VFA legt BCG-Studie zur Wettbewerbsfähigkeit Deutschlands als Standort für Arzneimittelforschung und -entwicklung vor
Mit einer gezielten Wende in der Forschungspolitik kann Deutschland wieder den Sprung in die Spitzengruppe schaffen
Deutschland hat seine Stellung als ehemals weltweit führender Forschungs- und Entwicklungsstandort für die pharmazeutische Industrie eingebüßt und liegt nur noch im Mittelfeld. Die Gründe liegen insbesondere in Defiziten bei der biomedizinischen Grundlagenforschung, der klinischen Forschung und bei den Zulassungsverfahren. Das ist das zentrale Ergebnis der heute in Berlin vorgestellten Studie „Wettbewerbsfähigkeit Deutschlands als Standort für Arzneimittelforschung und -entwicklung“, die die Boston Consulting Group (BCG) im Auftrag des Verbandes Forschender Arzneimittelhersteller (VFA) erstellt hat.
Sowohl BCG-Senior-Partner Dr. Michael Steiner als auch VFA-Vorstandsmitglied Prof. Dr. Bernhard Scheuble mahnten eine Wende in der Forschungspolitik an, um die Wettbewerbsfähigkeit Deutschlands zu sichern und auszubauen. Scheuble: „Der internationale Wettbewerb um die besten Standorte wird härter. Politische Lippenbekenntnisse allein reichen nicht aus, wenn Deutschland ein Forschungsstandort mit Zukunft sein soll. Forschungseinrichtungen, Industrie und Politik müssen gemeinsam den Forschungsstandort zukunftsfähig gestalten.“
„Deutschland ist weltweit der drittgrößte Markt für die pharmazeutische Industrie, aber nur noch wenige pharmazeutische Unternehmen betreiben einen Forschungsstandort in Deutschland“, erläuterte Steiner. Von den 130 Forschungsstandorten der 30 umsatzstärksten globalen pharmazeutischen Unternehmen befinden sich nur zehn in Deutschland.
Um den Anschluss im internationalen Innovations-Wettbewerb nicht zu verlieren, fordert der VFA die gezielte Aufstockung der Förderung der Grundlagenforschung, damit sich rund um die akademischen For-schungszentren wieder vermehrt Unternehmen für eine Ansiedlung interessieren. „Wir dürfen uns nicht an Standorten orientieren, die weniger ausgeben, sondern an denen, die in den letzten Jahren erfolgreich die führende Forschungsposition eingenommen haben“, betonte Scheuble. Nach Erhebungen von BCG ist die Forschungsförderung im biomedizinischen Bereich in Deutschland zu niedrig. Sie müsste um 1,5 Mrd. Euro pro Jahr erhöht werden, um zu den führenden USA aufschließen zu können. Steiner: „Von der hohen Effizienz der Forschung in den Vereinigten Staaten lässt sich außerdem ableiten, dass die Fördermittel stärker leistungsorientiert vergeben und auf Großprojekte konzentriert werden müssen.“
Spitzenforschung braucht aber auch gute Ausbildung: „Die wissenschaftliche Ausbildung in Deutschland muss mittels modularer Studiengänge internationalen Standards angepasst und flexibilisiert werden“, heißt es weiter in der BCG-Studie. „Unser Ausbildungssystem muss sich auch viel stärker an den tatsächlichen späteren Anforderungen der Forscher orientieren“, unterstrich Steiner. „Uns fehlen qualifizierte Mitarbeiter mit Expertise gerade bei neuen Technologien“, unterstützte Scheuble diese Forderung und verwies gleichzeitig auf eine unzureichende Zusammenarbeit zwischen Hochschulen und Industrie in Deutschland.
Um die klinische Forschung in Deutschland zu stärken, plädierte Scheuble dafür, dem Beispiel USA zu folgen und die Forschungszentren besser zu vernetzen. Denn wie die BCG-Studie zeige, werde trotz an sich guter Rahmenbedingungen in Deutschland, wie einer hohen Facharzt- und Patientendichte, richtungsweisende klinische Forschung in Deutschland zu selten durchgeführt. Qualitativ hochwertige klinische Studien würden, bezogen auf die Einwohnerzahl, in den USA doppelt so häufig, in Großbritannien sogar fünfmal häufiger veröffentlicht. „Will der Forschungsstandort Deutschland in Zukunft erfolgreich agieren, muss er überdies die Bedürfnisse der Patienten in viel stärkerem Maße verstehen und berücksichtigen“, erläuterte Steiner. Daher empfiehlt BCG die Einführung eines öffentlichen Studienregisters, das Patienten den Zugang zu Informationen über klinische Prüfungen erleichtert. Dies kann auch zu der dringend notwendigen höheren Akzeptanz der klinischen Prüfungen beitragen.
Eine weiteres Manko für den Standort Deutschland ist nach Steiners Auffassung das „enttäuschende Abschneiden“ der deutschen Zulassungsbehörde, des Bundesinstitutes für Arzneimittel und Medizinprodukte (BfArM), im internationalen Vergleich. So bearbeitet nach BCG-Recherchen das BfArM im gegenseitigen Anerkennungsverfahren noch nicht einmal halb so viel Anträge wie die britische Zulassungsbehörde (MCA). „Das BfArM muss fachlich und strukturell gestärkt werden“, bekräftigte Scheuble: „Nur durch eine gut organisierte und effizient arbeitende Behörde ist ein schnellerer Zugang zu Innovationen für die Patienten in Deutschland gewährleistet.“
Nach Ansicht von Steiner ist der Aufstieg Deutschlands in die Spitzengruppe der Standorte für Forschung und Entwicklung von entscheidender Bedeutung für die Volkswirtschaft insgesamt wie auch für die Versorgung der Patienten. Für Scheuble zeigt die BCG-Studie eindeutig auf, dass der Forschungs- und Entwicklungsstandort Deutschland in vielen Bereichen besser werden muss, um im weltweiten Innovationswettbewerb mithalten zu können: „Wir müssen jetzt in Deutschland eine klare Antwort auf die Frage geben, ob wir zukünftig Innovationen – mit zeitlicher Verzögerung – importieren oder wieder selbst vermehrt entwickeln und produzieren wollen. Die forschenden Arzneimittelhersteller sind bereit, den Forschungsstandort Deutschland zukunftsfähig mit zu gestalten.“
Eine Kurzfassung oder die komplette BCG-Studie „Wettbewerbsfähigkeit Deutschlands als Standort für Arzneimittelforschung und -entwicklung“ stellt Ihnen der VFA gerne zur Verfügung.
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