Zeit zum Auszug? Enthüllte Einblicke in die Brutpflege von Buntbarschen

Buntbarsche betreiben Brutpflege in 3D-gedruckten Muscheln

3D-gedruckte Muschelhälften ermöglichten es den Forschern, einen Blick ins Innere des Heims der Buntbarsche zu werfen und das Verhalten der Mutter und ihrer Jungtiere während der Brutpflege zu beobachten. © MPI für Biologische Intelligenz / Axel Griesch

Muschelbewohnende Buntbarsche kümmern sich intensiv um ihre Nachkommen, die sie in verlassenen Schneckenhäusern aufziehen. Ein Team des Max-Planck-Instituts für Biologische Intelligenz verwendete 3D-gedruckte Schneckenhäuser, um herauszufinden, was im Inneren passiert. Die Jungtiere und die Mutter folgen jeweils ihren eigenen, aber synchronisierten Zeitplänen: Sobald die Larven Licht bevorzugen, verlassen sie das Schneckenhaus am neunten Tag nach der Befruchtung. Die Mutter wiederum folgt einer strikten Brutpflege-Routine, um zu verhindern, dass die Jungen vor diesem Tag austreten. Die Studie identifiziert somit wichtige angeborene Prozesse während der Brutpflege von Buntbarschen und hebt das komplexe Zusammenspiel verschiedener Verhaltensweisen hervor.

Der ideale Zeitpunkt zum Verlassen des Zuhauses sollte sorgfältig überlegt werden: Ziehen Kinder zu früh aus, können sie möglicherweise nicht eigenständig zurechtkommen. Bleiben sie hingegen zu lange im „Hotel Mama“, werden die Ressourcen der Eltern überlastet. Im gesamten Tierreich kann dieses Balanceakt das Schicksal von Eltern und Nachkommen bestimmen.

Brutpflege in verlassenen Schneckenhäusern

Aber wer oder was entscheidet, wann es Zeit für die Jungen ist auszuziehen? Ein Team in Herwig Baier`s Forschungsabteilung hat dies bei Buntbarschen untersucht. Diese Fische sind besonders interessant, weil sie im Gegensatz zu vielen anderen Fischarten sehr sozial sind und intensive Brutpflege leisten.

Die untersuchte Fischart, Lamprologus ocellatus, gehört zur Familie der muschelbewohnenden Buntbarsche und ist natürlich im Tanganjikasee in Afrika beheimatet. Was sie besonders macht, ist, dass sie in verlassenen Schneckenhäusern leben, in denen sie ihre Nachkommen aufziehen. Obwohl diese Buntbarsche beliebte Aquarienfische sind, war das, was im Inneren des Schneckenhauses vor sich geht, bisher der Außenwelt verborgen.

Einblicke ins Schneckenhaus

Mit einer cleveren Idee gelang es Ash Parker und ihren Kollegen, Einblicke in das bisher verborgene Innere des Buntbarsch-Heims zu gewinnen: Sie druckten Schneckenhäuser mit einem 3D-Drucker. Mit einem ausgeklügelten Design bieten diese Schneckenhäuser den Fischen ein ideales Zuhause, sind jedoch an einer Seite geöffnet. An die Aquarienglasplatte geklebt, konnten die Forscher dokumentieren, was mit Videos und Fotos geschah.

Die KI-unterstützte Bildanalyse enthüllte spannende Verhaltensweisen und eine präzise chronologische Abfolge: Die Mutter legt die Eier in die obere Kammer des Schneckenhauses. Der Vater befruchtet dann die Eier. Nach zwei bis drei Tagen schlüpfen die Larven, und die Mutter transportiert sie mit ihrem Maul in die unterste Kammer des Schneckenhauses. Nach sieben bis acht Tagen ernähren sich die Larven selbstständig und machen ihre ersten Schwimmversuche.

Während dieser Zeit bewacht die Mutter das Schneckenhaus und kümmert sich um die Jungen. Sie steckt die Eier und Larven immer wieder in ihr Maul, um sie zu reinigen. Außerdem bewegt sie ihre hinteren Flossen schnell, um einen konstanten Wasseraustausch im Schneckenhaus zu gewährleisten.

Das Haus am neunten Tag verlassen

Während die Larven zunächst in der unteren, dunklen Kammer des Schneckenhauses bleiben, schwimmen sie am neunten Tag nach der Befruchtung zunehmend in die oberen Kammern und sogar aus dem Schneckenhaus heraus. Die Forscher stellten fest, dass die Larven zu diesem Zeitpunkt plötzlich wie hellere Bereiche aussehen. Somit scheint der Zeitpunkt des Austritts intrinsisch durch eine Veränderung der Lichtpräferenz gesteuert zu werden.

Die Larven sind nur indirekt von ihrer Mutter abhängig, um diesem Zeitplan zu folgen: Als Ash Parker die Mutter entfernte, verschlechterte sich wahrscheinlich die Wasserqualität aufgrund des Fehlens des Flossenfankens, und die Larven verließen das Schneckenhaus vor dem neunten Tag.

Zwei unabhängige Zeitpläne für Mutter und Larven

Die Mutter selbst hat auch eine genaue Vorstellung davon, wann es Zeit ist, ihre Nachkommen gehen zu lassen: Wenn ihre Jungen durch eine ältere Brut ersetzt würden, würde sie die Larven, die sie für zu früh austretend hielt, zurück ins Schneckenhaus drängen – ohne deren fortgeschrittenen Entwicklungsstand zu berücksichtigen.

Die Beobachtungen zeigen, dass Mutter und Junge unabhängige, angeborene Zeitpläne verfolgen. Diese sind jedoch perfekt synchronisiert: Die Jungtiere und die Mutter scheinen sich darauf zu einigen, dass die Nachkommen am neunten Tag bereit sind, die elterliche Fürsorge zum ersten Mal zu verlassen. Die Studie enthüllt somit wichtige Prozesse während der Brutpflege bei Buntbarschen und legt den Grundstein für die Untersuchung der Evolution und der neuronalen Grundlagen dieses komplexen Verhaltens.

Expertenkontakt
Prof. Dr. Herwig Baier
Direktor
Max-Planck-Institut für Biologische Intelligenz
E-Mail: herwig.baier@bi.mpg.de

Weitere Links:
https://www.bi.mpg.de/baier – Abteilungswebsite
https://www.bi.mpg.de/baier/cichlids – Weitere Informationen zum Forschungsprojekt

Originalveröffentlichung
Ash V. Parker, Manuel Stemmer, Swantje Grätsch, Alessandro Dorigo, Oriolson Rodriguez Ramirez, Abdelrahman Adel, Alex Jordan, Herwig Baier
Zeitschrift: Current Biology
Artikeltitel: Intrinsic timing of brood care in shell-dwelling cichlids
Artikelveröffentlichungsdatum: 15. Januar 2025
DOI: 10.1016/j.cub.2024.12.020

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Quelle: IDW

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