Riffhöhlen des Great Barrier Reef
von Joachim Reitner
Korallen-Gemeinschaft des offenen Wassers (Hicks Reef, nördliches äußeres Great Barrier Reef)
Ein Grundproblem geobiologischer und paläontologischer Forschung ist, dass die Bearbeiter auf Spuren und Reste angewiesen sind, ähnlich wie es bei den Gerichtsmedizinern der Fall ist, und direkte Einblicke in das vergangene erdgeschichtliche Geschehen nicht möglich sind. In der Frühzeit der paläontologischen Forschung im 18. Jahrhundert erkannte man, dass Versteinerungen oder Petrefakten Reste vergangenen Lebens sind, allerdings war die Interpretation und Zuordnung dieser Petrefakten schwierig und oft nicht möglich. Nur das konsequente Studium der heutigen Lebenswelten erlaubt eine schlüssige Aussage über die Natur der Fossilien.
Dieser aktualistische Ansatz ist der einzige Weg, fossile Reste schlüssig zu interpretieren. Es gibt zum Glück in den verschiedenen Biotopen auf dieser Welt Lebensgemeinschaften, deren Evolution unterschiedlich schnell abgelaufen ist. Uns interessieren insbesondere Organismengemeinschaften die eine langsame Entwicklung durchgemacht haben und somit noch gut vergleichbar sind mit Beobachtungen an Fossilien aus dem fossilen Bericht. Besonders interessant für geobiologische Untersuchungen sind Organismen aus sog. Extrembiotopen, u.a. heißen Quellen – „Black Smoker“ der Tiefsee, Geysire, Methan-Austritte – sogenannte Cold Seeps, die tiefen Zonen der Tiefsee, hypersalinen und stark alkalischen Seen und dunklen submarinen Höhlen-Bereichen, z.B. in Korallenriffen. Diese Bereiche sind für uns Fenster in die erdgeschichtliche Vergangenheit, die auch eine experimentelle Arbeit zulassen, sodass wir über diesen Weg Einblicke in Evolutionsvorgänge und Strategien vor Hunderten von Millionen Jahren bekommen.
Meine Arbeiten an fossilen Riffen in Nordspanien, die ein Alter von rund 120 Millionen Jahren aufweisen (Kreide-Zeit), haben in bestimmten Bereichen viele Überstimmungen mit modernen Riffen des pazifischen Ozeans gezeigt. Es handelt sich dabei um die inneren Bereiche der Riffkörper, die einen sehr großen Porenraum aufweisen, der mit unterschiedlichen Organismen-Gemeinschaften besetzt ist. Diese verborgenen oder kryptischen Zonen der Riffe sind von erheblichem Ausmaß und sind bis dato ein nur wenig untersuchter und bekannter Lebensraum.
Wir haben vor ca. 15 Jahren angefangen in Riffhöhlen des Great Barrier Reef, Riffen des Queensland Plateaus (beide Australien), Indonesiens, der Philippinen und der Karibik zu arbeiten, um diese kryptischen Biotope besser zu verstehen. Diese Untersuchungen sind nur schwierig durchzuführen, da das Arbeiten in Unterwasserhöhlen einen erheblichen logistischen Aufwand erfordert und auch gefährlich ist. Die interessanten Bereiche befinden sich in der Regel auch in nicht leicht zugänglichen Gebieten, sodass für diese Unternehmungen immer Expeditionen ausgerüstet werden müssen.
Oben: Schnitt durch das Basalskelett. In den offenen Bereichen befindet sich des Schwammgewebe. Die inaktiven Bereiche werden Kalk verfüllt. Es handelt sich um Ca-Deponien. |
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Als Basis-Station für unsere Arbeiten haben wir die Forschungsstation auf Lizard Island im nördlichen Great Barrier Reef ausgewählt, die vom Australischen Museum geleitet wird. Von dort aus haben wir die meisten Untersuchungen in Riffhöhlen durchgeführt. Es ist dort möglich, Langzeitversuche in den Riffhöhlen, z. B. Wachstumsexperimente an kalkabscheidenden Organismen wie corallinen Schwämmen und Korallen sowie an Biofilmen durchzuführen. Hauptuntersuchungsobjekte unserer Arbeiten waren und sind bestimmte Schwammarten, die sich nur in diesen Höhlen oder in tiefen Riffzonen in Wassertiefen unter 300 m zu finden sind. In den Riffhöhlen herrschen ökologische Bedingungen, wie sie in Wassertiefen um 300 m zu erwarten sind, sodass in den räumlich eng begrenzten Höhlenbereichen verschiedene ökologische Tiefenwasserzonen zusammengeschoben vorkommen.
Wir haben dieses Phänomen „Telescoping“ genannt und es erlaubt, in Tauchtiefe diese ökologischen Bereiche zu untersuchen. Die dort vorkommenden Porifera und auch andere Kalk abscheidende Organismen, wie z. B. Brachiopoden, bestimmte polychaete Würmer und einzellige sessile Foraminiferen, sind sog. „lebende Fossilien“, deren eng verwandte Vorläufer wir in nordspanischen Riffen der Kreidezeit sowie in anderen erdgeschichtlichen Zeiten und geographischen Regionen ebenfalls gefunden haben. Die Arbeiten an diesen Organismen haben interessante Einblicke in ihre Lebens- und Überlebensstrategien erlaubt.
Ein Grundprinzip dieser Höhlenbewohner ist, dass sie sehr langsam wachsen. Bei den corallinen Schwämmen haben wir jährliche Wachstumsraten von durchschnittlich nur 200-500 µm beobachtet. Diese Organismen sind deshalb auch sehr langlebig und wir haben Porifera geborgen, die ein Alter von rund 500-1000 Jahren aufweisen. Diese Alter wurden mit Hilfe von U/Th-Messungen und Analysen des radioaktiven 14C ermittelt, kontrolliert über die in situ gemessenen Wachstumsraten mit Hilfe von Fluoreszenz-Farbstoffen wie Calcein und Tetracyclin. Diese sehr alten Kalkskelette sind ein exzellentes Archiv für Klimadaten, die im Detail eine Rekonstruktion der Temperaturentwicklung der letzten 500 Jahre erlauben und für die derzeitige Diskussion über den „Global Change“ von besonderer Bedeutung sind. Diese Untersuchungen basieren auf der Entwicklung des CO2-Haushaltes der Atmosphäre und des Meerwassers in diesem Bereich. Die Daten wurden über die Analyse der stabilen Kohlenstoff (d13C) und Sauerstoff (d18O) Isotope gewonnen und sind sehr spektakulär. Sie zeigen die dramatischen Veränderungen des CO2 Haushaltes in den letzten 150 Jahren sehr deutlich bedingt durch die massive Verbrennung von Kohle und Kohlenwasserstoffen durch die Industrialisierung. Durch die Verbrennung von organischen Kohlenstoff wird isotopisch leichtes 12C in großen Mengen freigesetzt. Der vermehrte Ausstoß von CO2 für auch zu einer Erhöhung der Jahresdurchschnittstemperaturen. Die gemessenen sehr stark schwankenden Temperaturdaten mit Hilfe der d18O Daten resultieren auch aus den sog. „El Niño/La Niña“-Ereignissen, einem Wechsel der ozeanischen Zirkulation im Pazifik im Zeitraum von mehreren Jahren. Es sind weitere chemische und biochemische Daten in den kalkigen Biomineralisaten gespeichert, die wie Baumringe „gelesen“ werden können.
Das langsame Wachsen dieser Höhlenorganismen zeigt, dass sie in der Summe nur einen geringen Stoffumsatz haben. Das Höhlenwasser ist sehr nährstoffarm (oligotroph) und die Organismen sind speziell daran angepasst. Die Wasserkörper in den kryptischen Bereichen sind sehr stabil und garantieren längerfristige konstante Bedingungen. Massive Störungen treten gelegentlich auf, oft gekoppelt mit „El Niño-/La Niña“-Ereignissen, die eine massive Veränderung der Nährstoffbedingungen erzeugen. In den kryptischen Zonen kommt es dabei oft zu einer, wenn auch schwachen Eutrophierung und leichten Erhöhung der Alkalinität, die erhebliche physiologische Störungen verursachen kann. Einige der kalkige Basalskelette abscheidenden corallinen Porifera, z. B. die Art Acanthochaetetes wellsi, benutzen ihr Basalskelett, um sich vor solchen Ereignissen zu schützen, und legen in verkalkten Kammern omnipotente Zellen, sog. Archaeocyten, eine Art Stammzellen, ab. Herrschen wieder Normalbedingungen, so werden diese Zellen enzymatisch reaktiviert und das Skelett wird re-besiedelt und fängt wieder an zu wachsen. Diese Art der Überlebensstrategie erlaubt ein Jahrhunderte dauerndes Leben. Alle untersuchten corallinen Schwämme haben eine k-strategische Reproduktionstrategie, sie produzieren nur wenige hoch komplexe Parenchymella-Larven, die bereits ein differenziertes Schwammgewebe besitzen und somit planktotroph ernähren können.
Oben: Fossile Vaceletia aus der Kreide Zeit (100 Mio. Jahre) von Nordspanien |
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Eine Art der beobachteten corallinen Schwämme ist ein uraltes Taxon (Vaceletia) das eine Entwicklungsgeschichte von rund 530 Millionen Jahren aufweist, d. h. die ältesten Vertreter dieses Gruppe sind aus dem unteren Kambrium bekannt (Archaeocyatha) und stellen mit die ersten Metazoen im erdgeschichtlichen Bericht dar, die ein Kalkskelett bilden konnten. Es ist somit möglich, die Grundprinzipien der Biomineralisation an diesem Organismus zu untersuchen. Unsere Arbeiten zur biochemischen Charakterisierung des kalkigen Skeletts dieses Schwammes haben gezeigt, dass das kalkige Skelett eine Deponie oder Endlagerung von überschüssigen und somit auch toxischen Calcium-Ionen ist. Der Schwamm verfüllt die inaktiven Zonen in seinem Basalskelett mit Aragonit einer Modifakation von Calciumcarbonat und wächst auf diesem Sockel auf. Es sind mehr als 10 Proteine in die Skelettbildung involviert, die als Kristallisationsmatrizen fungieren.
Diese Art der Biomineralisation wird auch bei anderen Organismen beobachtet und stellt ein universelles Prinzip dar. Neben diesem sehr ursprünglichen Schwamm ist ein Poriferen-Typ häufig (Astrosclera willeyana), der im Erdaltertum (Paläozoikum) und im Ermittelalter (Mesozoikum) partiell die ökologische Nische der Riffkorallen besetzt hatte. Diese als Stromatoporen bezeichneten Schwämme zeigen interessante anatomische Merkmale. Sie gehören zu den sog. Bacteriospongien, d.h. sie besitzen eine Vielzahl symbiontischer Bakterien, die einen wesentlichen Beitrag zur Bildung bestimmter Membran-Lipide beitragen, z.B. der Demospongic Acids, langkettige Carbonsäuren, die einen wichtigen Poriferen-Biomarker darstellen. Diese Schwämme wurden von uns auch auf pharmazeutisch verwertbare Naturstoffe untersucht. Diese Gruppe verfügt über halogenorganische Verbindungen (Brompyrrolderivate), die eventuell eine pharmakologische Bedeutung haben. Forschungsprojekte zu diesem Thema laufen zusammen mit Naturstoffchemikern und Pharmakologen.
Die kryptischen benthonischen Lebensgemeinschaften sind eng assoziiert mit unterschiedlichen Kalk- und Metalloxide abscheidenden Biofilmen (Mikrobialithe), die die Höhlen- und Porenwände besiedeln. Es handelt sich in den oberflächennahen kryptischen Zonen überwiegend um aerobe heterotrophe Eubakterien. In einigen Biofilmen finden sich anaerobe Mikronischen mit sulfatreduzierenden Bakterien (SRB). In einigen Biofilmen spielen auch Vertreter der Archaea eine bedeutende Rolle. In den tiefsten von uns untersuchten Höhlenzonen befinden sich Fe und Mn oxidierende Biofilme, die auf den kalkigen Höhlenwänden aufwachsen. Eine Folge dieses Bewuchses ist die Bildung von einfachen natürlichen elektrochemischen Zellen. Es kommt zu einer elektrochemischen Korrosion, die an den Höhlenwänden eine besondere Art von Mikrobengesteinen entstehen lässt, die wir als Hartgründe bezeichnen. Ein weiterer gesteinsbildender Prozess, der mit den Biofilmen gekoppelt ist, ist die Verkalkung von organischen Reststoffen wie sauren Protein- und Zuckerresten sowie Lipidstoffen, die beim mikrobiellen Abbau von Metazoen entstehen, hier bevorzugt aus Porifera. Dieser von uns Organomineralisation genannte Vorgang zementiert die internen Hohlräume der Riffkörper und stabilisiert diese.
Unsere Untersuchungen an den kryptischen Lebensräumen im Great Barrier Reef haben gezeigt, dass diese Bereiche für die Riffbildung von essenzieller Bedeutung sind und bedingt durch den schützenden Effekt des umgebenden Riffgesteins, sich Lebensformen erhalten haben, die eine langsame Evolution durchgemacht haben und somit Einblicke in Lebenswelten vor einigen hundert Millionen Jahren zulassen.
Forschungsprofil
Joachim Reitner und seine Mitarbeiter untersuchen am Göttinger Zentrum Geowissenschaften, Abteilung Geobiologie, Wechselwirkungen von Organismen und organischen Verbindungen mit der Geosphäre. Diese Forschungsinhalte führten zur Etablierung einer neuen geowissenschaftlichen Forschungsrichtung „Geobiologie“ an der Universität Göttingen. Zentrale Fragen sind dabei die Funktion und Bedeutung von Bio- und Organomineralisations-Prozessen bei der Gesteinsbildung, die Evolution einfacher skelettbildender Metazoen (Schwämme, Korallen) in Verbindung mit Biofilmen, die erdgeschichtliche Entwicklung von riffbildenden Organismen-Gemeinschaften sowie die Bedeutung von Biofilmen und organischen Verbindungen für Prozesse in der flachen Lithosphäre (Stichworte: „Tiefe Biosphäre“ und Exobiologie).
Kurzbiographie
Prof. Dr. Joachim Reitner studierte Geologie und Paläontologie an der Universität Tübingen, wo er 1984 promovierte. Ab 1984 war er wissenschaftlicher Mitarbeiter und wissenschaftlicher Assistent am Institut für Paläontologie der FU-Berlin, habilitierte dort 1991 in den Fächern Paläontologie und Geologie über die Phylogenie coralliner Porifera und hatte 1993 eine Gastprofessur für Paläontologie an der Univeristät Paris in Orsay inne. Im Jahre 1994 wurde er auf den Lehrstuhl für Paläontologie der Universität Göttingen und 1999 auf den Lehrstuhl für Paläontologie der Universität Erlangen berufen. 1996 wurde ihm der Gottfried Wilhelm Leibniz-Preis der Deutschen Forschungsgemeinschaft verliehen.
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