Wenn in deutschen Städten der Muezzin zum Gebet ruft
Münchner Geograph hat Konflikte um die Errichtung und Nutzung von Moscheen in Deutschland untersucht
Der Islam gerät in Deutschland zunehmend in das öffentliche Bewusstsein. Angesichts der tagespolitischen Ereignisse mag eine solche Aussage allzu schnell auf terroristische Gewalttäter mit einem religiös-ideologischen, in diesem Fall islamischen, Hintergrund bezogen werden. Thomas Schmitt, Geograph aus München, stieß indes bei seinen Untersuchungen über Konflikte um die Errichtung und Nutzung von Moscheen in Deutschland auf ein Phänomen, das sich auch in der gegenwärtig aufgeheizten massenmedialen Berichterstattung – aller scheinbaren Differenziertheit im Kleingedruckten zum Trotz – bemerkbar macht: die reflexartige Gleichsetzung von Islam und Fundamentalismus (und Terrorismus). Im Zusammenhang eines Vortrags beim 53. Deutschen Geographentag in Leipzig, in dem Thomas Schmitt die Ergebnisse seiner Dissertation vorgestellt hat, bezieht sich der Eingangssatz freilich auf die Diskussionen eines ganzen Jahrzehnts.
Mit Beginn der neunziger Jahre wurde aus einer Gastarbeiter-Religion eine inländische Religion. Damals begann sich abzuzeichnen, dass die Arbeitsmigranten und ihre Nachkommen nur zu einem geringen Teil in ihre Herkunftsländer zurückkehren, sondern sich in der Mehrzahl in Deutschland etablieren würden. Dabei wurden und werden Provisorien durch dauerhafte Lösungen ersetzt. So treten etwa an die Stelle äußerlich unauffälliger Gebetsräume, die so genannten Laden- und Hinterhofmoscheen, mehr und mehr repräsentative Moscheebauten mit erkennbar islamischer Architektur. Diese verändern das sichtbare Stadtbild und, so Thomas Schmitt, bereichern es auch.
Gesellschaftlicher Wandel ist fast ausnahmslos von Konflikten begleitet. Dies trifft auch auf die Errichtung repräsentativer Moscheebauten oder die Einführung des islamischen Gebetsrufes zu. In mehreren deutschen Städten gab es in den letzten Jahren erregte Debatten um diese Fragen. Ein erbitterter Streit war 1996/97 um die Einführung des Gebetsrufes in Duisburg entbrannt, der nicht zuletzt durch das Auftreten von Scharfmachern aus dem christlich-fundamentalistischen Lager eskalierte.
Fast drei Jahre lang hat sich Thomas Schmitt mit Konflikten um die Errichtung von Moscheen und die Einführung des islamischen Gebetsrufes beschäftigt. Seine Untersuchungen konzentrierten sich auf die Städten Lauingen, Bobingen, Gladbeck, Lünen und Duisburg. Er führte zahlreiche Interviews mit den Vertretern der Konfliktparteien, wertete Presseberichte und viele andere schriftliche Quellen, darunter auch Stadtratsprotokolle, aus. Dabei zeigte sich, dass sich die Konflikte in ihren Austragungsformen und Ergebnissen in markanter Weise unterscheiden: Während etwa in Duisburg Befürworter und Gegner des Muezzin-Rufes vor laufenden Fernsehkameras, mit großformatigen Zeitungsanzeigen und Flugblättern miteinander rangen, scheuten anderswo die Kontrahenten die öffentliche Debatte. Dort wurde der Konflikt vor allem anhand von Rats- und Gerichtsprotokollen greifbar.
Ungeachtet aller Unterschiede in den Konfliktverläufen und ihren Austragungsformen zeigen die Fallstudien, dass sowohl die Befürworter als auch die Gegner immer wieder ähnliche Argumente anführen. Gelegentlich reichen die Ähnlichkeiten bis in die Formulierungen hinein, wenn etwa in Duisburg wie in Dortmund behauptet wurde, der Muezzin-Ruf sei der „i-Punkt“, der für die deutsche Bevölkerung „das Fass zum Überlaufen“ bringe.
Die Argumente lassen sich in der Regel drei Bereichen zuordnen. In den raumbezogenen-städtebaulichen Bereich gehören etwa solche Argumente, wonach die Moschee zu Parkproblemen und Lärmbelästigungen im Umfeld führe. Umgekehrt haben Befürworter bisweilen argumentiert, dass eine Moschee durchaus eine städtebauliche Bereicherung für das jeweilige Quartier darstellen könne. Dem ethnisch-kulturellen Bereich sind jene oft vorschnell geäußerten Einwände zuzuordnen, eine neue Moschee sei der Integration von Ausländern nicht dienlich. Teilweise wurde ohne jeglichen Anhaltspunkt die Finanzierung der Moschee mit Rauschgiftgeschäften in Verbindung gebracht. Was dabei übersehen wurde: Moscheen mit reger Gemeinde können eine integrative Funktion für die Muslime haben. Sie können darüber hinaus zu einem Brücken-Ort zwischen Christen und Muslimen, Deutschen und Migranten werden, der über die Stadtteilgrenzen ausstrahlt und zu einer festen Institution in der städtischen Gesellschaft wird – wie etwa im nordrhein-westfälischen Gladbeck.
Schließlich lässt sich ein Teil der Argumente dem religiösen Bereich zuordnen. Zum Teil wird dabei der Islam unbesehen als fundamentalistische, totalitäre Religion dargestellt, in Verkennung und Unkenntnis der innerislamischen Vielfalt und auch Pluralität. Als angeblich antiwestliche, antidemokratische und antichristliche Religion wird der Islam geradezu dämonisiert, die lokalen Vertreter der Moscheevereine sozusagen in Sippenhaft genommen für sämtliche Fehlentwicklungen in der islamischen Welt. Hingegen verweisen Muslime und Christen, die den Bau von Moscheen und den Ruf des Muezzin befürworten, auf die gemeinsamen Wurzeln der so genannten abrahamitischen Religionen Christentum, Judentum und Islam.
Wie Thomas Schmitt betonte, lassen sich die Konflikte um Moscheebauten und den islamischen Gebetsruf durch eine geschickte Standortwahl allein nicht bewältigen. Vielmehr komme es darauf an, einen intensiven Dialog vor Ort zu führen, sachlich über die Religion des Islam zu informieren und gelungene Beispiele islamischen Lebens und christlich-islamischen Miteinanders in Deutschland darzustellen.
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