Östrogene schützen nicht vor Herzinfarkt oder Schlaganfall
Stellungnahme der Deutschen Gesellschaft für Endokrinologie zur neuen Empfehlung der American Heart Association
Am 23. 07. 2001 hat die American Heart Association (AHA) neue Richtlinien zum Thema Hormonersatztherapie und Herzerkrankungen herausgegeben (1). In diesen Richtlinien stellt die AHA fest, daß die Hormonersatztherapie in den Wechseljahren – anders als bisher empfohlen – nicht zur Vorbeugung von kardiovaskulären Erkrankungen (Herzinfarkt, Schlaganfall) geeignet erscheint. Frauen, bei denen schon eine koronare Herzerkrankung besteht, wird deshalb von einer Hormonersatztherapie abgeraten.
Die Deutsche Gesellschaft für Endokrinologie stellt dazu fest, daß aufgrund der Datenlage eine Neubewertung der Hormonersatztherapie im Zusammenhang mit Herzkreislauferkrankungen erforderlich ist. Die Sachlage ist im folgenden ausführlich dargestellt.
1. Epidemiologie
Kardiovaskuläre Erkrankungen sind in Deutschland mit Abstand die häufigste Todesursache. Das Risiko für Herzkreislauferkrankungen ist bis zum Eintritt der Wechseljahre bei Frauen deutlich geringer als bei altersgleichen Männern, steigt mit den Wechseljahren deutlich an und erreicht in der 7. Lebensdekade das Niveau von Männern.
2. Prävention mit Östrogenen bei herzkreislaufgesunden Frauen
Beobachtungsstudien wie die amerikanische Nurses Health Study (2) haben eine Verminderung kardiovaskulärer Erkrankungen unter einer Hormonersatztherapie gezeigt.
Neuere Untersuchungen zeigen jetzt, daß in den ersten Jahren nach Einleitung einer Hormonersatztherapie zunächst eine leichte Steigerung der Herzinfarktrate auftritt (Übersicht bei (1)). Erst mit zunehmender Dauer der Behandlung läßt sich dann ein Rückgang der Herzkreislauferkrankungen beobachten.
Ergebnisse kontrollierter Interventionsstudien bei herzgesunden Frauen liegen derzeit nicht vor. Diese werden von Studien wie der Women´s Health Initiative erwartet, einer laufenden amerikanischen Studie mit geplanter 10jähriger Dauer bei etwa 27.500 Frauen. Sie untersucht den Effekt einer langfristigen Hormonsubstitution auf das Auftreten von Herzerkrankungen im Vergleich zu einem Scheinpräparat (3). Regelmäßige Zwischenanalysen in dieser Studie zeigten, daß auch hier in den ersten 3 Jahren unter der Hormonersatztherapie geringfügig mehr Herzinfarkte beobachtet wurden als unter dem Scheinpräparat. Die Studie wird fortgesetzt.
3. Einfluß einer Hormonersatztherapie auf kardiovaskuläre Erkrankungen bei Frauen, die schon unter Herzkreislauferkrankungen leiden
Drei aktuelle Studien beschäftigen sich mit dieser Thematik. Die „heart and estrogen / progestin replacement study“ (HERS) ist eine prospektive, randomisierte, doppel-blind durchgeführte, plazebokontrollierte Studie. Sie untersuchte den Effekt einer Hormonersatztherapie auf die Häufigkeit definierter Herzkreislauferkrankungen bei Frauen mit schon bestehenden kardiovaskulären Vorerkrankungen.
Bei den 2.763 Studienteilnehmerinnen ergab sich global kein Unterschied in der Anzahl von kardiovaskulären Erkrankungen mit tödlichem Ausgang zwischen beiden Gruppen. Die Ergebnisse zeigten, dass die tödlichen kardiovaskulären Neuerkrankungen in der Hormongruppe vermehrt zu Beginn der Studie auftraten und sich mit zunehmender Dauer der Behandlung verringerten, dieser Trend war im Vergleich zur Plazebo-Gruppe signifikant (4).
Eine prospektive, randomisierte, doppel-blinde, plazebokontrollierte klinische Studie bei älteren Frauen in den Wechseljahren mit angiografisch nachgewiesener Atherosklerose („estrogen replacement and arteriosclerosis trial“) untersuchte die Auswirkung einer Hormonersatztherapie auf die Größe atherosklerotischer Plaques. Diese Studie fand nach gut drei Jahren keine Veränderung des Durchmessers verschiedener Koronargefäßabschnitte in den beiden Gruppen mit Hormonsubstitution verglichen mit der Plazebogruppe. Die Anzahl neuer kardiovaskulärer Erkrankungen war in allen Gruppen vergleichbar (5).
Ergebnisse der prospektiven, randomisierten, doppel-blinden, plazebokontrollierten WEST-Studie („women’s estrogen for stroke trial“) zeigen, daß eine Hormonersatztherapie bei postmenopausalen Frauen mit stattgehabten Schlaganfall im weiteren Verlauf nicht die Schlaganfallrate senkt. In dieser Studie fanden sich sogar signifikant mehr tödliche Schlaganfälle als unter dem Scheinpräparat (6).
Zusammenfassende Beurteilung aus Sicht der Deutschen Gesellschaft für Endokrinologie:
1. Prävention: Der Effekt einer Hormonersatztherapie auf die Prävention von Herzkreislauferkrankungen ist nach heutigem Kenntnisstand unsicher. Bis die Ergebnisse laufender kontrollierter Studien vorliegen, sollte eine Hormonersatztherapie nicht aufgrund der Indikation „Schutz vor Herzkreislauferkrankungen“ begonnen werden.
2. Behandlung von Herzkreislauferkrankungen mit Östrogenen: Eine Hormonersatztherapie ist nicht geeignet, um bei Frauen mit bekannten Herzkreislauferkrankungen weitere Herzinfarkte oder Schlaganfälle zu verhindern. Sie sollte dafür nicht eingesetzt werden. Bei Auftreten eines Herzinfarktes oder Schlaganfalles unter einer laufenden Hormonersatztherapie ist es vermutlich sinnvoll, die Therapie zu beenden.
Literatur:
1. Lori Mosca, Peter Collins, David M. Herrington, Michael E. Mendelsohn, Richard C. Pasternak, Rose Marie Robertson, Karin Schenck-Gustafsson, Sidney C. Smith, Jr, Kathryn A. Taubert, and Nanette K. Wenger Hormone Replacement Therapy and Cardiovascular Disease: A Statement for Healthcare Professionals From the American Heart Association Circulation 2001; 104: 499 – 503.
2. Barrett-Connor E, Grady D. Hormone replacement therapy, heart disease, and other considerations. Annu Rev Public Health 1998;189:55-72
3. The Women’s Health Initiative Study Group. Design of the Women’s Health Initiative Clinical Trial and Observational Study. Controlled Clin Trials 1998;19:61-109. Women’s Health Initiative HRT Update http://www.nhlbi.nih.gov/whi/hrt-en.htm
4. Hulley S, Grady D, Bush T et al for the Heart and Estrogen / Progestin Replacement Study (HERS) Research Group. Randomized trial of estrogen plus progestin for secondary prevention of coronary heart disease in postmenopausal women. JAMA 1998;280:605-13
5. Herrington DM, Reboussin DM, Brosnihan KB, Sharp PC, Shumaker SA, Snyder TE et al. Effects of estrogen replacement on the progression of coronary artery atherosclerosis. New Engl J Med 2000;343:522-9.
6. Viscoli CM, Brass LM, Kernan WN, et al. Estrogen after ischemic stroke: effect of estrogen replacement on risk of recurrent stroke and death in the Women’s Estrogen for Stroke Trial (WEST). Stroke. 2001; 32: 329.Abstract.
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