Das Geheimnis des häufigsten Proteins der Erde
Eine Forschergruppe um Dr. Jürgen Schlitter und Prof. Dr. Günter F. Wildner (beide Fakultät für Biologie) hat mit der „Time-Window-Hypothese“ eine Lösung vorgeschlagen, die zeigt, wie raffiniert Evolution vorgeht.
Täglich nehmen wir Rubisco auf. Kann das gesund sein? Ja, und für Vegetarier ist es sogar die Hauptproteinquelle. Nur dieses Protein aus Organismen, die Photosynthese betreiben, kann das ausgeatmete CO2 (Kohlendioxid) wieder in die Nahrungskette einschleusen. RUB-Forscher haben jetzt eine Hypothese entwickelt, wie sich Rubisco im Laufe der Evolution verändert hat. Bisherige Experimente, in denen der Reaktionsort untersucht wurde, blieben ergebnislos. Eine Forschergruppe um Dr. Jürgen Schlitter und Prof. Dr. Günter F. Wildner (beide Fakultät für Biologie) hat jetzt mit der „Time-Window-Hypothese“ eine Lösung vorgeschlagen, die zeigt, wie raffiniert Evolution vorgeht: Nicht der Reaktionsort selbst hat sich verändert, sondern ein Mechanismus, der die Reaktionszeit bestimmt.
Rubisco sorgt für Stärke und Energie
Rubisco überträgt aufgenommenes CO2 auf ein Zuckermolekül (Ribulose-1,5-bisphosphat = RuBP). Dabei hilft Energie aus der Photosynthese. Am Ende mehrerer Reaktionswege steht die Produktion von Stärke, aus der Pflanzenfresser ihre Energie beziehen. Weil Rubisco (Ribulose-1,5-bisphosphat-Carboxylase) diese wichtige Aufgabe erfüllt, können Pflanzenblätter bis zu 50% daraus bestehen. Damit ist es das häufigste Protein der Erde.
O2 steht vor verschlossenen Türen
Als Rubisco sich vor dreieinhalb Milliarden entwickelte, bestand die Atmosphäre zu einem großen Teil aus CO2; reinen Sauerstoff (O2) gab es nicht. Daher spielte es keine Rolle, dass Rubisco relativ unspezifisch arbeitet und theoretisch auch O2 oder SO2 (Schwefeldioxid) an RuBP bindet. Dies wurde problematisch, als sich die Photosynthese entwickelte. Sauerstoff gelangte in die Luft, in der Rubisco-Reaktion war es jedoch unerwünscht. Das Enzym wurde in Zellstrukturen eingeschlossen, in die fast nur CO2 eindringen konnte. Der Konkurrent O2 stand vor verschlossenen Türen. Dieser Mechanismus reichte jedoch nicht mehr aus, als Landpflanzen aufkamen und sich ausgedehnte Farnwälder und Blütenpflanzen entwickelten: Der CO2-Anteil der Luft sank weiter, Rubisco musste sich anpassen. Da die Reaktion mit O2 sich offenbar nicht unterdrücken ließ, wurde die Spezifität für CO2 erhöht.
Was die Forscher vermuten
Forschergruppen versuchten nun, Evolution nachzuspielen: Sie veränderten wenig spezifisches Bakterien-Rubisco im Reaktionsort, um Rubisco zu verbessern. Als dies erfolglos blieb, hatten die Bochumer Forscher die entscheidende Idee: Ein „Deckel“, Teil des Proteins, verschließt während der Reaktion den Reaktionsort. Die Forscher wussten außerdem, dass Rubisco mit CO2 wesentlich schneller reagiert als mit O2. Daher begannen sie, sich für die Dynamik der Deckelbewegung zu interessieren. Ihnen fiel auf, dass O2 nur eine Chance zur Reaktion hat, wenn der Deckel das Enzym lange genug verschließt. Bei kurzer Verschlusszeit reicht das Zeitfenster nur für die Reaktion mit CO2. Daraus entstand die Time-Window-Hypothese: Die Spezifität für CO2 ist umso größer, je kürzer der Deckel das Enzym verschließt. Bei der Ursachenforschung für die unterschiedlich langen Verschlusszeiten fanden sie eine simple Lösung: Bei spezifischen Rubisco-Typen wird der Deckel an nur einer Stelle mit dem Protein verknüpft, so dass der Deckel schnell wieder aufspringt und nur CO2 genug Zeit zur Reaktion hat. Bei unspezifischen Rubisco-Typen gibt es zwei solcher Verschlussstellen, so dass auch O2 genug Zeit bleibt.
… und was sie beweisen können
Um die Arbeitshypothese zu bestätigen, wollen die Bochumer Forscher am Deckel eine fluoreszierende Molekülgruppe befestigen. Die Intensität des abgestrahlten Lichts hängt davon ab, ob der Deckel geschlossen oder geöffnet wird. So können die Wissenschaftler mit mikro-videographischen Techniken Rubisco direkt bei der Arbeit beobachten. In einem parallelen Ansatz simuliert ein Computer die Vorgänge bei der Reaktion und kann so wertvolle Hinweise für die Laborarbeit geben.
RUBIN 2/2001 erschienen
Den vollständigen Beitrag lesen Sie in RUBIN 2/2001, wo Sie auch folgende Themen finden: Magnetes Geheimnis; Vom Fremdkörper zum biologisch aktiven Implantat; „Kurz eingenickt“ – die Folgen für Mensch und Gesellschaft; „Eigenlob stinkt, Herr Schröder“; Kunstsprache optimiert: Weil der Zweck die Sprache formt; In der Rubrik „Forschung für den Transfer“: Keep it simple: Kosmak und iLiros, in der Rubrik „Studieren und forschen“: Gold und Silber scheibchenweise. RUBIN ist in der Pressestelle der RUB für 5 DM erhältlich.
Weitere Informationen
PD Dr. Jürgen Schlitter, Fakultät für Biologie der Ruhr-Universität Bochum, Lehrstuhl für Biophysik, Tel. 0234/32-25753, Fax: 0234/32-14626, E-Mail: juergen@bph.ruhr-uni-bochum.de
Prof. Dr. Günter Wildner, Fakultät für Biologie der Ruhr-Universität Bochum, Lehrstuhl für Biochemie der Pflanzen, Tel. 0234/32-24496, Fax: 32-14322, E-Mail: guenter.wildner@ruhr-uni-bochum.de
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