Wie war doch gleich Ihr Name?
Das menschliche Gedächtnis verleiht uns die Fähigkeit zum Wiedererkennen, also dazu, bewusst zwischen bereits bekannten Ereignissen und neuen Informationen unterscheiden zu können. Mit einem eigens entwickelten Gedächtnistest konnten Neuropsychologen der Universität des Saarlandes nun nachweisen, dass beim Erinnerungsvermögen im Gehirn zwei unterschiedliche Gedächtnisformen zusammenspielen. Je nach Situation entstehen unsere Erinnerungen entweder aus einem Gefühl der Vertrautheit oder basieren auf dem bewussten Wiedererkennen früherer Ereignisse.
„Wie war doch gleich Ihr Name?“ Ein typisches Beispiel für vertrautheitsbasiertes Wiedererkennen ist die mitunter peinliche Situation, in der uns eine Person bekannt vorkommt, wir aber nicht wissen, wie diese Person heißt und wann und wo wir sie zum letzten Mal gesehen haben. Ein solches Vertrautheitssignal wird im Gehirn vermutlich in einer speziellen Region, dem so genannten rhinalen Kortex im Schläfenlappen, erzeugt. Hier erkennt unser Gedächtnis zusammengehörige Merkmale einer einzelnen Person, wie bei Herrn Müller den gezwirbelten Schnurrbart und seinen Tiroler Hut, und zeigt uns dies durch das Vertrautheitsgefühl an.
Die Erinnerung daran, dass wir Herrn Müller beim letzten Sonntagsspaziergang im Park begegnet sind, kann von dieser Hirnregion (rhinaler Kortex) allerdings weder erzeugt noch reaktiviert werden. Derartige Verknüpfungen zwischen beliebigen Merkmalen oder Ereignissen kommen erst durch rekollektionsbasiertes Wiedererkennen zustande. Dieser Prozess erfordert die Herstellung und den Abruf von Verknüpfungen zwischen beliebig gepaarten Ereignissen (Herr Müller und Sonntagsspaziergang). Er ist für das Gehirn aufwändiger und wird wahrscheinlich von der sog. Hippokampus-Formation erzeugt, die sich ebenfalls im Schläfenlappen befindet.
Neuer Gedächtnis-Test entwickelt
Wie das Erinnerungsvermögen des Gehirns genau funktioniert, ist in der Gedächtnisforschung noch immer umstritten. Lange Zeit vorherrschende Modelle nahmen an, dass das Wiedererkennen durch eine Reaktivierung einer mehr oder minder stark ausgeprägten Gedächtnisspur, sozusagen einem mehr oder minder tiefen „Fußabdruck“ der Erinnerung im Gehirn, zustande kommt. Andere Modelle, sog. „Zwei-Prozess-Theorien“, gehen hingegen davon aus, dass es zwei unterschiedliche Gedächtnisprozesse gibt, auf denen das Wiedererkennen basiert. Dabei handelt es sich um die eben geschilderten Prozesse der „Vertrautheit“ und der „Rekollektion“ (bewusstes Wiedererkennen).
Mit einem von den Neuropsychologen der Universität des Saarlandes neu entwickelten Verfahren lassen sich diese beiden Teilaspekte des Wiedererkennens nun getrennt untersuchen. Dazu wurden die Versuchsteilnehmer gebeten, sich die Gesichter von zwei Personen (z.B. Herr Müller und Frau Schmitz) oder zwei verschiedene Aufnahmen des Gesichts derselben Person (Herr Müller im Skiurlaub und bei einer Geburtstagsfeier) einzuprägen. Während der Bearbeitung dieser Gedächtnisaufgaben wurde bei den Versuchsteilnehmern die Gehirnaktivität aufgezeichnet. So war es möglich, auf der Kopfhaut messbare, kleine elektrische Spannungsveränderungen, die z.B. beim Wiedererkennen einer Person im Gehirn entstehen, zu messen. Dabei handelt es sich um die sog. „ereigniskorrelierten Gehirnpotentiale“ (EKP), die jeweils mit bestimmten kognitiven Vorgängen zusammen auftreten.
Zweigleisige Gedächtnisspur
Die Ergebnisse dieser Gedächtnisuntersuchungen konnten eindeutig zeigen, dass unsere Erinnerungen eben nicht nur auf eine einzige Gedächtnisspur zurückgehen. Diese Theorie gehört damit der Vergangenheit an. Denn wie die Gedächtnisforscher aus Saarbrücken herausfanden, führen zwei verschiedene Erinnerungswege zum Ziel: Vertrautheit und Rekollektion.
Man spricht in diesem Falle von einer doppelten Dissoziation: Beim Wiedererkennen der Aufnahmen zweier Personen fand sich im Gehirn ein zeitlich später Gedächtniseffekt über dem Scheitellappen. Dieser Effekt spiegelt das rekollektionsbasierte, bewusste Wiedererkennen von früheren Ereignissen wider. Dagegen zeigten die Hirnstrommessungen beim Wiedererkennen der beiden Aufnahmen derselben Person ausschließlich einen zeitlich frühen Gedächtniseffekt über dem Stirnlappen (Vertrautheit). Also geht die eine Erinnerungsform nur mit einem bestimmten Gedächtniseffekt einher, nicht aber mit einem anderen, während für die andere Erinnerungsform genau das Umgekehrte gilt. Interessanterweise beobachteten die Forscher auch, dass mittels Hirnstrommessungen schon beim Einprägen der Gesichter vorhersagbar ist, ob eine Paarung von Gesichtern später wiedererkannt wird oder nicht.
Ökonomisches Prinzip
Unser Gedächtnis arbeitet also nach einem sehr ökonomischen Prinzip: Situationen und zusammengehörende Merkmale können von unserem Gehirn schnell und ohne großen Aufwand als vertraut eingeordnet werden: Begegnen wir beispielsweise Herrn Müller, erkennen wir ihn zwar aufgrund seines Tiroler Hutes und seines Schnurrbarts wieder, ohne dass uns jedoch sein Name eingefallen wäre (vertrautheitsbasiertes Wiedererkennen).
In Situationen, in denen solche Vertrautheitssignale nicht zur Verfügung stehen, werden unter höherem Aufwand Verknüpfungen verschiedenster Merkmale aus dem Gedächtnis abgerufen. Dadurch gelingt es uns, Herrn Müller beim nächsten Sonntagsspaziergang im Park mit seinem Namen zu begrüßen (rekollektionsbasiertes Wiedererkennen). Dies kann je nach Situation und Gedächtnisinhalt unterschiedlich gut gelingen.
Die vollständige Studie der Autoren Theo Jäger, Axel Mecklinger und Kerstin Kipp erscheint unter dem Titel „Intra- and Inter-Item Associations Doubly Dissociate the Electrophysiological Correlates of Familiarity and Recollection“ am 9. November in der renommierten neurowissenschaftlichen Fachzeitschrift „Neuron“.
Bei Fragen wenden Sie sich bitte an:
Prof. Dr Axel Mecklinger
Tel. (0681) 302-6510/6515
E-Mail: mecklinger@mx.uni-saarland.de
Internet: http://www.neuro.psychologie.uni-saarland.de
Prof. Dr. Axel Mecklinger leitet die Arbeitseinheit Experimentelle Neuropsychologie an der Universität des Saarlandes in Saarbrücken. Sein Team untersucht schwerpunktmäßig den Zusammenhang zwischen der Aktivität des Gehirns und verschiedenen Gedächtnisvorgängen. Zu seinen Fragestellungen gehören etwa „Wie entwickelt sich das Gedächtnis in der Kindheit?“; „Welchen Einfluss haben Emotionen auf das Erinnerungsvermögen?“; „Wie funktioniert das unbewusste Gedächtnis?“ oder „Wie altert das Gedächtnis?“.
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