Auf dem "Östrogen-Pfad" gegen Alzheimer
Wissenschaftler weisen nach, dass weibliche Sexualhormone diese Demenz beeinflussen / Neueste Ausgabe der MaxPlanckForschung erschienen
Steckt in Östrogenen, in weiblichen Sexualhormonen, eine chemische Struktur, die als „Leitstruktur“ für einen Wirkstoff gegen die Alzheimer-Krankheit dienen kann? Können Östrogene selbst den Krankheitsprozess hinter dieser Demenz beeinflussen? Neue experimentelle Befunde einer Arbeitsgruppe am Münchener Max-Planck-Institut für Psychiatrie sprechen klar für diesen schon länger vermuteten Sachverhalt. Darüber berichtet die MaxPlanckForschung, das Wissenschaftsmagazin der Max-Planck-Gesellschaft, in ihrer neuesten Ausgabe.
Die als Östrogene bezeichneten weiblichen Sexualhormone Östradiol, Östron und Östriol stehen nicht nur im Dienst der Fortpflanzung. Vielmehr üben sie allerlei vorteilhafte „Nebenwirkungen“ aus, so etwa auf das Herz-Kreislauf-System, auf den Stoffwechsel der Knochen und nicht zuletzt auch auf das Gehirn: Dort tragen Östrogene als Neurohormone und Schutzfaktoren auf vielfältige Weise zur Struktur, Funktion und Erhaltung von Nervenzellen bei. Mit der neuroprotektiven Aktivität der Östrogene, also mit ihrem schützenden Einfluss auf Nervenzellen, beschäftigt sich eine Selbständige Nachwuchsgruppe am Münchner Max-Planck-Institut für Psychiatrie unter Leitung von Privatdozent Christian Behl.
„Die schützende Wirkung von Östrogenen auf Nervenzellen des Gehirns erforschen Christian Behl und seine Mitarbeiter am Max-Planck-Institut für Psychiatrie.“ „Foto: Wolfgang Filser“ |
Diese Arbeitsgruppe konnte schon vor einigen Jahren mit einem überraschenden Befund zum Östrogen aufwarten. Es gelang erstmals der biochemische Nachweis, dass Östrogene aufgrund ihrer chemischen Struktur als neuroprotektive Antioxidantien wirken: Sie fangen chemisch aggressive Moleküle – „freie Radikale“ – ab und verhindern damit deren zerstörerischen oxidierenden Einfluss auf molekulare Werkzeuge oder Strukturelemente der Nervenzellen, so genannten oxidativen Stress. In dieser Funktion, man spricht auch von Radikalfängern, ähneln Östrogene dem Vitamin E und bilden eine Art molekularen Schutzschild für die Nervenzellen. Über diese rein strukturelle chemische Wirkung hinaus greifen Östrogene aber auch direkt in zahlreiche biochemische Abläufe innerhalb der Nervenzellen ein. Auf eine dieser Aktivitäten richtet sich inzwischen das besondere Interesse Behls und seiner Mitarbeiter: Es geht dabei um ein Eiweiß, Amyloid-Vorläufer-Protein oder kurz APP genannt, und um dessen Prozessierung, also um seine „biochemische Weiterverarbeitung“ in Nervenzellen.
Im Zuge dieser APP-Prozessierung kann es zu einem Fehler kommen, der fatale Folgen hat. Dann entsteht aus dem APP ein toxisches Eiweiß, das Beta-Amyloid, das sich in filzigen Aggregaten, in so genannten amyloiden Plaques, im Gehirn von Alzheimer-Kranken ablagert. Die Bildung dieser Beta-Amyloid-Aggregate gilt deshalb als Kernprozess und Auslöser der Alzheimer-Demenz. Frühere Studien hatten bereits angezeigt, dass Östrogene offenbar die Prozessierung des APP beeinflussen und die Bildung des toxischen Beta-Amyloids unterdrücken. Der genaue molekulare Mechanismus dieser Östrogen-Aktivität war bisher unbekannt und auf diesen Sachverhalt konzentrierte sich Christian Behl mit seinen Mitarbeitern.
Nun konnten unlängst zwei wesentliche Befunde vorgelegt werden. So zeigte sich zum einen, dass der Einfluss der Östrogene auf die APP-Prozessierung nicht über Östrogenrezeptoren vermittelt wird, also nicht über den „klassischen“, hormonellen Mechanismus der Östrogen-Wirkung. Zum anderen stellt sich heraus, dass der Effekt der Östrogene auf die Prozessierung des APP in Nervenzellen jeweils sehr rasch erfolgt und über bestimmte intrazelluläre Signalfaktoren, so genannte Kinasen, vermittelt wird (Manthey et al., European Journal of Biochemistry, 267: 5687-5692, 2001). Eine wesentliche Erkenntnis daraus ist, dass Östrogene die APP-Prozessierung offenbar auch in solchen Nervenzellen im Gehirn beeinflussen, die überhaupt keine aktiven Östrogenrezeptoren besitzen.
Aus diesen neuen Befunden zur Östrogenwirkung im Gehirn ergeben sich verschiedene Forschungsansätze, die von Christian Behl und seinen Kollegen bereits intensiv bearbeitet werden: Mit Blick auf die Wirkung als schützendes Antioxidans muss man diejenigen Strukturelemente der Östrogenmoleküle identifizieren, die für diese nicht-hormonellen schützenden „Nebenwirkungen“ verantwortlich zeichnen. Dann kann man diese chemischen Bauteile als pharmazeutische „Leitstrukturen“ nutzen, um neue antioxidative neuroprotektive Medikamente zu entwickeln. Diese wären dann aufgrund der nicht vorhandenen feminisierenden Wirkungen bei Frauen wie bei Männern einsetzbar.
Den Weg zu diesem Ziel umreißt Behl so: „Wir können einerseits die chemische Struktur des Östrogens dahingehend verbessern, dass die strukturelle antioxidative Aktivität verstärkt wird und neuroprotektive Designer-Antioxidanzien entstehen. Bei der Entwicklung solcher östrogenverwandter antioxidativer Strukturen sind wir bereits entscheidende Schritte weitergekommen und haben erste hoch aktive Molekülstrukturen identifiziert, die bereits in Tiermodellen getestet werden. Da jedoch Rezeptoren für Östrogene in verschiedenen Gehirnregionen vorhanden sind, werden in einem zusätzlichen Forschungsansatz auch Gene identifiziert, die in Nervenzellen durch Östrogene an- oder abgeschaltet werden und das Überleben der Nervenzelle beeinflussen. Unter Einsatz so genannter DNA-Chips können genetische Programme aufgedeckt werden, die Nervenzellen bei Frauen wie bei Männern resistent gegen neurodegenerative Prozesse machen. Auf der Grundlage dieser Daten ließen sich dann Medikamente entwickeln, die diese Schutzprogramme gezielt anschalten – und Östrogene wären dann, jedenfalls als Ganzes, nicht mehr notwendig, um neuroprotektive Wirkungen zu erzeugen.“
Vorerst freilich werden die Münchner Forscher noch reichlich Östrogene benötigen, um die von diesen Hormonen angezeigte Spur zu verfolgen, die am Ende vielleicht zu einem Medikament gegen die Alzheimer-Krankheit und andere neurodegenerative Erkrankungen wie etwa den Schlaganfall führt.
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