Erdbebengefahr genauer einschätzen
Erdbeben gehören zu den kostenintensivsten Naturkatastrophen und fordern allein in Europa im Schnitt 1000 Opfer jährlich. Da Erdbeben nicht verhindert werden können, ist es wichtig, zukünftige Erdbebenherde möglichst genau zu identifizieren, um vorbeugende Massnahmen treffen zu können. ETH-Wissenschaftler haben herausgefunden, wie sie mit Hilfe eines statistischen Parameters der Verteilungen von Erdbeben, dem so genannten b-Wert, Rückschlüsse auf den Spannungszustand der Erdkruste ziehen können. Ihr Verfahren ist in der neuesten Ausgabe der Zeitschrift „Nature“ publiziert.
Bereits 1939 wurde von den japanischen Wissenschaftlern Ishimoto und Iida entdeckt, dass die Verteilung von kleinen zu grösseren Beben einer bestimmten Gesetzmässigkeit folgt. Diese wurde 1945 von US-amerikanischen Wissenschaftlern bestätigt und ist seitdem als Gutenberg-Richter-Gesetz bekannt. Ausschlaggebend in dieser Verteilung ist der Parameter b, der das mengenmässige Auftreten zwischen kleinen und mittleren bis grossen Beben einer festgelegten Region beschreibt: je kleiner der b-Wert, desto weniger kleine Beben gibt es im Verhältnis zu den mittleren und grossen Beben.
Physikalische Bedeutung enträtselt
Seit nunmehr über 60 Jahren ist der Parameter b bekannt, doch konnte bislang keine physikalische Interpretation für Erdbeben bewiesen werden. In Laborexperimenten mit unter Spannung gesetzten Gesteinen konnte für Mikrorisse nachgewiesen werden, dass b mit zunehmender Spannung sinkt. Unklar blieb, ob diese Erkenntnis von Mikrorissen auf Erdbeben ausgeweitet werden kann, da keine in-situ Spannungsmessungen möglich sind. Auch die Frage nach Gleichheit der Mechanismen von Mikrorissen und zerstörerischen Erdbeben blieb ungeklärt.
Die ETH-Wissenschaftler Danijel Schorlemmer und Stefan Wiemer, zusammen mit Max Wyss von WAPMERR (World Agency for Planetary Monitoring and Earthquake Risk Reduction, Geneva), konnten nun nachweisen, das b invers zur Spannung in der Erdkruste ist, das heisst das b kleiner wird je grösser die Spannung der Erdkruste ist. Da der b-Wert in seismisch aktiven Gebieten kartiert werden kann, lassen sich nun ohne aufwendige Messungen Orte unter höherer Spannung identifizieren. Dieser Nach weis wurde möglich, in dem die Wissenschaftler die Bruchorientierung von Erdbeben und ihren Zusammenhang mit den Parameter b untersuchten.
Erfolg in Parkfield
Bereits letztes Jahr hatten die beiden ETH-Wissenschaftler Erfolg mit der Hypothese, dass niedrige b-Werte hohe Spannungen repräsentieren. Sie konnten mit Hilfe des b-Wertes den unter starker Spannung stehenden Teil der San Andreas Verwerfung in Zentralkalifornien lokalisieren. Es war genau dieser Teil, der im Beben vom 28. September letzten Jahres gebrochen ist. Diese Tatsache haben die Wissenschaftler bereits im April dieses Jahres im Magazin „Nature“ publiziert.
Identifikation von möglichen Erdbebenherden
Mithilfe des b-Wert scheint es nun möglich, potentielle Erdbebenherde als Orte erhöhter Spannung in der Erdkruste zu identifizieren. Trotz der Erfolge in Parkfield und anderen Orten, bleibt der Zeitpunkt eines Bebens jedoch unbekannt. Weitere Experimente sollen folgen, um die Vorhersagekraft des b-Wertes zu untersuchen. In einem gross angelegten Test für Kalifornien versuchen die Wissenschaftler nun alle Herde mit möglichen grösseren Beben zu lokalisieren und ihre Voraussage der zukünftigen Erdbebenaktivität zu testen.
Kontakt
Dr. Danijel Schorlemmer
Institut für Geophysik
ETH Zürich
Tel: +41 44 633 38 57
E-Mail: schorlemmer@sed.ethz.ch
und
Dr. Stefan Wiemer
Schweiz. Erdbebendienst (SED)
ETH Zürich
Tel: +41 44 633 38 57
E-Mail: wiemer@sed.ethz.ch
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