Automobilindustrie ist Schrittmacherbranche des nächsten Jahrzehnts
Studie „Automobiltechnologie 2010“ von Mercer Management Consulting und der HypoVereinsbank
- Verschärfter Wettbewerb und individuelle Kundenwünsche sorgen für hohen Innovationsdruck
- Elektronik wird zur neuen automobilen Schlüsseltechnologie
- Anzahl der Fahrzeughersteller und Zulieferer wird sich bis 2010 halbieren
- Wachstum hauptsächlich in Asien und Südamerika
Nach den Dekaden der Informationstechnologie und der Kommunikationstechnik als technologische Schrittmacherbranchen bricht nun das Jahrzehnt der Automobilindustrie an. Eine soeben von der HypoVereinsbank und Mercer Management Consulting abgeschlossene Studie zeigt, dass das Auto der Technologie- und Wirtschaftsmotor der Zukunft ist. Die Schlagworte, die die derzeitige Situation der Automobilindustrie beschreiben – Überkapazitäten, Verkaufsrückgänge, einbrechende Renditen, niedrige Aktienkurse, Sanierung – werden bald der Vergangenheit angehören. Allerdings nur für die Unternehmen, die technologisch und regional mithalten können. In der heute etwa EURO 2.450 Milliarden umsetzenden Branche wird es zu massiven Verschiebungen zwischen den Marktteilnehmern sowie einer weiteren Konsolidierung kommen. Behaupten werden sich nach Erkenntnissen der Studie nur Unternehmen, die neue Kompetenzen aufbauen: Softwareentwicklung, Mechatronik oder digitale Supply Chains, aber auch neue soziale und kulturelle Kompetenzen im Rahmen der Globalisierung. Im Mittelpunkt der Studie „Automobiltechnologie 2010“ stehen daher Innovationen an 42 Modulen des Fahrzeugs, 50 Fertigungsverfahren und mehr als 20 neue Werkstoffgruppen bis zum Jahr 2010. Das dabei entdeckte Innovationspotenzial der 800 untersuchten Automobilhersteller, -zulieferer und -ausrüster ist enorm.
Im Jahr 2000 haben die Automobilhersteller weltweit 25% ihres Börsenwertes oder EURO 150 Mrd. verloren. Die HypoVereinsbank/Mercer-Studie zeigt jedoch, dass diese Entwicklung nicht unbedingt Anlass zur dauerhaften Sorge geben muss, da in der Fahrzeugbranche noch großes Potenzial steckt. Einerseits wird durch eine Vielzahl neuer Fahrzeugkonzepte und Technologien die Basis für Geschäfte rund um intelligente Mobilitätslösungen geschaffen – zum Beispiel durch eCommerce im Auto. Andererseits wächst aufgrund des Wunsches nach kundenspezifischen Lösungen und dem weiterhin steigenden Bedürfnis nach individueller Mobilität der Automobilmarkt kontinuierlich.
Doch die Stoßrichtung der technologischen Entwicklungen hat sich gegenüber der Vergangenheit geändert. Ging es früher darum, sich durch zusätzliche „features“ und Ausstattungskomponenten gegenüber dem Wettbewerb zu differenzieren, so bestimmen heute neue Geschäfts- und Gewinnmodelle das Denken, bei denen technische Innovationen als so genannte „enabler“ dienen. Die Studie „Automobiltechnologie 2010“ hat die wesentlichen Treiber dieser Entwicklung sowie die sich hieraus ergebenden Auswirkungen auf die Automobilbranche herausgearbeitet.
Getrieben von Wettbewerb, Kunden und Gesetzgebern
Die Motoren für die Veränderungen am Fahrzeug sind neben dem ständigen Kosten- und Wettbewerbsdruck insbesondere die steigenden Anforderungen der Kunden bezüglich Komfort und Sicherheit sowie eine zunehmende Individualisierung der Fahrzeuge. Großen Einfluss haben auch der verstärkte Umweltschutz, die Rohstoffverknappung und die strenger werdende Gesetzgebung in vielen Ländern. Autos werden in den nächsten zehn Jahren etwa 30% leiser, der Flottenverbrauch wird um gut 15% sinken und der Ausstoß an Schadstoffen wird dank neuester Motoren und Katalysatoren nur noch 1/1000 dessen betragen, was noch vor drei Fahrzeuggenerationen Stand der Technik war. Die Brennstoffzelle wird aber noch etwa zehn Jahre auf sich warten lassen.
Die einzelnen Module des Autos werden intelligenter: Nachtsicht in der Windschutzscheibe oder aktive Fußgänger-Schutzprogramme an der Stoßstange werden Einzug halten. Insgesamt wird das Auto mehr und mehr durch Elektrik und Elektronik bestimmt – zu Lasten der mechanischen Bauteile. So wird beispielsweise die Ventilsteuerung über kurz oder lang elektronisch erfolgen. Konsequenterweise wird die Softwareentwicklung für Autos immer wichtiger. Im Karosseriebau bringt das Baukastenprinzip zu Ende, was durch die Plattformstrategie begonnen wurde. Neue Werkstoffe helfen, den Kraftstoffeinsatz weiter zu reduzieren, ohne bei Komfort und Sicherheit Kompromisse einzugehen. Ein ständiger Wettbewerb zwischen den Fertigungstechnologien wird vor allem zwischen deutschen und japanischen Herstellern ausgetragen. Die Innovationsfähigkeit der nationalen Maschinenbauer wird diesen beiden Ländern weiterhin technologische Wettbewerbsvorteile sichern.
Auch neue Erkenntnisse aus der Bionik revolutionieren den Fahrzeugbau: Nanochrome Werkstoffe im Autolack erlauben, die Farbe ähnlich einem Chamäleon anzupassen; eine Spezialbeschichtung auf Lack und Scheiben lässt Schmutz wie bei Lotusblättern abgleiten; die Haftung von Winterreifen wird durch Profile verbessert, die von Eisbärentatzen kopiert wurden.
Konsequenzen für die Automobilindustrie
Strukturellen Veränderungen sind auch Ergebnis der technologischen Veränderungen. Das Wachstum der nächsten zehn Jahre wird in erster Linie in Asien, Osteuropa und Südamerika (+7,5% p.a.) stattfinden. Wer hier keine Kapazitäten und Kompetenzen aufbaut, wird nicht überleben. Von den heute ca. 15 größten Fahrzeugherstellern werden bis 2010 nur noch ca. sechs bis zehn Konzerne übrig bleiben.
Noch dramatischer sieht die Situation bei den Zulieferern aus: 5.500 sind es heute; bis 2010 werden 2.000 vom Markt verdrängt werden. Die Top 20 werden dann 50% (heute 27%) des Zuliefervolumens der Automobilhersteller abdecken. Um dies zu erreichen, werden die Automobilhersteller auch weiterhin hohe Anteile eigener Wertschöpfung auslagern. So wie sich die Beziehung zwischen Händler und Zulieferer ändert, so verändert sich auch die Beziehung zwischen Händler und Endkunde. Der Autokäufer wird zukünftig nicht nur sein Fahrzeug am PC konfigurieren und bestellen können; er kann auch verfolgen, wie es Schritt für Schritt in der Fabrik entsteht. Die Kosteneinsparungen entlang der automobilen Wertschöpfungskette belaufen sich auf durchschnittlich EURO 790 je Fahrzeug.
Der rasante Wandel in der Automobilindustrie erfordert von allen Marktteilnehmern einen massiven Aufbau sozialer und kultureller Kompetenzen. Das Wissen und die Ressourcen für die Entwicklung neuer Softwareanwendungen, von Elektronik, Mechatronik-Systemen oder Telematik-Diensten wird ebenso über Erfolg und Misserfolg entscheiden, wie Supply Chain Management Know-how und das Management komplexer Netzwerkorganisationen.
Zulieferer und Ausrüster müssen konsequent neue Business Designs entwickeln. Die Studie „Automobiltechnologie 2010“ zeigt, wie durch innovative Geschäftsmodelle und klare Strategien profitable Unternehmen entstehen. Das Gros der Unternehmen ist hiervon noch weit entfernt. Nur die Top-Performer der Branche konnten in den letzten fünf Jahren eine durchschnittliche Umsatzrendite von über 20% realisieren. Alle hatten überlegene Business Designs und waren offen für neue, kreative Modelle zur Finanzierung des Wandels.
Wesentliche technologische Veränderungen im Auto
Modulspezifische Innovationen
Im neuen 7er BMW sind schon heute 90 Innovationen realisiert. Dies ist erst der Anfang einer Entwicklung, die alle Module im Fahrzeug betrifft. Mehr als 250 Neuerungen wurden von der HypoVereinsbank und Mercer im Rahmen der Studie identifiziert und bewertet: Pre-Crash-Sensorik, Seitenwandtorsionssensoren für Reifen, Nightvision in den Windschutzscheiben, Steer-by-Wire, Fußgängerschutzsensorik und vieles mehr.
Elektrik/Elektronik als Schlüsseltechnologie
Elektrik, Elektronik und Software werden Mechanik und Hydraulik im Fahrzeug zurückdrängen und damit zur Schlüsseltechnologie im Fahrzeugbau aufsteigen. Der Elektronik- bzw. Software-Anteil wird im Schnitt von heute 22% (EURO 2.250) auf 35% (EURO 3.870) der Fahrzeugherstellungskosten steigen. In nur zehn Jahren wird das Marktvolumen auf EURO 270 Milliarden (+115%) steigen. Nahezu jedes Modul im Fahrzeug wird durch diese Technologien „intelligenter“.
Vernetzung und Funktionalitätserweiterung durch Software
Um die Vielzahl der Elektronikkomponenten und Fahrzeugsysteme zu verknüpfen, wird die Softwareentwicklung zur Schlüsselkompetenz im Fahrzeugbau. Der Automobilsoftwaremarkt wird bis zum Jahr 2010 mehr als EURO 100 Milliarden betragen. Verschiedene Bussysteme, Betriebssystem- und Applikationssoftware müssen intelligent miteinander verknüpft werden. Ein Sensor im Rückspiegel erkennt beispielsweise Regentropfen auf der Windschutzscheibe und gibt die Information ans Bremssystem weiter. Durch regelmäßiges leichtes Aufsetzen der Bremsbacken auf die Bremsscheiben werden diese trocken gehalten, was zu einer deutlichen Reduzierung des Bremsweges führt.
Modularisierung Karosseriefahrzeugbau
Der steigenden Modell- und Variantenvielfalt begegnen die Automobilhersteller mit neuen Antworten im Fahrzeugbau: „Quartering the Car“ oder „Mosaik“ heißen die Konzepte, die nach dem Baukastenprinzip versuchen, Kombis, Limousinen oder Coupés zu kombinieren.
Alternative Antriebskonzepte
Die Brennstoffzelle kommt – allerdings erst im Jahr 2015. Bis dahin werden Kleinstserien die neue Technologie testen. Insgesamt wird der Anteil alternativer Antriebskonzepte (Gas, Elektro, Brennstoffzelle) bis zum Jahr 2010 jedoch nur 10% betragen.
Innovativer Werkstoffeinsatz
Ein um 100 kg leichteres Fahrzeug reduziert den Kraftstoffverbrauch um ca. 0,8 l auf 100 km. Innovative Werkstoffkonzepte (hochfeste Stähle, Metallschäume, Magnesium, Keramik, Aluminium etc.) sind deshalb erforderlich. Zudem gewährleisten sie höhere Sicherheit und steigenden Komfort bei sinkenden Gewichten (-17% oder durchschnittlich 250 kg je Fahrzeug bis 2010).
Veränderte Fertigungstechnologien
Deutsche und japanische Maschinenbauer werden auch künftig für ihre Automobilindustrie ein entscheidender Erfolgsfaktor bleiben. Ein ständiger Wettbewerb zwischen den Fertigungstechnologien, neue Fertigungsverfahren, Bauteil- und Funktionsintegration, produktionsprozessübergreifende Optimierungen und kontinuierlich steigende Präzision sind die Folge.
Automobilzulieferbranche im Wandel
Zulieferer lassen sich je nach Volumen, Innovations- und Integrationspotenzial verschiedenen Geschäftsmodellen zuordnen, für die sich individuelle Gewinnmodelle und Erfolgsstrategien ergeben:
Volumenanbieter operieren in Segmenten mit vergleichbaren, einfachen Standardprodukten in hoher Stückzahl. Sie verfolgen eine Kostendegressionsstrategie, um in ihren Segmenten hohe Marktanteile zu erzielen.
Nischenanbieter profitieren von der Fokussierung auf ausgewählte Abnehmer und der Spezialisierung auf maßgeschneiderte Kundenlösungen. Sie sind in der Umsetzung ihres Geschäftsmodells bisher am weitesten vorangeschritten.
Die Komponentenspezialisten sind die zukünftigen Innovationsschmieden der Automobilindustrie. Über technologisch führende Produkte profilieren sich die Zulieferer bei Systemintegratoren (siehe unten) und Automobilherstellern. In der Einrichtung eines permanenten Innovationsmanagements besteht somit die Hauptaufgabe dieser Zulieferer-Gruppe.
Modul-/ Systemspezialisten fällt die Aufgabe zu, Komponenten und Teile in Modulen bzw. Systemen zu Kundenlösungen zu integrieren und dabei permanent die Funktionalität ihres Systems bzw. Moduls zu optimieren. Erfolgsentscheidend ist hierbei, Veränderungen des Fahrzeugdesigns rechtzeitig zu antizipieren bzw. aktiv voranzutreiben. Auch müssen neue Modul- und Systemdefinitionen frühzeitig erkannt und als Chance zum eigenen Wachstum genutzt werden.
Die Systemintegratoren haben durch ihre Akquisitionstätigkeit den Wandel der Zulieferlandschaft in den letzen Jahren stark vorangetrieben. Durch gezielte Zukäufe wurden globale Präsenzen aufgebaut und Produktportfolios komplettiert. Der Umsatz der Systemintegratoren wird durch das zunehmende Outsourcing künftig weiter wachsen. Ziel der Unternehmen muss es sein, sich auf die Kernkompetenzen zu konzentrieren und intelligente globale Produktionsnetzwerke aufzubauen. Nur so lassen sich die zu erwartenden neuen Anforderungen profitabel umsetzen.
Die Ergebnisse der HypoVereinsbank/Mercer-Studie „Automobiltechnologie 2010“ zeigen, dass die Unternehmen bei der Umsetzung ihrer Geschäftsmodelle unterschiedlich weit fortgeschritten sind. Nischenanbieter haben ihre Hausaufgaben gemacht, während den Systemintegratoren die wichtigsten Herausforderungen noch bevorstehen.
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