Erinnerte Geschichte bei Serben und Kroaten

VolkswagenStiftung fördert Mehrgenerationenstudien des Wittener Sozialpsychologen Harald Welzer

Eine bedeutende Summe für ein bedeutendes Projekt: Mit 270.000 Euro fördert die VolkswagenStiftung das Forschungsprojekt „Vergleichende Tradierungsforschung“, ein Berlin-Wittener Forschungsvorhaben, an dem Prof. Dr. Harald Welzer vom Studium fundamentale der Universität Witten/Herdecke und Prof. Dr. Holm Sundhaussen von der Freien Universität Berlin gemeinsam arbeiten.
Wie verlaufen Prozesse der Überlieferung von Vergangenheitsvorstellungen in Südosteuropa? Diese zentrale Frage führt das Berlin-Wittener Forscherteam um Welzer und Sundhaussen in den nächsten beiden Jahren nach Serbien und Kroatien. Dort werden die Wissenschaftler je 20 Familien zu Familiengesprächen als auch zu Einzelinterviews bitten. So wollen sie Erkenntnisse darüber sammeln, wie Ereignisse der Vergangenheit, konkret aus der Zeit der nationalsozialistischen Expansion und des Zweiten Weltkriegs, über drei Generationen hinweg weitererzählt, wahrgenommen und gedeutet werden. Dieser sozialpsychologische Ansatz ermöglicht dem Team um Welzer und Sundhaussen gleich dreifache Vergleichsmöglichkeiten: innerfamiliär zwischen den Generationen, binational zwischen Serben und Kroaten, deren Länder im zweiten Weltkrieg höchst unterschiedliche Rollen eingenommen haben – Kroatien als Kriegsverbündeter, Serbien als Kriegsgegner NS-Deutschlands – schließlich international zwischen den beiden Balkan-Ländern und Westeuropa.
Dabei kann Harald Welzer auf Erkenntnisse zurückgreifen, die er in den vergangenen Jahren bei Mehrgenerationenstudien zur Geschichtserfahrung in West- und Ostdeutschland gesammelt hat. Unter dem Titel „Opa war kein Nazi“ sind sie vor wenigen Wochen im Fischer Taschenbuch Verlag erschienen. Welzer fand heraus, dass in Familien ein privates, emotionales Geschichtsbewusstsein weitergegeben und gebildet wird – noch vor dem offiziellen, in Schulen und Medien vermittelten. Die innerfamiliär ausgetauschten Geschichtserfahrungen und -deutungen unterscheiden sich dabei wesentlich von denen aus Schule und Medien: „Kumulative Heroisierung“ nennt Welzer die Tendenz „der Kinder- und Enkelgeneration, ihren Eltern und Großeltern antinationalsozialistische Grundhaltungen und Widerstandshaltungen zuzuschreiben.“ Schließlich geht es, anders als bei öffentlicher Geschichtsvermittlung, auch um Verständnis, um Loyalität innerhalb der Familien.
Mit ihrer Förderung sichert die Volkswagen Stiftung sozusagen das östliche Standbein von Welzers Projekt. Das westliche wird finanziert von der Hamburger Stiftung zur Förderung von Wissenschaft und Kultur und hat Mehrgenerationenstudien in Dänemark, den Niederlanden, Norwegen und Großbritannien zum Inhalt.
Kontakt: Prof. Dr. Harald Welzer, Tel: 0201/7204211; E-Mail: welzer@kwi-nrw.de

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idw

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