Parallele Pfade: Das Verständnis von Malariaresistenz bei Schimpansen und Menschen
Die nächsten Verwandten des Menschen passen sich genetisch an Lebensräume und Infektionen an
Überleben des am besten Angepassten: Genetische Anpassungen bei Schimpansen aufgedeckt
Görlitz, 10.01.2025. Schimpansen verfügen über genetische Anpassungen, die ihnen das Überleben in verschiedenen Wald- und Savannenhabitaten ermöglichen. Zu diesem Ergebnis kommt eine heute in der renommierten Zeitschrift Science veröffentlichte Studie. Ein internationales Forschungsteam unter Leitung von University College London (UCL) zeigt, dass einige dieser Anpassungen die Tiere möglicherweise auch vor Malaria schützen. Die Forschenden betonen, dass ihre Ergebnisse Einblicke in unsere eigene evolutionäre Geschichte sowie in die Biologie der Malariainfektion beim Menschen geben.
Die enge Verwandtschaft zwischen Mensch und Schimpanse
Über 98 Prozent unserer DNA teilen wir mit Schimpansen – sie sind damit die nächsten lebenden Verwandten des Menschen. „Aktuell gibt es nur noch einige Hunderttausend wilde Schimpansen. Sie leben in sehr unterschiedlichen Landschaften – von Ostafrika bis weit in den Westen des Kontinents, in dichten tropischen Regenwäldern und in offenen Wald- und Savannengebieten. Dadurch unterscheiden sie sich von den übrigen Menschenaffenarten, denn alle anderen Hominidae leben ausschließlich im Wald“, erklärt die Studienleiterin Prof. Dr. Aida Andrés vom UCL Genetics Institute. Sie ergänzt: „In unserer Studie konnten wir zeigen, dass sich verschiedene Schimpansenpopulationen neben Verhaltensanpassungen auch genetisch unterschiedlich entwickelt haben, um in ihren jeweiligen Lebensräumen zu überleben.“
Bedrohung von Lebensraum und Krankheiten
Schimpansen sind durch Lebensraumzerstörung, Wilderei und Infektionskrankheiten bedroht. Insbesondere das Verbreitungsgebiet des Gemeinen Schimpansen (Pan troglodytes) wird zunehmend eingeschränkt und ist stark fragmentiert. Der Bonobo (Pan paniscus) ist auf ein kleines Gebiet beschränkt. Beide Arten sind laut IUCN als stark gefährdet eingestuft. „Da Schimpansen in ihrem gesamten Verbreitungsgebiet von Bedrohungen wie Umweltveränderungen und menschlichen Aktivitäten betroffen sind, ist es wichtig, ihre genetische Vielfalt zu erhalten, damit sie widerstandsfähig bleiben und langfristig überleben können. Diese intelligente und faszinierende Art zu schützen, ist essenziell“, ergänzt Andrés.
Nicht-invasive Probenahme für genetische Anpassungen von Primaten
Um genetische Anpassungen von Primaten zu untersuchen, benötigte das internationale Forschungsteam DNA von wildlebenden Schimpansen, ohne die Tiere zu stören. Zu diesem Zweck nutzten sie Kotproben, die im Rahmen des „Pan African Programme: The Cultured Chimpanzee (PanAf)“ gesammelt wurden. Mithilfe modernster Labor- und Computermethoden analysierten die Forschenden die Schimpansen-DNA in diesen Proben und führten die bislang größte Studie zu lokalen Anpassungen bei gefährdeten wildlebenden Säugetieren durch. Prof. Dr. Hjalmar Kuehl vom Senckenberg Museum für Naturkunde in Görlitz, Co-Autor der Studie und PanAf Co-Direktor, kommentiert: „Diese bahnbrechende Untersuchung zu lokalen Anpassungen bei Schimpansen wäre ohne die außergewöhnliche Zusammenarbeit eines internationalen Wissenschaftsteams nicht möglich gewesen, das unermüdlich nicht-invasive Daten – darunter Kotproben – aus den Verbreitungsgebieten der Schimpansen gesammelt hat.“
Das Forschungsteam untersuchte das Exom – den proteincodierenden Teil des Genoms – von 828 wildlebenden Schimpansen, von denen 388 in die abschließende Analyse einbezogen wurden. Diese repräsentierten 30 verschiedene Schimpansenpopulationen aus dem geografischen und ökologischen Spektrum der vier Unterarten. Die Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler verglichen die genetischen Informationen mit Daten über die lokalen Umgebungen, in denen die jeweiligen Populationen leben, und identifizierten genetische Varianten, die in bestimmten Regionen signifikant häufiger vorkommen und dort vermutlich einen Vorteil bieten.
„Wir fanden Hinweise auf genetische Anpassungen in Genen, die mit bestimmten Krankheitserregern – also pathogenen Mikroorganismen – in Verbindung stehen. Dies trifft besonders auf Schimpansen in Waldgebieten zu, wo die Erregerbelastung hoch ist. Den deutlichsten Beleg fanden wir in Genen, die mit Malaria in Verbindung stehen. Dazu zählen zwei Gene, die auch beim Menschen für Anpassung und Resistenz gegen Malaria bekannt sind: GYPA und HBB – Letzteres ist verantwortlich für Sichelzellenanämie beim Menschen“, erklärt Kühl.
Parallele Evolution in der Malariaresistenz
Die neuen Ergebnisse legen nahe, dass Malaria für wildlebende Waldschimpansen eine schwere Erkrankung darstellt. Die Anpassung an den Malariaparasiten fand in denselben Genen bei Schimpansen und Menschen statt, unabhängig von äußeren Veränderungen. Dr. Harrison Ostridge vom UCL Genetics Institute und ebenfalls Erstautor der Studie erläutert: „Die enge genetische Verwandtschaft der Menschenaffen hat dazu geführt, dass Krankheiten wie HIV/AIDS und Malaria von Affen auf Menschen überspringen oder unabhängig voneinander bei beiden auftreten können. Die Untersuchung wildlebender Schimpansen ist daher äußerst hilfreich, um diese und andere Infektionskrankheiten beim Menschen zu verstehen und gegebenenfalls neue Behandlungs- oder Impfstrategien zu entwickeln. Aus evolutionärer Sicht ist es bemerkenswert, dass wir Anzeichen für eine Malariaanpassung bei Schimpansen gefunden haben, die an dieselben Gene gekoppelt ist, welche auch beim Menschen die Malariaresistenz beeinflussen. Dies lässt vermuten, dass es nur begrenzte Möglichkeiten gibt, wie wir eine Resistenz gegen den Malariaparasiten entwickeln können.“
Die Studie zeigt auch, dass Schimpansen gut an Savannenhabitate angepasst sind, die durch höhere Temperaturen, geringere Niederschläge und ein reduziertes Nahrungsangebot gekennzeichnet sind. „Die Untersuchung von Savannenschimpansen könnte Aufschluss darüber geben, wie sich menschliche Vorfahren vor Millionen von Jahren genetisch an ähnliche Lebensräume anpassten, als sie erstmals vom afrikanischen Wald in die Savanne zogen“, ergänzt Kühl.
Ein Schritt in Richtung Naturschutz und Zusammenarbeit mit Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern
Die Studienergebnisse könnten auch den Naturschutz stärken, da sie nahelegen, dass Klima- und Landnutzungsänderungen unterschiedliche Auswirkungen auf verschiedene Schimpansengruppen haben. Auch in puncto Tierschutz setzen die Forschenden auf Citizen Scientists. „Wir laden alle Interessierten ein, uns zu unterstützen! Auf der Website ChimpandSee.org kann man helfen, Videos zu klassifizieren, die zusammen mit den genetischen Proben aus dem gesamten Verbreitungsgebiet der Schimpansen gesammelt wurden“, sagt Co-Autorin Dr. Mimi Arandjelovic vom Max-Planck-Institut für evolutionäre Anthropologie.
Über die Senckenberg Gesellschaft für Naturforschung
Die Senckenberg Gesellschaft für Naturforschung ist eine Einrichtung der Leibniz-Gemeinschaft und erforscht seit über 200 Jahren weltweit das „System Erde“ – in der Vergangenheit, Gegenwart und mit Prognosen für die Zukunft. Wir betreiben integrative „Geobiodiversitätsforschung“ mit dem Ziel, die Natur in ihrer unendlichen Vielfalt zu verstehen, um sie als Lebensgrundlage für künftige Generationen zu bewahren und nachhaltig zu nutzen. Darüber hinaus vermittelt Senckenberg Forschungsergebnisse auf vielfältige Weise, insbesondere in den drei Naturmuseen in Frankfurt, Görlitz und Dresden. Die Senckenberg Naturmuseen sind Orte des Lernens und Staunens und dienen als offene Plattformen für den demokratischen Dialog – inklusiv, partizipativ und international.
Website: www.senckenberg.de
Expertinnen- und Expertenkontakt
Prof. Dr. Hjalmar Kuehl
Senckenberg Museum für Naturkunde Görlitz
Telefonnummer: 03581 4760 5420
E-Mail-ID: hjalmar.kuehl@senckenberg.de
Originalpublikation
Harrison J. Ostridge, Claudia Fontsere, Esther Lizano, Daniela C. Soto, Joshua M. Schmidt, Vrishti Saxena, Marina Alvarez-Estape, Christopher D. Barratt, Paolo Gratton, Gaëlle Bocksberger, Jack D. Lester, Paula Dieguez, Anthony Agbor, Samuel Angedakin, Alfred Kwabena Assumang, Emma Bailey, Donatienne Barubiyo, Mattia Bessone, Gregory Brazzola, Rebecca Chancellor, Heather Cohen, Coupland, Emmanuel Danquah, Tobias Deschner, Laia Dotras, Jef Dupain, Villard Ebot Egbe, Anne-Céline Granjon, Josephine Head, Daniela Hedwig, Veerle Hermans, R. Adriana Hernandez-Aguilar, Kathryn J. Jeffery, Sorrel Jones, Jessica Junker, Parag Kadam, Michael Kaiser, Ammie K. Kalan, Mbangi Kambere, Ivonne Kienast, Deo Kujirakwinja, Kevin E. Langergraber, Juan Lapuente, Bradley Larson, Anne Laudisoit, Kevin C. Lee, Manuel Llana, Giovanna Maretti, Rumen Martín, Amelia C. Meier, David Morgan, Emily Neil, Sonia Nicholl, Stuart Nixon, Emmanuelle Normand, Christopher Orbell, Lucy Jayne Ormsby, Robinson Orume, Liliana Pacheco, Jodie Preece, Sebastien Regnaut, Martha M. Robbins, Aaron Rundus, Crickette Sanz, Lilah Sciaky, Volker Sommer, Fiona A. Stewart, Nikki Tagg, Luc Roscelin Tédonzong, Joost van Schijndel, Elleni Vendras, Erin G. Wessling, Jacob Willie, Roman M. Wittig, Yisa Ginath Yuh, Kyle Yurkiw, Linda Vigilant, Alex K. Piel, Christophe Boesch, Hjalmar S. Kühl, Megan Y. Dennis, Tomas Marques-Bonet, Mimi Arandjelovic und Aida M. Andrés
Journal: Science
Titel des Artikels: Local genetic adaptation to habitat in wild chimpanzees
Veröffentlichungsdatum des Artikels: 10. Jan 2025
DOI: 10.1126/science.adn7954
Medienkontakt
Judith Jördens
Presse
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