So wird der PC zum ISDN-Bildtelefon / Beim Telefonieren einen Blick riskieren
Mal kurz durch die Haare gestrichen, Kragen von Hemd oder Bluse zurecht gezupft, eine freundliche Mine aufgesetzt – gleich wird telefoniert! Die ungewöhnlichen Vorbereitungen gehören zu einer technisch nicht ganz neuen, aber offenbar zunehmend populären Art des Ferngesprächs: Videotelefonieren.
Schon seit Jahren wird prognostiziert, die moderne Telekommunikation werde die Zahl der Geschäftsreisen drastisch senken. Doch weder Bildtelefone noch Videokonferenzanlagen haben die Reiselust gedämpft. Vor allem die hohen Kosten werden als Hinderungsgrund gesehen. Den wahren Grund aber nennt Rolf E. Breuer, Vorstandschef der Deutschen Bank: „Ein Händedruck ist immer noch mehr wert als tausend Mausklicks.“
Doch seit den Terroranschlägen in New York scheint sich die Lage zu ändern. So wurde im vierten Quartal 2001 für den Flugverkehr weltweit ein Rückgang der Passagierzahlen um 30 Prozent registriert, in der Folgezeit soll das Interesse am Fliegen um weitere zehn Prozent sinken. Dafür berichtet die Deutsche Telekom von einem Absatzanstieg bei Videokonferenzen seit dem 11. September um 20 Prozent und die Marktforscher von Forst & Sullivan rechnen bis zum Jahr 2007 sogar mit eine Steigerung der Videotelefonie-Umsätze in Europa um über 300 Prozent.
Wer nicht gleich in teure Videokonferenztechnik investieren will und auch keine Lust hat, für eine Besprechung das Videostudio eines Dienstleisters zu besuchen, kann sich am eigenen PC die visuelle Kommunikation schon für 49 Euro installieren. So viel kostet das Programm Alice, das der Berliner Telekommunikationsspezialist AVM auf den Markt gebracht hat. Via ISDN-Leitung taucht damit am eigenen PC das Bild des Gesprächsparters auf, sofern er über eine Ausrüstung mit dem Standard H.320 verfügt – einer verbreiteten, in vielen Geräten beachteten technischen Norm. Das kann ein PC mit Audio- und Video-Komprimierungssoftware wie Alice sein, zur Bildübertragung ergänzt um eine USB-Kamera (Preis ab 35 Euro) sowie einem Headset mit Mikrofon und Kopfhörer (Preis ab 15 Euro). Auch mit einem Bildtelefon der Telekom oder einem Videokonferenzsystem funktioniert der Bildtransfer. Weiterhin ist ein ISDN-Controller (für die Online-Verbindung), eine Soundkarte (für den Ton) und ein PC mit Windows-Betriebssystem nötig.
Ein Test zeigt, dass sich die Software innerhalb von wenigen Minuten installieren lässt. Am PC-Monitor stellt sich Alice grafisch als eine Art TV-Gerät dar: In der Mitte die Fläche für das Bild des Gesprächspartners, rechts Bedienungselemente für die Wahl von Telefonnummern. Links öffnet sich auf Mausklick ein Navigationspult, mit dem man zum Beispiel Bildhelligkeit oder Tonstärke verändern und die Übertragung kontrollieren kann.
Wer sich nach erfolgreicher Installation der Software von der Funktionstüchtigkeit des Systems überzeugen will, aber keinen technisch dazu gerüsteten Gesprächspartner zur Verfügung hat, kann über das Adressbuch eine der rund 30 Live-Cams anwählen und darüber einen Blick auf interessante Orte wie das Brandenburger Tor, Helgoland oder die Dresdner Kreuzkirche werfen. Ein japanischer TV-Sender und österreichische Skigebiete runden das Angebot ab. Diese Art von Fernsehen eröffnet auch für den individuellen Einsatz interessante Anwendungsmöglichkeiten. So kann man über eine Standkamera zum Beispiel zur Kontrolle den Blick auf ein entferntes Objekt werfen, etwa ein Ferienhaus in der Toskana. Ein dort installierter PC lässt sich ohne großen technischen Aufwand per Fernsteuerung anschalten, so dass ein teurer Dauerbetrieb vermieden wird. Mit der Maus lässt sich das Kamerabild in verschiedene Richtungen steuern und zoomen.
Technisch möglich ist die Bildtelefonie via ISDN aufgrund hoher Datenkompression. Schon bei der Übertragung von 15 Bildern pro Sekunde kommt üblicherweise ein Datenvolumen von fast 25 MBit/s zusammen. Alice komprimiert diese gewaltige Menge im Verhältnis 1:570 bzw. 1:270 und macht daraus rund 45 bzw. 110 KBit/s, je nach dem ob ein oder zwei Übertragungs-Kanäle genutzt werden, die bei einem ISDN-Anschluss zur Verfügung stehen.
Die Bildqualität ist zwar nicht mit der einer TV-Übertragung vergleichbar, aber nach leichtem Verzögerungsruckeln stellt sich automatisch eine akzeptable Bildschärfe ein, mit der die Neugierde auf das Aussehen des Gesprächspartner durchaus erfüllt wird. Notfalls ist auch vierfaches Zoomen möglich!
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