China zwischen Tradition und Moderne
„Ein Land, viele Welten“, so wird China gerne beschrieben, denn das bevölkerungsreichste Land der Erde steckt voller Gegensätze. Mit den unterschiedlichen Situationen in den Provinzen und Städten befassten sich jetzt internationale Experten am Institut für Ostasienwissenschaften der Uni Duisburg-Essen (UDE). Konkret ging es um neue Studien zu lokalem Regierungshandeln, Bürgerpartizipation und politischen Einstellungen in der Volksrepublik aktuelle Themen, die in einem kleinen Kreis diskutiert wurden. Denn wer die von Professor Dr. Thomas Herber organisierte Konferenz verfolgen wollte, der musste schon der Tagungssprache – Chinesisch – mächtig sein.
Die Konferenz, von der Deutschen Forschungsgemeinschaft und dem Bundesministerium für Wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung gefördert, fand aus gutem Grund an der UDE statt. Zum einen gilt das Institut für Ostasienwissenschaft als führendes Ostasieninstitut in Europa. Zum anderen ist die Konferenz Teil eines Forschungsprojektes, das Professor Heberer mit Partnerinstituten in China durchgeführt hat. In dem bislang einmaligen Projekt haben die Wissenschaftler über mehrere Jahre hinweg politische und soziale Einstellungen von Stadt- und Landbewohnern in sechs Dörfern und sechs städtischen Nachbarschaftsvierteln in verschiedenen Provinzen erfragt.
Wichtigster Partner in diesem Projekt ist mit dem „Chinesischen Zentrum für Vergleichende Politik- und Wirtschaftsforschung“ in Peking eine Denkfabrik der chinesischen Führung, deren Direktor auf der Konferenz ebenfalls zugegen war.
Der Spagat zwischen Kommunismus und Kapitalismus, Tradition und Moderne macht sich in China regional höchst unterschiedlich bemerkbar. Beispiel Partizipation: „In manchen Regionen“, so Heberer, „begreifen die Menschen Wahlen zunehmend als ihr Recht, und sie erkennen den Zusammenhang von Wahlen und Verantwortlichkeit der Gewählten.“ Anderes Beispiel: soziale Sicherung. So hat die Rolle der Großfamilien (Clans) im ländlichen Raum auch deshalb deutlich zugenommen, weil diese Verbände heute wieder Versorgungsaufgaben übernehmen.
Das fehlende Sozialversicherungssystem in China ist auch in den Städten ein Problem. Dort versucht der Staat, Fragen der sozialen Sicherung bürgernah in die neuen „Nachbarschaftsviertel“ zu verlagern und Menschen für die Partizipation an sozialen Aufgaben zu mobilisieren. „Freiwillige“ sollen sich in den städtischen Wohnvierteln um sozial Schwache, Alte, Behinderte und Randgruppen kümmern oder für eine saubere Umwelt sorgen. „Bislang allerdings mit eher geringem Erfolg“, erklärt Heberer.
Vom „modernen chinesischen Bürger“ sprach Professor Huang Weiping, Direktor des Instituts für Chinesische Politik an der Shenzhen-Universität. Er stellte eine Studie über das politische Verhalten von Bewohnern in der an Hongkong angrenzenden Wirtschafts-Sonderzone Shenzhen vor. Nürnbergs Partnerstadt ist dank ihrer Elektronik- und Telekommunikationsindustrie rasant gewachsen: von 10.000 Einwohnern in den 1980er Jahren auf mittlerweile 15 Millionen Menschen. Für Huang hat Shenzen eine politische Vorreiterfunktion für das ganze Land. In der chinesischen Stadt mit dem höchsten Pro-Kopf-Einkommen bewerben sich zunehmend parteilose Bürger aus der Mittelschicht um das Amt lokaler Parlamentsabgeordneter und klagen vor Gericht die in Peking beschlossenen Rechte ein.
Eine andere Studie, Teilstudie eines Vergleich unter 60 Ländern, brachte ein überraschendes Ergebnis: Das Vertrauen von Bürgern in Mitbürger und den Staat ist in China am stärksten ausgeprägt. „Die Auffassung, dass in autoritären Systemen das Vertrauen der Menschen geringer sei als in demokratischen Staaten, lässt sich mittlerweile nicht mehr halten“, sagt Heberer. Die Gründe für das hohe Maß an Vertrauen in China führten die Konferenzteilnehmer auf den nach wie vor hohen Grad an kollektiven Einrichtungen und damit verbunden an Gemeinschaftsgütern zurück. Allerdings gehen sie davon aus, dass mit dem Individualisierungsprozess, der sich vor allem im städtischen Raum vollzieht, auch das Vertrauen unter den Menschen zurückgehen wird.
Weitere Informationen: Prof. Dr. Thomas Heberer, Tel. 0203-379-3727, thomas.heberer@uni-due.de
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