten beispielsweise periphere Zellen einen besseren Zugang zu Nährstoffen und Sauerstoff aus dem umgebenden gesunden Gewebe. Außerdem könnten sie ihren Abfall leichter loswerden.

Im Zuge des Tumorwachstums entferne sich das Zentrum immer weiter von den Blutgefäßen in dessen Wachstumsbereich. Die Zellen im Kern eines Tumors erhielten so immer weniger Sauerstoff und Nährstoffe. Zudem stünden sie unter höherem mechanischen Druck, der sie in ihrer Fähigkeit zur Teilung einschränkt.

Die Ergebnisse der Studie zeigen allerdings, dass die Tumoren in ihrer gesamten Masse wachsen. Möglich wurde diese Entdeckung dank der räumlichen Genomik, einer Technik, mit der die genetische Information von Zellen an ihren exakten Positionen innerhalb eines Gewebes untersucht wird. Die Forschenden sammelten Daten aus früheren Studien, bei denen Hunderte kleiner Proben aus verschiedenen Bereichen von Lebertumoren entnommen wurden, sowohl im zwei- als auch im dreidimensionalen Raum. Auf Grundlage dieser Daten erstellten sie eine detaillierte Karte der Mutationen im gesamten Tumor.

Sie untersuchten die Mutationen in jeder der Proben und entwickelten eine Methode zur Messung der Richtung und Ausbreitung dieser Mutationen. Anhand dieser Methode konnten die Wissenschaftler*innen die Winkel zwischen den Positionen der Elternzellen und ihrer mutierten Nachkommen berechnen. Im bisherigen Modell des Oberflächenwachstums würden diese Winkel nach außen zeigen. Stattdessen stellte das Team fest, dass die Winkel gleichmäßig in alle Richtungen verteilt waren, was auf ein gleichmäßiges Wachstum des gesamten Tumors hindeutet.

In der Studie wurde auch untersucht, wie sich die Mutationen innerhalb des Tumors verteilen. Würden die Krebszellen hauptsächlich an den Rändern wachsen, wären die Mutationen stärker gebündelt. Die Ergebnisse zeigten aber, dass die Mutationen über den gesamten Tumor verteilt waren. Das lässt darauf schließen, dass sich die Zellen überall im Tumor teilen.

Um ihre Ergebnisse weiter zu validieren, erstellten die Wissenschaftler*innen mit Hilfe von Computersimulationen verschiedene virtuelle Tumore, einige mit Oberflächenwachstum und andere mit Volumenwachstum. Sie verglichen die Muster der Mutationen aus den Simulationen mit den Mustern, die in den realen Tumoren nachgewiesen wurden. Im Vergleich wurde deutlich, dass die Mutationsmuster in den echten Tumoren mit den Mustern aus den Simulationen von Tumoren mit Volumenwachstum übereinstimmten, nicht aber mit den Simulationen mit Oberflächenwachstum.

Die Ergebnisse der Studie beschränken sich bisher auf Leberkrebs, daher sind sie möglicherweise nicht auf alle Krebsarten übertragbar. Eine weitere Einschränkung besteht darin, dass die Studie vor allem Einblicke in die frühen Stadien des Tumorwachstums liefert, was das Verhalten größerer oder metastasierender Krebsarten unter Umständen nicht vollständig erfasst.

„Das Auftreten behandlungsresistenter Mutanten ist ein wichtiger Aspekt. Unsere Arbeit konzentriert sich auf das Tumorwachstum im Frühstadium. Eine Ausweitung der Forschung auf spät auftretende Mutationen kann uns mehr über diese Mutationen verraten und darüber, warum sie letztlich den Erfolg vieler therapeutischer Ansätze verhindern“, fasst Professor Berg zusammen.

Presse und Kommunikation:
Mathias Martin
+49 221 470 1705
m.martin@verw.uni-koeln.de

Verantwortlich: Dr. Elisabeth Hoffmann – e.hoffmann@verw.uni-koeln.de

Wissenschaftliche Ansprechpartner:

Professor Dr. Johannes Berg
Institut für Biologische Physik der Universität zu Köln
+49 221 470 3286
bergj@uni-koeln.de

Dr. Donate Weghorn
Gruppenleiterin am Centre for Genomic Regulation, Barcelona, Spanien
donate.weghorn@crg.eu

Originalpublikation:

„High-density sampling reveals volume growth in human tumours“
https://doi.org/10.7554/eLife.95338

https://portal.uni-koeln.de/universitaet/aktuell/meldungen/meldungen-detail/tumorvolumen-waechst-gleichmaessig

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