Elektrostatisch um die Ecke sprühen
Bei kleinen, komplizierten Teilen wird die elektrostatische Lackierung häufig nicht eingesetzt, weil die Lenkluft zu viel Overspray verursacht. Aufgabe der Lenkluft ist es, den Sprühstrahl zu formen. Ein neues Verfahren formt den Sprühstrahl elektrostatisch: Mit wenig oder gar keiner Lenkluft dirigiert das Spannungsfeld das Lackmaterial genau dorthin, wo es auch hin soll – auf das Werkstück. Und wenn es sein muss, sogar auf seine Rückseite.
Beim elektrostatischen Lackieren hat die Lenkluft die Aufgabe, den Sprühstrahl zu formen und an die Werkstückgeometrie anzupassen. Sie verursacht am zu lackierenden Teil jedoch auch Luftturbulenzen und -polster, die für einen Großteil des Lackoversprays verantwortlich sind. Einen neuen Ansatz verfolgen Ulrich Hoffmann und Ralph Hruschka vom Fraunhofer IPA. Sie reduzieren die Lenkluft oder verzichten häufig sogar ganz auf sie und formen den Sprühstrahl elektrostatisch. Das durch die Lenkluft verursachte Overspray spielt bei großflächigen Teilen wie Karosserien zwar nur eine untergeordnete Rolle. Bauteile aus Holz, Metall oder Kunststoff sind jedoch meist kleiner. Bei ihnen ist das Overspray der Hauptgrund dafür, dass die elektrostatische Lackierung hier kaum zum Zuge kommt. Dabei ist die Lacknutzung wesentlich höher und der Farbauftrag findet wesentlich gleichmäßiger statt als beispielsweise bei den Spritzverfahren.
»Um kleine Teile zu lackieren, muss der Sprühstrahl sehr eng sein. Nach der bisher üblichen Methode wird das über eine erhöhte Lenkluftmenge erreicht«, erklärt Ralph Hruschka. Die Folgen sind schlechte Lacknutzungsgrade und damit hohe Materialkosten sowie Qualitätseinbußen durch Schichtunregelmäßigkeiten und vagabundierende Lacknebel. »Wird der Sprühstrahl elektrostatisch geformt, lässt sich die störende Lenkluft erheblich reduzieren oder sogar ganz vermeiden«, ergänzt Ulrich Hoffmann. Nach seinem und Hruschkas Verfahren laden Drück- und/oder Steuerelektroden sowohl das Lackmaterial als auch die Luft um den Sprühstrahl herum elektrostatisch auf. Die Drückelektroden sind um den elektrostatischen Zerstäuber angeordnet und passen den Sprühstrahl an die Werkstückgeometrie an. Die Steuerelektroden sitzen statisch oder dynamisch zwischen dem Zerstäuber und dem Werkstück oder hinter dem Werkstück. Sie optimieren die gezielte Lackabscheidung entsprechend der Automatenbewegung, d.h. sie verhindern oder erzwingen eine Lackabscheidung an bestimmten Werkstückflächen – beispielsweise auf der Rückseite.
Da die Aufladungshöhen von Lack und Elektroden beim Lackieren getrennt regelbar sind, kann der Anwender den Sprühstrahl beliebig formen und steuern. So gelang es beispielsweise beim Lackieren von Fensterrahmen und Fernsehergehäusen, die Sprühstrahlbreite einer elektrostatischen Hochrotationsglocke auf die Breite der Rahmen zu begrenzen. In diesen Fällen waren das ca. acht bis zehn Zentimeter. Im Bereich der größeren Seitenflächen des Fernsehergehäuses wurde der Sprühstrahl während des Lackiervorgangs durch die Regelung der Aufladungshöhe entsprechend aufgefächert.
Das am Fraunhofer IPA entwickelte Verfahren verbessert die elektrostatische Lackierfähigkeit von kleinen und auch von nicht leitenden Bauteilen wie Holz oder Kunststoff. Es sorgt für eine gleichmäßige Lackschichtdicke auf dem Bauteil, senkt den Ausschuss, reduziert die Lackierzeit und verringert damit die Lackierkosten. Der höhere Lacknutzungsgrad trägt mit dazu bei. Er spart nicht nur Material, sondern führt auch zu weniger Lackkoagulatanfall und einer geringeren Anlagenverschmutzung. Die gezielte Anpassung des Sprühstrahls an die Werkstückgeometrie eröffnet am Lackierautomaten mehr Freiheitsgrade: Durch elektrostatische Effekte kann der Sprühstrahl gekrümmt werden. In einem gewissen Rahmen ist sogar eine Beschichtung »um die Ecke« möglich.
Ihre Ansprechpartner für weitere Informationen:
Fraunhofer-Institut für Produktionstechnik und Automatisierung IPA
Dipl.-Ing. (FH) Ulrich Hoffmann, Telefon: 0711/970-1753, Telefax: 0711/970-1712, E-Mail: ulh@ipa.fhg.de
Dipl.-Ing. (FH) Ralph Hruschka Telefon: 0711/970-1878, Telefax: 0711/970-1712, E-Mail: rah@ipa.fhg.de
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