Auch spröde Keramiken lassen sich verformen
Max-Planck-Forscher gelingt plastische Verformung bruchempfindlicher Keramik / Konsequenzen für technische Anwendung von Keramiken
Strontiumtitanat (SrTiO3), eine bisher bei als extrem bruchempfindlich und spröde bekannte Keramik, lässt sich plastisch verformen. Diese überraschende Entdeckung gelang Materialwissenschaftlern am Max-Planck-Institut für Metallforschung in Stuttgart. Sie berichten darüber in der August-Ausgabe der renommierten Fachzeitschrift „Physical Review Letters“ und in der Mai-Ausgabe des „Journal of the American Ceramic Society“. Diese neuen Erkenntnisse könnten einige der Konzepte ändern, mit denen keramische Materialien als Ingenieurswerkstoffe heutzutage angewandt werden.
Strontiumtitanat ist ein bedeutender Vertreter einer Gruppe von Oxidkeramiken, die in der kubischen Perowskit-Struktur (als kubisch dichteste Kugelpackung) kristallisieren. Bei normalen Temperaturen verhalten sich die Perowskite wie die meisten keramischen Oxide, einschließlich der üblichen Haushaltkeramiken und der meisten der gesteinsbildenden Mineralien in der Erdkruste – sie sind spröde und bersten wie Glas.
Diese Eigenschaft wurde bisher darauf zurückgeführt, dass sich so genannte Versetzungen nur sehr schwer durch die Kristallstruktur dieser Materialien bewegen können. Unter Versetzungen versteht man Defekte der regulären Kristallstruktur, die als Träger einer dauerhaften plastischen Verformung in den meisten kristallinen Materialien angesehen werden. Bewegt sich eine Versetzung durch einen Kristall, schert sie den Kristall entlang ihres Laufwegs um einen wohldefinierten Verschiebungsvektor ab, vergleichbar einem Teppich, dessen Gesamtverschiebung auf dem Fußboden durch eine kleine Welle erleichtert wird, die sich entlang des Teppichs bewegt.
Die plastische Verformbarkeit von Metallen ist direkt darauf zurückzuführen, wie leicht sich Versetzungen in ihrem Kristallgitter bewegen können. Im Gegensatz dazu erschwert die ionische und kovalente Natur der Bindung in keramischen Oxiden diesen Gleitprozess – bis hin zu hohen Temperaturen um etwa 1000°C bleiben die Versetzungen dann im wesentlichen unbeweglich.
Diesen Mangel an plastischer Verformbarkeit von Strontiumtitanat wollten sich die Forscher am Stuttgarter Max-Planck-Institut für Metallforschung zunutze machen, um die elastischen Größen einer neuen mechanischen Versuchseinrichtung in ihrem Labor zu eichen. Zu ihrer Überraschung mussten sie jedoch feststellen, dass sich die bekanntermaßen harte einkristalline Druckprobe aus SrTiO3 bei Raumtemperatur mit einer niedrigen Fließspannung von 120 MPa (vergleichbar der von Aluminium oder von Kupferlegierungen) plastisch verformen ließ und dabei plastische Dehnungen bis zu 7% erreicht wurden.
Die Stuttgarter Forscher begannen daraufhin das Verhaltens von SrTiO3 ausführlich zu untersuchen und entdeckten, dass Strontiumtitanat-Einkristalle in Druckversuchen nicht nur den üblichen Übergang vom formbaren, duktilen Verhalten bei hohen Temperaturen (oberhalb von etwa 1000°C) zu sprödem Verhalten unterhalb dieses Temperaturbereichs vollzogen. Vielmehr fanden sie heraus, dass sich in dem Material unterhalb von 600 °C ein zweiter Übergang zurück zu formbarem Verhalten vollzieht. Die Abbildung zeigt die Fließspannungen, die bei den Druckversuchen bei verschiedenen Temperaturen entlang zweier verschiedener Kristallorientierungen von Strontiumtitanat-Einkristallen gemessen wurden.
Eine detaillierte mikroskopische Analyse von SrTiO3 ergab; dass die Verformung in den Hoch- und Tieftemperaturbereichen von Versetzungen desselben Typs getragen werden. Die Forscher schließen hieraus, dass diese Versetzungen in Strontiumtitanat zwei unterschiedliche Versetzungskernstrukturen besitzen müssen. Da die Versetzungskernstruktur weitgehend durch die Symmetrie und Kristallstruktur des Materials bestimmt wird, liegt nahe zu vermuten, dass solche unterschiedlichen Kernstrukturen von Versetzungen auch in andern Perowskitischen-Keramiken vorkommen könnten.
Die Stuttgarter Forscher wollen nun ihre Untersuchungen auf andere Verformungsmoden und anwendungsorientierte Fragen ausdehnen. Denn nachdem sie zeigen konnten, dass das Paradigma unbeweglicher Versetzungen in keramischen Oxiden bei Raumtemperatur nicht mehr gilt, scheint es angebracht, auch einige Ingenieurskonzepte, die auf der Anwendung von Keramiken aufbauen, neu zu überdenken. Sicherlich sind Keramiken weiterhin spröde und brechen, wenn sie auf den Boden fallen. Doch es kann gut möglich sein, so vermuten die Wissenschaftler, dass man diese Keramiken bei tiefen (oder sogar kryogenen) Temperaturen doch verformen kann. In ähnlicher Weise könnte Sandstrahlen, das in der Oberflächenschicht von Metallen eine erhöhte Versetzungsdichte mit einem vorteilhaften Druckspannungszustand erzeugt, in Keramiken eine ähnliche Wirkung erzielen. Diese und andere Überlegungen sind jetzt Ziel weiterführender Untersuchungen. Daneben wollen die Forscher zusätzliche mikroskopische Untersuchungen vornehmen, um die bisher offensichtlich nicht bekannten Kernstrukturen dieser Versetzungen genauer aufzuklären.
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