Das Limbische System des Gehirns

Vom 17. bis 19. Mai veranstaltet der SFB 426 „Limbische Strukturen und Funktionen“ in Magdeburg ein internationales Symposium mit über 150 Wissenschaftlern u.a. aus den USA, Kanada, GB und der Schweiz, die unter anderem über neueste Ergebnisse der Grundlagen von Emotionalverhalten, der Bildung und des Abrufes von Gedächtnisinhalten sowie der Regulation von Wachen und Schlafen berichten. Diskutiert werden darüber hinaus aktuelle Befunde zu molekularen Mechanismen von Suchterkrankungen, den Konsequenzen sozialer Isolation im frühkindlichen Alter sowie den hirnbiologischen Grundlagen von Schizophrenien, Angst- und Zwangserkrankungen.

Aus der alltäglichen Erfahrung wissen wir, dass unsere Reaktionen auf Wahrnehmungen aus der Umgebung und unser Antrieb zu bestimmten Handlungen stark von „inneren Zustandswerten“, wie zum Beispiel Aufmerksamkeit, Motivation oder Emotion, bestimmt werden. Wie sind diese inneren Zustandswerte definiert und welche Grundlagen besitzen sie? Warum gibt es Gemütsschwankungen, die wir nicht näher erklären können? Was ist die neurobiologische Basis von krankhaften Verzerrungen der Wahrnehmung unserer Umwelt und der krankhaften Übersteuerung von Gemütsschwankungen? Was überhaupt ist Erinnerung, und wie sind emotionale und rationale, bewusste und unbewusste Komponenten der Erinnerung zu differenzieren?

Fragen dieser Art haben sich als unerwartet schwierig zu beantworten erwiesen und eine Reihe von Theorien hervorgebracht. Im Zentrum dieser Theorien steht das so genannte „Limbische System“ unseres Gehirns. Bei der Aufklärung der Grundlagen von Funktionen und der Konsequenzen gestörter Funktionen des limbischen Systems leisten Magdeburger Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler im Rahmen eines Sonderforschungsbereiches (SFB 426) der Deutschen Forschungsgemeinschaft einen wichtigen Beitrag. „Die limbischen Schaltkreise unseres Gehirns sind für die Integration von kognitiven Funktionen, Lernen und Gedächtnis mit emotionalen und motivationalen Komponenten in bestimmten Verhaltensreaktionen verantwortlich“, erklärt Professor Hans-Christian Pape, Sprecher des SFB 426. „Störungen dieser Schaltkreise machen sich klinisch deshalb häufig durch eine Dissoziation von Kognition und Emotion bemerkbar, weil diese Vermittlerfunktion gestört ist. Angst, Wahn, Zwang aber auch Manie, Affektverflachung, Realitäts- und Gedächtnisstörungen können die Folge sein.“

Das Limbische System hat sich bei Säugetieren und insbesondere beim Menschen zu einem ausgedehnten System von Schaltkreisen des Gehirns entwickelt, das einen umfassenden Einfluss auf die emotionale Bewertung aller Sinneserfahrungen bzw. eine Motivationskontrolle über Verhalten ausübt. Darüber hinaus haben sich die Hinweise darauf verdichtet, dass Funktionsstörungen limbischer Strukturen und ihrer Bezugssysteme die pathophysiologische Basis von häufigen Hirnkrankheiten darstellen. Mehr als 20 Prozent der Bevölkerung erkranken im Verlauf des Lebens an einer behandlungsbedürftigen neurologischen oder psychischen Erkrankung, bei der strukturelle oder funktionelle Beeinträchtigungen des limbischen Systems oder damit in engem Funktionszusammenhang stehender Hirnbereiche nachgewiesen sind oder vermutet werden. Hierzu gehören die so genannten Neurosen (z.B. Angst- oder Zwangskrankheiten), Suchterkrankungen (z.B. Alkoholismus), Schizophrenien, depressive Syndrome, bestimmte Formen von Epilepsie und Hirnabbauerkrankungen wie die Alzheimer´sche Krankheit. Fast allen Formen von Gedächtnisstörungen, von emotionalen Störungen, psychotischen Syndromen mit Realitätsverlust, Wahnideen und Halluzination liegen Störungen in einem oder mehreren Teilbereichen des limbischen Systems zugrunde. Diese Erkrankungen sind von außerordentlich großer volkswirtschaftlicher und gesundheitspolitischer Bedeutung. In der Bundesrepublik sind bis zu fünf Millionen Patienten aktuell erkrankt, und die Behandlung der Schizophrenien allein macht zwei bis drei Prozent der gesamten Kosten unseres Gesundheitswesens aus. Dabei bleibt die Diagnose und Therapie dieser Erkrankungen außerordentlich schwierig. Wegen des Fehlens grundlegender Kenntnisse über die hirnbiologischen Grundlagen von Emotionalität, Gedächtnis, Wahrnehmungsbewertung und Verhaltenssteuerung wurden psychische Störungen bislang vorzugsweise mit psychodynamischen und verhaltenstheoretischen oder auch mit sozial-gesellschaftlichen Denkmodellen zu erklären versucht, was erhebliche Probleme in der diagnostischen Einordnung und der Entwicklung wirksamer Therapieverfahren mit sich brachte. Tatsächlich sind alle klassischen Psychopharmaka mehr oder weniger durch Zufall entdeckt worden. Entsprechend bleibt die Pharmakotherapie nur zum Teil erfolgreich. Bei etwa der Hälfte der betroffenen Patienten sind nur unzureichende, oft auch überhaupt keine Therapieerfolge zu verzeichnen, und nicht erwünschte Wirkungen von Pharmaka sind alltägliche Probleme. Erst die jüngere Zeit brachte einige gezieltere Entwicklungen.

Der gastgebende Sonderforschungsbereich (SFB 426) „Limbische Strukturen und Funktionen“ wurde Anfang 1997 von der Deutschen Forschungsgemeinschaft an der Otto-von-Guericke-Universität Magdeburg eingerichtet. Er verbindet vorklinische, klinisch-theoretische und klinische Abteilungen der Medizinischen Fakultät mit Arbeitsgruppen der Fakultät für Naturwissenschaften an der Otto-von-Guericke-Universität Magdeburg und Abteilungen des Leibniz-Institutes für Neurobiologie in Magdeburg. Der SFB befindet sich gegenwärtig in seiner zweiten Förderperiode, die noch bis Ende 2002 dauert.

„Im limbischen System sind molekular-zelluläre Eigenschaften, lokale Organisationsformen, Systemfunktionen, die menschliche Empfindung und das Gedächtnis auf vielfältigste Art miteinander verknüpft“, erklärt Pape. Zu deren Erfassung seien interaktive und multidisziplinäre wissenschaftliche Ansätze mit unterschiedlichen Ebenen der Analyse besonders geeignet. „Für diese interaktive Vorgehensweise bietet Magdeburg den günstigen Umstand einer inhaltlich wie methodisch sehr breiten Ansammlung interdisziplinärer Komponenten, die in dieser Konstellation auf diesem Forschungsgebiet in Deutschland nahezu einmalig ist“, betont der SFB-Sprecher.

Nähere Informationen zum Sonderforschungsbereich und zum Symposium im Internet unter http://www.med.uni-magdeburg.de/fme/institute/iphy/ oder
http://www.fan-magdeburg.de/sfb2001/.

Das Symposium beginnt am 17. Mai um 19 Uhr und endet am 19. Mai 2001 gegen 17 Uhr. Veranstaltungsort ist das Upstalsboom Hotel Ratswaage, Ratswaageplatz 1-4, 39104 Magdeburg. Das Tagungsbüro ist während des Symposiums unter Tel. +49-(0)391-59260 und Fax +49-(0)391-5926115 zu erreichen.

Weitere Auskünfte erteilt gern: Prof. Dr. Hans-Christian Pape, Sprecher des SFB 426 und Direktor des Institutes für Physiologie der Otto-von-Guericke-Magdeburg,
Tel. 0391-67 15885, Fax 0391-67 15819
E-Mail: hans-christian.pape@medizin.uni-magdeburg.de

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Kornelia Suske

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