Debatte der Maßlosigkeit – Rechtschreibreform und kein Ende
Debatte der Maßlosigkeit
Rechtschreibreform und kein Ende. Mit ihrer Entscheidung, vom 1. August an zur alten Orthographie zurückzukehren, hat die FAZ eine neue Runde im Streit um das brisante Regelwerk eröffnet. Die Gegner der Reform wittern Morgenluft: Kommt nach einer trügerischen Ruhe nun der Sturm? Werden andere Zeitungen dem Beispiel folgen? Wie lange werden die Verfechter der Reform dem Druck standhalten können? Die Risse im Mauerwerk sind unübersehbar, mancher ist bereits von der Fahne gegangen. Die Zukunft der Reform scheint wieder offen. Was ist von alledem zu halten?
Das Argument der Frankfurter Redaktion scheint auf den ersten Blick nachvollziehbar: Warum sich noch länger einem unzulänglichen Regelsystem unterwerfen, wenn der einzige Grund für diese Entscheidung, die Einheitlichkeit der Rechtschreibung, offensichtlich hinfällig geworden ist? Wie stichhaltig ist diese Begründung?
Die Schwächen der Neuregelung sind vielfach beschrieben worden. Vor allem in den Bereichen der Groß- und Klein- sowie der Getrennt- und Zusammenschreibung legt sie Schreibungen fest, die dem Sprachgefühl widersprechen (Eis laufen statt eislaufen, schwer fallen statt schwerfallen) und die unterschiedliche Wörter in der Schriftsprache einebnen (im Gymnasium / auf dem Stuhl sitzen bleiben). An anderer Stelle scheint sie Wissen vorauszusetzen, über das oft nicht einmal Germanisten verfügen (Stängel statt Stengel wegen der Verwandtschaft mit Stange). Das Sprachgefühl der Kritiker lässt sich wissenschaftlich begründen. Schon vor der Verabschiedung hatten namhafte Sprachwissenschaftler gewarnt, das Reformwerk entspreche nicht dem Stand der Kunst, weise schwerwiegende (heute: schwer wiegende) Mängel auf. Überhaupt sei es ein Risiko, in ein gewachsenes, vielgestaltiges Buschwerk so beherzt mit der Heckenschere einzugreifen.
Andererseits hatte auch die DUDEN-Redaktion in den Jahrzehnten vor der Reform einer naturwüchsigen Entfaltung der Orthographie an mancher Stelle Einhalt geboten, in kleinen Schritten und daher von der Öffentlichkeit weitgehend unbemerkt. Auch dabei war nicht immer eine glückliche Hand am Werk gewesen, was zu den bekannten Fehlerquellen geführt hatte, die schließlich den Ausschlag gaben für die umstrittene Reform (z.B. radfahren im Unterschied zu Auto fahren). So nahe es lag, das alte DUDEN-Regelwerk einmal einer gründlichen Prüfung und Überarbeitung im Detail zu unterziehen, so unglücklich war möglicherweise – neben mancher Entscheidung in der Sache – die Etikettierung der Überarbeitung als „Reform“. Sie polarisierte die Öffentlichkeit in Befürworter und Gegner und verlieh der Angelegenheit ein Gewicht, das es nun schwermacht (schwer macht), ohne Gesichtsverlust für beide Seiten das Gute der Reform vom Unsinnigen zu trennen. Bis heute schießen viele – Befürworter wie Kritiker – in der öffentlichen Debatte weit über das Ziel hinaus, legen sich auf Pro- und Contrapositionen fest und verlieren dabei das Augenmaß, das es erlaubt, die Spreu vom Weizen zu trennen.
Genau darauf aber käme es nun an: Die Rechtschreibung auf der Grundlage der wissenschaftlichen Erkenntnisse und unter Beobachtung der tatsächlichen Schreibpraxis von Wörterbuch zu Wörterbuch behutsam weiterzuentwickeln und dabei die Schwächen der alten ebenso wie die der neuen Regelung zu vermeiden. Die Mannheimer Kommission hat diesen Weg eingeschlagen. Man sollte sie dabei unterstützen.
Autor: Dr. Stephan Habscheid, wissenschaftlicher Mitarbeiter der Professur Germanistische Sprachwissenschaft der Technischen Universität Chemnitz, Telefon (03 71) 51 35 24 (privat)
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