Bonner Wissenschaftler entwickeln Bioethik-Material für die Schule

Das Deutsche Referenzzentrum für Ethik in den Biowissenschaften (DRZE) hat in Zusammenarbeit mit Bonner Biologie-Didaktikern sowie einer Gruppe von Lehrerinnen und Lehrern sowie zwei ihrer Schulklassen Material für ein fächerübergreifendes Bioethik-Projekt in der Sekundarstufe I entwickelt. Ziel: Chancen und Risiken der Genforschung aus bioethischer Sicht zu beleuchten. Das Projekt umfasst sowohl Rollenspiele als auch ein schulgeeignetes molekulargenetisches Experiment; die Materialien sind beim DRZE zu beziehen.

Als Beispiel hat das Projektteam die Chorea-Huntington-Erkrankung gewählt, bei der das Nervensystem zunehmend geschädigt wird. Die ersten Symptome treten bei dieser Erbkrankheit meist im vierten Lebensjahrzehnt auf und verschärfen sich in den Folgejahren bis zum Tod etwa zehn bis zwanzig Jahre nach Ausbruch der Erkrankung. „Wir haben uns für Chorea Huntington entschieden, weil es das seltene Beispiel einer tödlich verlaufenden und unheilbaren Erkrankung ist, die durch die Mutation eines einzigen Gens ausgelöst wird und zudem sehr sicher diagnostiziert werden kann“, erläutert Dr. Rudolf Teuwsen, Geschäftsführer des DRZE, den Ansatz.

Jürgen Kreuz, der im Rahmen des Projekts „überkreuz Lernen&Lehren“ zusammen mit Universitäts- und Schulangehörigen schon mehrere Projekte im Bereich Gentechnik durchgeführt hat, erklärt: „Chorea Huntington treibt die ethische Brisanz der Gentests auf die Spitze: Ich erfahre etwas über eine tödlich verlaufende Krankheit, die irgendwann mit Sicherheit ausbrechen wird und die nicht geheilt werden kann.“

Etwa 5 bis 10 von 100.000 Deutschen leiden unter Chorea Huntington. Die Ursache ist seit 1993 bekannt: Ein bestimmter Genabschnitt ist bei Chorea-Patienten verlängert. Beim Gentest wird die Genlänge überprüft. Überschreitet sie eine gewisse Größe, kommt die Krankheit mit hundertprozentiger Sicherheit im Laufe des Lebens zum Ausbruch. Die Krankheit wird dominant vererbt: Trägt ein Elternteil das mutierte Gen, beträgt das Chorea-Risiko für die Kinder statistisch gesehen 50 Prozent.

Jürgen Kreuz und Martin Völker haben nun mit dem DRZE ein fächerübergreifendes Projekt entwickelt, bei dem die Schüler einerseits die genetischen Grundlagen der Erkrankung verstehen und andererseits ein Gefühl für die ethischen Konsequenzen eines Gentests entwickeln sollen. Finanzielle Unterstützung bekamen sie dabei vom Stifterverband für die Deutsche Wissenschaft. So sollen die Schüler in Rollenspielen verschiedene Positionen einnehmen -„beispielsweise die Rolle des Arztes, der den Test durchführt, der Eltern oder des möglicherweise Erkrankten“, erläutert der DRZE-Geschäftsführer. Die Fragen, die dabei aufkommen, sind vielfältig: Wie gehe ich damit um, dass ich bereits Jahrzehnte vor Ausbruch der Krankheit weiß, daß ich an Chorea Huntington sterben werde? Soll ich dennoch ein Kind in die Welt setzen, auch wenn es dann mit dem Wissen leben muss, irgendwann ebenfalls erkranken zu können?

Die biologischen Grundlagen erarbeiten sich die Schüler, indem sie selbst im Experiment den Ablauf eines Gentests kennenlernen. Bei der Durchführung des Projektwoche sollen Biologie- und Ethik- oder Religionslehrer kooperieren. „Das kann man keinem Lehrer allein überlassen“, betont Teuwsen. Um die Praxistauglichkeit des Unterrichtsmaterials zu gewährleisten, hatte das Projektteam zuerst von Lehrerinnen und Lehrern verschiedener Fachrichtungen ein Anforderungsprofil erstellen lassen. Im Praxistest mit einem Biologie-Kurs der Klasse 9 und einem Ethik-Kurs der Klasse 10 hat das Material bereits seine Eignung für die Sekundarstufe I unter Beweis gestellt. Teuwsen: „Wir wollen nun Mittel einwerben, um die Anregung der beteiligten Lehrerinnen und Lehrer aufzugreifen, über den Modellfall Chorea Huntington hinaus Material für andere bioethisch interessante Beispiele zu erstellen.“ Außerdem sind Fortbildungsveranstaltungen geplant, in deren Rahmen Jürgen Kreuz Praxis- und Theoriewissen zum Projekt vermitteln wird.


Die Materialien sind beim Deutschen Referenzzentrum für Ethik in den Biowissenschaften, Tel.: 0228/73-1930, Fax: 0228/73-1940, E-Mail: info@drze.de, gegen ein Entgelt von DM 10 zu beziehen.

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Frank Luerweg idw

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