Computergesteuerte Chemie

Erstmalig direkte Kopplung zwischen Computer und einer chemischen Reaktion / Berliner Fritz-Haber-Institut gelingt raum-zeitliche Steuerung katalytischer Aktivität

Das Verständnis spontaner Strukturbildung, wie sie in vielen natürlichen und technischen Systemen auftritt, ist bisher nur elementar. Jetzt ist es Wissenschaftlern des Berliner Fritz-Haber-Instituts der Max-Planck-Gesellschaft und der Princeton University erstmals gelungen, lokal, direkt und sehr schnell in eine strukturbildende chemische Reaktion einzugreifen (Science, 5. Oktober 2001). Mit Hilfe eines fokussierten Lasers konnten sie bestimmte Reaktionsmuster beliebig erzeugen, formen, beschleunigen und leiten. Über eine computergestützte Bildverarbeitung wird eine direkte raum-zeitliche Steuerung chaotisch ablaufender chemischer Reaktionen möglich.

Strukturbildung durch Selbstorganisation tritt in der Natur in vielen Formen auf, von der Bildung von Strudeln in Flüssigkeiten über Wirbelstürme bis hin zur Spiralbildung in Galaxien oder zu Mustern, die bei chemischen Reaktionen in so genannten Reaktions-Diffusions-Systemen entstehen. Solche Muster treten in chemischen Systemen dann auf, wenn diese sich fern des Gleichgewichts befinden. Das wird dadurch erreicht, dass der Reaktion ständig Reaktionsprodukte entnommen und Ausgangsstoffe zugeführt werden.

Wissenschaftlern am Fritz-Haber-Institut ist es nun gelungen, eine solche chemische Strukturbildung bei der katalytischen Oxidation von Kohlenmonoxid gezielt zu beeinflussen. In der betrachteten Reaktion haften Sauerstoff und Kohlenmonoxid (CO) zunächst auf einer katalytischen Platin-Einkristalloberfläche. Die auf der Oberfläche beweglichen CO-Moleküle reagieren jeweils mit einem Sauerstoffatom zu Kohlendioxid, das die Oberfläche sogleich wieder verlässt. Bei dieser Reaktion bilden sich selbstorganisierte Muster aus mikroskopisch kleinen dunklen und hellen Bereichen, die jeweils entweder von Sauerstoff oder von Kohlenmonoxid bedeckt sind.

Um diese Muster lokal zu beeinflussen, haben die Forscher in der von Professor Gerhard Ertl geleiteten Abteilung zusammen mit Professor Ioannis G. Kevrekidis von der Princeton University eine Apparatur gebaut, mit deren Hilfe das Licht eines Lasers auf einen beliebigen Punkt der Platinoberfläche fokussiert werden kann. Dieser Punkt wird dadurch (kurzzeitig) wärmer als seine Umgebung, so dass sich auch die Bedingungen für die Musterbildung an dieser Stelle verändern. Der Brennpunkt des Lasers kann mit zwei computerkontrollierten Spiegeln beliebig auf der Oberfläche hin und her bewegt werden – und damit in die chemische Reaktion hinein „schreiben“.

Dieses „Schreiben“ in eine chemische Oberflächenreaktion hat verschiedene Auswirkungen: Es können neue Muster erzeugt werden, die in diesem Fall an eine Bugwelle eines fahrenden Schiffes erinnern. Bestehende Muster können gelöscht werden (siehe Abbildung 1, A + B). Bereits entstandenen Mustern kann ihre Ausbreitungsrichtung vorgegeben, andere Richtungen können blockiert werden (Abbildung 1 C).

Abb. 1: A) Erzeugung eines neuen Musters, das an die Bugwelle eines Schiffes erinnert. Der Laserstrahl, der das Platin lokal kurzzeitig erwärmt, wird dazu im schrägen Winkel langsam über die Probe bewegt. B) Der mit einer Computermaus gesteuerte Laserstrahl „löscht“ eine Kohlenmonoxid-Front. C) Eine CO-Front wird innerhalb eines Kreisringes festgehalten.
Foto: Fritz-Haber-Institut

Mit einem computergestützten Bildverarbeitungssystem gelang es den Max-Planck-Wissenschaftlern durch Rückkopplung, dieses Reaktionssystem zu einem völlig neuen Verhalten zu zwingen. Während die Reaktion zwischen Kohlenmonoxid und Sauerstoff homogen zwischen den Kohlenmonoxid-bedeckten und Sauerstoff-bedeckten Zuständen oszillierte, wurde der Laserstrahl auf der Katalysatoroberfläche in schneller Abfolge auf die vier Ecken eines Quadrates fokussiert. Verblieb der Laser gleich lang an jedem Eckpunkt (keine Rückkopplung), blieben die Oszillationen weiterhin regelmäßig. Wird nun die Helligkeit der Reaktion in vier beliebig gewählten Bereichen gleichzeitig gemessen und mathematisch mit der konkreten Verweildauer des Lasers auf jedem Quadrateckpunkt verknüpft, so entstehen vollständig andere Muster (Abbildung 2).

Abb. 2: A) Der Laserstrahl wird in schneller Abfolge auf die vier Punkte 1 bis 4 gerichtet. Die Zeit, die er an jedem Punkt verbringt, richtet sich nach der mittleren gemessenen Helligkeit in den vier markierten Gebieten. Die zeitliche Entwicklung der Reaktion kann mit einem sogenannten x-t-Plot dargestellt werden. Dabei werden die Graustufen entlang einer Linie für aufeinanderfolgende Videobilder nebeneinander aufgezeichnet. B) X-t-Plot entlang der Linie ab, wenn der Laser gleich lang an jedem Eckpunkt bleibt. Es ist ein deutlich regelmäßiges Muster zu erkennen. C) X-t-Plot entlang der Linie ab, wenn der Laser nicht mehr gleich lang an jedem Eckpunkt verweilt (vgl. Text). Das vorher regelmäßige Muster ist nun unregelmäßig.
Foto: Fritz-Haber-Institut

Am Beispiel dieser relativ einfachen Reaktion zwischen Kohlenmonoxid und Sauerstoff haben die Forscher gezeigt, dass es möglich ist, eine chemische Reaktion direkt mit einem Computer zu koppeln und zu steuern. Diese Rückkopplung in die chemische Reaktion wirkt schnell und direkt. Sie kann an mehreren Stellen erfolgen und ist nicht an die Positionen gebunden, an denen die einzelnen Messungen (in diesem Fall der Helligkeit) durchgeführt werden.

Damit werden sogenannte „Hybrid-Systeme“ möglich, in denen ein auf dem Computer laufendes Programm über eine Schnittstelle mit einer chemischen Reaktion gekoppelt wird. Die Schnittstelle in die eine Richtung ist der Laser, in die andere Richtung das bildgebende Verfahren. Damit öffnen sich völlig neue Wege, um chemische Prozesse zu kontrollieren bzw. auf bestimmte Ziele hin zu optimieren, wie z.B. der Erhöhung der Reaktionsrate oder der Selektivität für ein bestimmtes Produkt.

Weitere Auskünfte erhalten Sie von:

Dr. Harm Hinrich Rotermund
Fritz-Haber-Institut der Max-Planck-Gesellschaft
Abteilung Physikalische Chemie
Tel.: 0 30 / 84 13 – 51 29
Fax: 0 30 / 84 13 – 51 06
E-Mail: a href=mailto:rotermund@fhi-berlin.mpg.de>rotermund@fhi-berlin.mpg.de

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